Abhängigkeit von Putin lösen
Das russische Gas verschwindet – und der Westen ist nicht gerüstet
Die Ukraine beabsichtigt, ab 2025 die Durchleitung von russischem Gas zu stoppen. Einige Staaten sind davon jedoch noch abhängig. Wie gut ist der Westen vorbereitet?
Moskau – Das Aus von russischem Gas rückt immer näher, denn für Russland läuft ein wichtiger Deal aus. Bislang hat die Ukraine über den Gastransitverlag den Westen mit russischem Gas versorgt. Doch das wird ab Januar 2025 nicht mehr der Fall sein.
Die EU scheint bislang wenig Bedenken über die Versorgungssicherheit zu haben. Die EU sei „bereit, ohne das verbleibende russische Erdgas zu leben, das über die Transitroute durch die Ukraine geliefert wird“, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson im September in Brüssel. Doch dafür gibt es noch einiges zu tun.
Ukraine will kein russisches Gas mehr durchleiten – Schlag für Russlands Wirtschaft
Zunächst einen Schritt zurück: Um welchen Vertrag geht es eigentlich? Der Gastransitvertrag wurde 2019, also noch vor dem Ukraine-Krieg, zwischen dem russischen Staatskonzern Gazprom und dem ukrainischen Energieversorger Naftogaz vereinbart. Dieses Abkommen läuft zum Ende des Jahres 2024 aus, da die Ukraine den Vertrag nicht verlängern will. „Es ist vorbei“ hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu am 27. August angekündigt. Laut einer Analyse von Bloomberg könnten Russland Einnahmen in Höhe von 6,5 Milliarden US-Dollar entgehen, wenn die Ukraine aufhört, russisches Gas nach Europa zu leiten. Dies entspricht etwa 5,9 Milliarden Euro.
Aus Moskau kam scharfe Kritik an dem Statement Selenskyjs. „Eine solche Entscheidung der Ukraine wird den Interessen der europäischen Verbraucher, die weiterhin russisches Gas kaufen wollen, ernsthaft schaden“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Ende August.
Aus für Gas-Deal zwischen Russlands Wirtschaft und Ukraine – was heißt das für die EU?
Die Ukraine betreibt mehrere Pipelines, durch die russisches Gas in den Westen fließt. Sie versorgen unter anderem die EU-Länder Österreich, Ungarn und die Slowakei. Die Europäische Kommission scheint hinsichtlich der Versorgung der Länder, die noch Gas aus Russland beziehen, bislang wenig Bedenken zu haben. Im September erklärte die EU-Energiekommissarin Simson aus Brüssel, man habe sich mehrere Monate lang auf das Ausbleiben des Gasflusses vorbereitet und alternative Lieferwege gefunden.
Erdenklich wären verschiedene Alternativen, wie die EU nach Auslaufen des Vertrags die Gas-Versorgung gewährleisten kann. Es gäbe zum einen die Möglichkeit, das russisches Gas mit LNG-Ladungen aus anderen Ländern zu ersetzen. Der Ukraine-Krieg und die Tatsache, dass Russland die Gas-Versorgung zur Waffe macht, haben die EU-Mitgliedstaaten dazu veranlasst, ihre LNG-Infrastruktur weiter auszubauen. Allerdings müsste die Ukraine in dem Szenario laut der Denkfabrik Bruegel mit Verlusten bei ihren Transiteinnahmen rechnen.
Russisches Gas ersetzen – Aserbaidschan könnte einspringen oder Putin helfen
Eine weitere Möglichkeit wäre, russisches Gas durch Gas aus Aserbaidschan zu ersetzen. Bereits im Juni berichtete Politico, dass europäische Vertreter laut Aussage eines hohen Beamten aus Aserbaidschan auf das Land mit dem Vorstoß zugekommen sind. Energieexperten sind der Meinung, dass Aserbaidschan kurzfristig nicht über genügend Gas verfügt, um die Lieferungen nach Europa weiter zu erhöhen. Zudem gehen „Beobachter seit geraumer Zeit davon aus, dass Russland versuchen wird, sein Gas über Aserbaidschan nach Europa zu bringen“, so Michail Krutichin, russischer Wirtschaftsanalyst und Experte für den Gasmarkt, gegenüber dem ZDF. Russland könnte Experten zufolge dafür russisches Gas als aserbaidschanisches Gas tarnen.
Eine dritte Möglichkeit wäre laut der Denkfabrik Bruegel, ein neues Abkommen zwischen Russland, der EU und der Ukraine zu beschließen. EU-Händler könnten beispielsweise russisches Gas an der russisch-ukrainischen Grenze bei Sudzha kaufen und Transitkapazitäten durch die ukrainische Pipeline-Infrastruktur buchen, um das Gas in europäische Länder zu liefern. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es jedoch unklar, ob dies noch im Sinne der Ukraine wäre.
Abhängigkeit von Putins Gas verringern – härtere Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft?
Die Denkfabrik rät der EU, in erster Linie europäische Kontrolle über die verbleibende Energieabhängigkeit der EU-Mitgliedstaaten von Russland beizubehalten und ihnen sicheren Zugang zu europäischen Gas zu ermöglichen. Jede neue Vereinbarung solle Russland nicht relativ mehr Vorteile bringen als der Ukraine.
Zudem sei zu empfehlen, den Gasspeicher der Ukraine aufzufüllen, die derzeit nur zu 25 Prozent gefüllt sind, während die Speicher in der EU bereits zu 95 Prozent gefüllt sind. Auch eine Verschärfung der Sanktionen gegen russisches LNG könnte erwägt werden. Diese Sanktionen könnten beispielsweise eine Einfuhrsteuer und Mengenbeschränkungen umfassen, um die Gesamtmenge des in den EU-Markt gelangenden russischen Gases zu begrenzen. Von Russland Gas abhängige Länder würden dann begrenzte Mengen an russischem Gas unter EU–Kontrolle bekommen. (bohy)
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