Streit um Erneuerbare Energien
Kontroverse um Netzentgelte-Vorschlag: So könnten Firmen Vorteile erlangen
Der Vorschlag für variable Netzentgelte in der Industrie hat eine Menge Kontroversen ausgelöst. Aber Unternehmen könnten davon profitieren, behauptet Wirtschaftswissenschaftler Neuhoff.
Berlin – Die Bundesnetzagentur diskutiert Vorschläge, wie die Stromnetze an die fortschreitende Energiewende und die Einspeisung von dezentralen Solaranlagen angepasst werden können. Unter anderem hat die Agentur vorgeschlagen, die Netzentgelte für die Industrie flexibel zu gestalten: Wenn das Angebot auf dem Strommarkt groß ist, sollten Unternehmen weniger zahlen. Umgekehrt steigen die Entgelte, wenn das Stromangebot gering ist.
Für die Anregung zur Änderung der Netzentgelte hat die Bundesnetzagentur teils heftige Kritik erhalten. Die Idee sei „völlig gaga“, sagte etwa Christoph Altus, Chef des Mittelstandsverbands BVMW, der Bild. Die Grundlage der Empörung ist jedoch ein Missverständnis. Das erklärte zumindest Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Gastbeitrag im Focus. Stattdessen sieht der Ökonom die Idee als Chance.
Ökonom verteidigt Solar-Plan der Bundesnetzagentur: Reduziert Emissionen und Kosten fossiler Energieträger
„Den Unternehmen soll nicht eine Produktion nach Wetterlage vorgeschrieben werden, sondern sie sollen Flexibilitätspotenziale erschließen“, erklärte Neuhoff. „Mit Flexibilität kann Energie, die bei viel Wind und Sonne erzeugt wird, in Stunden mit geringer Erzeugung verschoben werden.“ Das reduziere den Einsatz konventioneller Energie „und damit Emissionen sowie Kosten und Preisrisiken fossiler Energieträger“.
Der bisherige Strommarkt setzt laut Neuhoff dagegen mehrere Fehlanreize. Die reduzierten Netzentgelte für energieintensive Unternehmen sei an eine konstante Stromnachfrage gekoppelt. Das schaffe Anreize „gegen statt für Flexibilität“.
DIW-Experte Neuhoff: Nachfrage muss deutschlandweit auf Wind- und Solarproduktion reagieren
Zudem stellte Neuhoff in seinem Text beim Focus fest, dass das Übertragungsnetz nicht im gleichen Umfang vergrößert werden könne, wie die Leistung der angeschlossenen Stromerzeugung und Stromnachfrage steige. „Das wäre viel zu teuer und würde auch vor Ort keine Akzeptanz finden“, so der DIW-Ökonom.
Neuhoff ist überzeugt: „Die Nachfrage muss also nicht nur deutschlandweit, sondern auch vor Ort auf die Wind- und Solarproduktion reagieren.“ Die Wissenschaft sei sich einig, dass das nur mit lokalen Preissignalen gehe.
DIW-Ökonom Neuhoff fordert Berücksichtigung von „Flexibilitätspotenzialen“ bei Kraftwerksstrategie
Wenn bei der Kraftwerksstrategie und Kapazitätsplanung dagegen „Flexibilitätspotenziale“ unzureichend berücksichtigt würden, drohe ein „Henne- und Ei-Problem“. Behörden und Netzbetreiber würden auf Gaskraftwerke setzen, die Preisspitzen abdämpfen könnten. „Damit entfallen aber wichtige Anreize für Investitionen in Flexibilität“, erklärte Neuhoff. Eine Versorgungssicherheit mit klar definierten, höheren Preisen könnte Abhilfe schaffen.
Die Bundesnetzagentur will die Flexibilität jedoch nicht nur von der Industrie einfordern. Auch die „Einspeiser der Erneuerbaren“ sollten sich künftig am Marktpreis und Verbrauch orientieren, erklärte Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller der Neuen Osnabrücker Zeitung. Solarparks sollen künftig die „Einspeisung stoppen, wenn niemand für den Strom bezahlen will“. Zudem müssten Netzbetreiber Solarparks auch abschalten können, um das Netz stabil zu halten, forderte der Netzagentur-Chef.
Experte sieht Reformbedarf auf dem Strommarkt: „Schaffen die nötigen Investitionsrahmenbedigungen“
DIW-Klimapolitikchef Karsten Neuhoff sieht gleich mehrere Reformen am Strommarkt als notwendig und möglich an. „Diese Reformen schränken die Produktion in Deutschland aber nicht ein, sondern schaffen die nötigen Investitionsrahmenbedingungen“, erklärte er im Focus. „Das ist wichtig für Deutschland als Innovationsland und für die globale Wettbewerbsfähigkeit bei den Energiekosten.“
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