Teil 4 - Rückkehr aus Innsbruck
Tournee-Tagebuch: Von großer Frustration und zentralen Fragen
Im Tagebuch zur Vierschanzentournee gibt Wintersport-Reporter Tobias Ruf exklusive Einblicke hinter die Kulissen. Hier gibt es das Skispringen-Highlight aus einem anderen Blickwinkel. Im vierten Teil geht es um die Rückkehr aus Innsbruck.
Liebe Vierschanzentournee-Fans,
Ich freue mich, dass Ihr mich auf meinem Weg von Oberstdorf bis Bischofshofen begleitet. In meinem Tagebuch möchte ich euch ein Sportevent näherbringen, das mir ganz besonders am Herzen liegt.
Tagebuch zur Vierschanzentournee: Frustrierte Rückkehr aus Innsbruck
Wieder einmal kehre ich frustriert aus Innsbruck zurück. Auch wenn ich nicht mehr an den Gesamtsieg von Pius Paschke geglaubt habe, sitzt der Stachel heute besonders tief. Damit bin ich nicht alleine.
Im Pressenzentrum am Bergisel, das zu den schönsten Arbeitsplätzen im Wintersport gehört, war die Stimmung unter uns deutschen Kollegen so schlecht, wie ich sie seit vielen Jahren bei der Vierschanzentournee nicht erlebt habe. Dem deutschen Skispringen wurde eine Lektion erteilt, die große Frustration hinterlässt und entscheidende Fragen aufwirft.
Der Rivale aus Österreich triumphiert in allen Belangen, die deutsche Mannschaft ist zum Saisonhöhepunkt wieder nicht zur Stelle. Wie kann es sein, dass es wieder nicht gelungen ist, das durchaus vorhandene Potenzial abzurufen? Wie kann es sein, dass eine der größten Skisprung-Nationen der Welt immer dann nicht liefert, wenn es wirklich darauf ankommt?
Österreichs-Cheftrainer Andreas Widhölzl spricht davon, dass die Arbeit der vergangenen fünf Jahre jetzt so richtig Früchte trägt. Einen langfristigen Plan im deutschen Team kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Infrastrukturell bringt der Deutsche Skiverband alles mit, um die Grundlagen für große Titel zu schaffen. Auch im Nachwuchs sind fähige Leute am Werk, es mangelt allenthalben nicht an Qualität und Kompetenz.
Trotzdem endet auch diese Vierschanzentournee wieder mit großem Frust. Weder gelingt es, die Topspringer so in Form zu bringen, dass sie zum Saisonhöhepunkt abliefern, noch erkenne ich einen klaren Plan, wie sich das in Zukunft ändern soll. Von vielversprechendem Nachwuchs ist nichts zu sehen, die arrivierten Springer haben alle mit sich selbst zu kämpfen und mir fehlen auch die klaren Signale von oberster Stelle, dass man die Situation erkannt hat und entsprechende Maßnahmen einleitet, Dinge zu verändern.
Pius Paschke will ich aus meiner Kritik explizit ausnehmen. Mit seinen Vorleistungen hat er den deutschen Skispringern bislang die Saison gerettet. Im hohen Alter von 34 Jahren hat er uns zumindest eine kurze Zeit träumen lassen, dass es endlich mal wieder klappen könnte mit einem Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee.
Alle anderen beziehe ich in meine Kritik aber ein. Die Springer habe ich bereits erwähnt, aber auch die übergeordneten Strukturen will ich an dieser Stelle ansprechen. Ich schätze Bundestrainer Stefan Horngacher sehr und habe eine hohe Meinung von seiner fachlichen Kompetenz. Auch unser persönlicher Austausch war immer fair und auf Augenhöhe. Seit 2019 ist er im Amt. Das sind mehr als fünf Jahre. Einen stimmigen Plan kann ich bis heute aber nicht erkennen.
Auch Sportdirektor Horst Hüttel, der für die nordischen Disziplinen verantwortlich ist, hat mir diese übergeordnete Vision bis heute nicht vermitteln können. Wo will man hin mit dem deutschen Skispringen? Gibt man sich trotz vorhandenem Potenzial und vergleichsweise hohen Investitionen mit dem zufrieden, was der Leistungsstand seit vielen Jahren ist?
Die kommende Vorbereitung sollte genutzt werden, um genau diese Fragen zu klären. Wir stehen vor richtungsweisenden Jahren. Auch im nächsten Winter gibt es wieder eine Vierschanzentournee und dann sind da die Olympischen Spiele in Italien. Ohne grundlegende Änderungen, fürchte ich auch dann wieder eine frustrierte Rückkehr aus Innsbruck bzw. Italien.
Ich will Euch aus dem heutigen Tagebuch aber nicht entlassen, ohne auf das hinzuweisen, was uns am Montag erwartet. Drei Österreicher liegen vor dem Finale in der Gesamtwertung auf Augenhöhe. Bischofshofen wird ein Spektakel, wie ich es live noch nie erleben durfte. Ich freue mich sehr auf diesen Dreikampf - auch ohne deutsche Beteiligung.
Euer Tobias Ruf
In der kommenden Ausgabe blicke ich dann auf das große Finale in Bischofshofen zurück und habe weitere spannende Einblicke mit dabei.
Gibt es etwas, was Ihr schon immer über die Vierschanzentournee wissen wolltet? Schreibt mir gerne eine Mail unter tobias.ruf@ovbmedia.de. (Quelle: chiemgau24.de, truf)
