Auswertung gibt Auskunft
80 Prozent mehr: Ein Sektor leidet besonders unter der Pleitewelle
Immer mehr Firmen müssen Insolvenz anmelden. Eine Analyse offenbart nun, welche Sektoren am stärksten von der Pleitewelle betroffen sind.
Bonn – Zuletzt hat es den deutschen Reiseveranstalter FTI und den Buch- und Versandhändler Weltbild erwischt: Die Zahl der Insolvenzen nahm in den ersten Monaten des Jahres zu. Von der Pleitewelle sind nicht nur die etwa stark durch die Corona-Pandemie gebeutelte Gastronomiebranche betroffen, sondern verstärkt auch größere Unternehmen.
Die Pleitewelle in Deutschland trifft jedoch nicht alle Branchen gleichermaßen. Besonders groß ist der Zuwachs der Insolvenzen im Gesundheits- und Sozialwesen. Das geht aus einer am Mittwoch, 12. Juni, veröffentlichten Statistik des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn hervor. Die Fachleute haben Daten des Statistischen Bundesamts zu Unternehmensaufgaben und Insolvenzen ausgewertet. Die veröffentlichte Untersuchung bezieht sich jedoch auf das Jahr 2023.
Insolvenzen treffen besonders das Gesundheits- und Sozialwesen – laut Analyse
Im Gesundheits- und Sozialwesen ist die Zahl der Insolvenzen von 2022 auf 2023 um 86,9 Prozent angestiegen. Die Zahl der Pleiten pro 1.000 Unternehmen in der Branche lag im vergangenen Jahr bei 12,6. Die Branche rage in „besonderer Weise hervor“. Dort gebe es nicht nur die größte relative Insolvenzhäufigkeit. Auch die Insolvenzgefährdung habe sich fast verdoppelt, berichtet das IfM. „Häufiger zahlungsunfähig wurden hier Krankenhäuser und größere Pflegeeinrichtungen.“
| Branche | Insolvenzen pro 1000 Unternehmen 2023 | Zunahme zu 2022 in Prozent |
|---|---|---|
| Gesundheits- und Sozialwesen | 12,6 | 86,9 |
| Verkehr und Lagerei | 12,3 | 2,3 |
| Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen | 9,5 | 17,9 |
| Baugewerbe | 8,5 | 14,2 |
| Gastgewerbe | 8,3 | 33 |
| Verarbeitendes Gewerbe | 6,7 | 23,9 |
| Information und Kommunikation | 5,9 | 46,5 |
| Handel, Reperatur von Kfz | 5,0 | 25,5 |
| Freiberuflliche, wissenschaftliche, technische Dienstleistungen | 4,0 | 23,9 |
| Kunst, Unterhaltung, Erholung | 3,9 | 25,0 |
| Sonstige personenbezogene Dienstleitungen | 4,6 | 1,2 |
| Grundstücks- und Wohnungswesen | 2,3 | 51,9 |
| Quelle: Institut für Mittelstandsforschung |
Auch im Verkehrssektor beobachtet das IfM eine hohe Insolvenzgefährdung. Die Zahl der Insolvenzen pro 1.000 Unternehmen lag mit 12,3 nur knapp unter dem Gesundheits- und Sozialsektor. Im Vergleich zu 2022 nahm die Zahl der Pleiten jedoch lediglich um 2,3 Prozent zu.
Baukrise spiegelte sich bei Insolvenzen 2023 noch nicht wider
Trotz Baukrise stieg die Zahl die Insolvenzgefährdung 2023 laut den Bonner Experten vergleichsweise schwach an. „Die krisenhafte Entwicklung im Baubereich betrifft (noch) nicht die Masse der Bauunternehmen, sondern vorwiegend Bauträger, Projekt- und Immobilienentwickler, die teils zum Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen zählen“, heißt es in der IfM-Auswertung. Da sich die Fachleute auf das Jahr 2023 beziehen, bleibt etwa die Masse an Insolvenzen in der Baubranche in der ersten Aprilwoche unberücksichtigt.
Das Institut beobachtet zudem eine Zunahme der Insolvenzen im Gastgewerbe sowie im Bereich Information und Kommunikation.
Insgesamt ist die Zahl der Insolvenzen damit gestiegen. Ihr Anteil am Unternehmensbestand bleibe weiterhin gering, erklärt das Institut. „Über 90 Prozent aller Unternehmensschließungen finden aus eigenem Antrieb der Eigentümerinnen und Eigentümer statt“, heißt es in der Auswertung.
Zahl der Insolvenzen bei Großunternehmen steigt um 70 Prozent
Besonders stark sei jedoch die Anzahl der Insolvenzen unter Großunternehmen angestiegen. Im Vergleich zu 2022 mussten 70 Prozent mehr Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen. In absoluten Zahlen sind jedoch kleinere Unternehmen von der Pleitewelle betroffen.
Die Forschenden führen das Insolvenzgeschehen zum Teil auf die derzeitigen Krisen und die gestiegenen Finanzierungskosten zurück. Sie sehen außerdem einen Zusammenhang mit der Befreiung von der Insolvenzantragspflicht während der Corona-Pandemie. Ein anschließender Anstieg sei deshalb zu erwarten gewesen. Auch die Überprüfung der finanziellen staatlichen Unterstützung sowie mögliche Rückzahlungen gehören zu den denkbaren Ursachen.
Im Mai 2024 geht die Zahl der Insolvenzen wieder zurück – verarbeitendes Gewerbe als eine Ausnahme
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die das IfM nutzt, beziehen sich jedoch lediglich auf das Jahr 2023. Die zahlreichen Insolvenzen in den ersten Monaten des Jahres 2024 sind darin noch nicht enthalten. Von Januar bis April war die Zahl der gemeldeten Insolvenzen gestiegen, ehe sie im Mai erstmals gesunken ist. Das teilte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in seinem monatlichen Insolvenztrend Anfang Juni mit. Dennoch liege der Wert noch immer 40 Prozent höher als im Mai 2023 und 31 Prozent über dem Mai-Durschnitt der Jahre 2016 bis 2019.
Laut den aktuellen Zahlen des IWH erreichten die Insolvenzzahlen in den Branchen des verarbeitenden Gewerbes sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen ihre Höchsten weitere seit Beginn des IWH-Insolvenztrends im Januar 2020. Angesichts der Pleitewelle warnen Forschende vor einem Industriesterben in Deutschland.
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