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„Armutszeugnis für ein so reiches Land!“ – Millionen Rentner in Deutschland arbeiten weiter
Neue Zahlen der Bundesregierung zeigen, dass knapp 1,4 Millionen Menschen in Deutschland trotz Rentenbezug weiter arbeiten. Darin stecken eine gute und zwei schlechte Nachrichten.
Berlin – Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten im Alter. Schon seit Jahren zeigt die Kurve der über 63-Jährigen, die statt Rente zu beziehen weiter arbeiten, nach oben. Nun zeigen neue Zahlen: Auch immer mehr Rentnerinnen und Rentner arbeiten trotz ihrer Altersbezüge weiter. Knapp 1,4 Millionen Menschen gehen auch mit Altersvorsorge weiterhin einer Beschäftigung nach. Die Politik begrüßt das grundsätzlich – doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille.
1,35 Millionen Menschen arbeiten trotz Rente weiter
In einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung erkundigte sich Matthias W. Birkwald, Bundestagsabgeordneter und renten- sowie alterspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, nach weiterarbeitenden Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland. Kerstin Griese (SPD), parlamentarischer Staatssekretärin im Arbeits- und Sozialministerium, erklärt in der Antwort der Bundesregierung, die IPPEN.MEDIA exklusiv vorliegt, dass zum Stichtag am 31. Dezember 2022 insgesamt 1,35 Millionen Menschen trotz Rentenbezug noch arbeiteten.
Dabei beruft sich die Bundesregierung auf Statistiken der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Laut dieser arbeiteten 1,1 Millionen Menschen nach der Regelaltersgrenze (also der abschlagsfreien Rente; für die meisten ab 67 Jahren) weiter. Darunter waren rund 888.000 Menschen geringfügig in Minijobs beschäftigt (höchstens 538 Euro pro Monat), etwa 240.000 arbeiteten darüber hinaus noch mehr.
Politik will Menschen trotz Rente länger in Arbeit halten
Insgesamt 245.000 Menschen bezogen schon vor der Regelaltersgrenze von 67 Jahren Rente und arbeiteten trotzdem. Darunter 174.000 in Minijobs, 76.000 waren mehr als geringfügig beschäftigt. Dazu zählen Menschen, die Anspruch auf die sogenannte Rente mit 63 haben, die also bereits 45 Jahre Versicherungsbeiträge eingezahlt haben.
Die neuen Zahlen lassen unterschiedliche Lesarten zu. Einerseits sprechen sich sowohl die Ampel-Koalition als auch die Opposition von CDU/CSU seit Langem dafür aus, Menschen im Alter länger in Arbeit behalten zu wollen. Viele sehen darin einen Hebel gegen den Fachkräftemangel.
Prämien für Menschen, die trotz Rente weiterhin arbeiten
Deshalb sieht die Bundesregierung in ihrer Anfang Juli präsentierten Wachstumsinitiative vor, dass weiterhin arbeitende Rentnerinnen und Rentner die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung künftig direkt ausgezahlt bekommen. Bei den Rentenbeiträgen sollen die Menschen selbst entscheiden dürfen, ob sie sie direkt ausbezahlt bekommen wollen oder nicht. Außerdem will die Ampel-Koalition eine steuerfreie Prämie für arbeitende Rentnerinnen und Rentner einführen. Auch die Union forderte bereits steuerliche Erleichterungen für weiterarbeitende Menschen.
Und sogar Rentenpolitiker Birkwald von der Linken unterstützt die Ampel-Pläne. Er spricht gegenüber IPPEN.MEDIA von einem „richtigen Signal“, dass sich für Menschen im Alter „Arbeitsleistung auch direkt lohnt“, so Birkwald. „Viele Rentnerinnen und Rentner werden davon profitieren, denn schon jetzt sind es fast anderthalb Millionen Rentnerinnen und Rentner, die sich trotz ihrer Rente noch etwas hinzuverdienen müssen oder wollen, zum Großteil in geringfügiger Beschäftigung, also in Minijobs.“
Politik ist sich erstaunlich einig – allerdings nur teilweise
Vor diesem Hintergrund dürften sich die Parteien über die Zahl arbeitender Rentnerinnen und Rentner freuen. Die Anreize für die knapp 1,4 Millionen arbeitende Rentnerinnen und Rentner würden künftig aber auch ein ordentliches Loch in der Staatskasse bedeuten, sollten sie im kommenden Haushalt umgesetzt werden. Wie die DRV für IPPEN.MEDIA errechnet hat, würde der Rentenkasse durch die wegfallenden Beiträge weiterarbeitender Rentnerinnen und Rentner jährlich eine Milliarde Euro fehlen. Die Bundesregierung selbst konnte der Linken auf die Frage, wie hoch sie die fehlenden Einnahmen schätzen, keine Zahl nennen.
Weiteren Anlass zur Sorge bietet die hohe Zahl der arbeitenden Rentnerinnen und Rentner angesichts der Altersarmut. Zwar lässt sich aus der Antwort der Bundesregierung nicht herauslesen, welche Menschen aus reiner Freude an der Beschäftigung weiterarbeiten und welche es wegen zu geringer Rente müssen. Anzunehmen ist jedoch, dass letztere einen erheblichen Anteil ausmachen.
Altersarmut: Rentenniveau in Deutschland für Linke zu niedrig
Linkenpolitiker Birkwald bereiten die neuen Zahlen deswegen Sorgen. „Dabei ist es unerträglich, dass die Renten in Deutschland durchschnittlich so niedrig sind, dass viele Rentnerinnen und Rentner darauf angewiesen sind, weiterzuarbeiten“, sagt Birkwald. „Die deutschen Renten sind nämlich alles andere als generös. Unter den 34 OECD-Staaten liegt Deutschland bei der Höhe der Nettoersatzrate der Renten auf dem viertletzten Platz. Das ist ein Armutszeugnis für ein so reiches Land!“ Der Linkenpolitiker fordert ein Rentensystem nach österreichischem Vorbild. Dort liegt das allgemeine Rentenniveau deutlich über dem deutschen, allerdings lassen sich Staat und Menschen das auch mehr Geld kosten.
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