Teil 2 - Rückkehr aus Oberstdorf
Tournee-Tagebuch: Von traurigen Augen und fehlender Leichtigkeit
Im Tagebuch zur Vierschanzentournee gibt Wintersport-Reporter Tobias Ruf exklusive Einblicke hinter die Kulissen. Hier gibt es das Skispringen-Highlight aus einem anderen Blickwinkel. Im zweiten Teil geht es um die Rückkehr aus Oberstdorf.
Liebe Vierschanzentournee-Fans,
Ich freue mich, dass Ihr mich auf meinem Weg von Oberstdorf bis Bischofshofen begleitet. In meinem Tagebuch möchte ich euch ein Sportevent näherbringen, das mir ganz besonders am Herzen liegt.
Vor wenigen Augenblicken bin ich aus Oberstdorf zurückgekehrt. Noch ganz habe ich den gestrigen Tag nicht verarbeitet. Das hängt in erster Linie mit einer Begegnung zusammen, die ich kurz vor dem Siegsprung von Stefan Kraft hatte.
Wir Reporter stehen während des Springens im Auslauf der Schanze. Wir sehen die Athleten landen und warten dann, bis die Materialkontrolle abgeschlossen ist, die TV-Stationen mit Interviews bedient sind und die Springer zu uns kommen. Wahrscheinlich haben es viele von Euch in der Liveübertragung wahrgenommen - Andreas Wellinger war mega enttäuscht.
Statt um den Gesamtsieg mitzuspringen, ist für Wellinger der Traum vom goldenen Adler schon nach der ersten Station geplatzt. Kommen wir zurück zu dem Moment, der mich auch heute noch beschäftigt. Seit vielen Jahren führe ich Gespräche mit Wellinger. Es lohnt sich immer, mit diesem reflektierten und gleichzeitig lausbubenhaften Athleten übers Skispringen zu sprechen.
2018 hatte ich meine erste Begegnung mit ihm. Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang hatte er gerade die Goldmedaille von der Normalschanze gewonnen und sich damit für immer in den Geschichtsbüchern des deutschen Skispringens verewigt. Schon als 23-Jähriger hatte er das gewisse Etwas. Im Presseraum gab es wenig Platz, also bat er uns deutsche Journalisten spontan zu einem Sit-in auf den Boden. Es war einer der Höhepunkte seiner damals noch jungen Karriere - und einer meiner Höhepunkte als Journalist!
Gestern sah das Szenario anders aus. Wellinger lief zunächst an uns vorbei. „Ich komme nach dem Springen vorbei“, sagte er. Wir hatten kurze Zweifel, ob er sich uns gegenüber noch äußern wird. Nach dieser sportlichen Enttäuschung hätte ich ihm das auch nicht übel genommen. Aber auch in schweren sportlichen Momenten steht Wellinger Rede und Antwort.
Noch nie habe ich ihn so niedergeschlagen gesehen. Ich blickte in traurige Augen und merkte in diesem Moment, wie groß seine Enttäuschung ist. Der Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee ist ein riesiger Traum für ihn. Der gestern fürs Erste wieder geplatzt ist. Viel früher als ich es für möglich gehalten hatte und er natürlich auch.
Wellinger wäre nicht Wellinger, wenn er im Laufe des Gespräches nicht dann doch den einen oder anderen Spruch auf Lager gehabt hätte - ein Lausbub eben. Sie gingen ihm aber schwer von den Lippen, das war klar zu spüren. Er sprach von „fehlender Leichtigkeit“ und brachte es wieder einmal auf den Punkt. Ohne Leichtigkeit gewinnt man die Vierschanzentournee nicht. Und er wird sie in diesem Jahr wieder nicht gewinnen.
Das Gespräch fand ein schnelles Ende, denn Wellinger wollte unbedingt seinen Teamkollegen anfeuern und ihn im Auslauf empfangen. Die eigene Enttäuschung war kurz vergessen, in diesem Moment zählte nur Pius Paschke. Über den werde ich hier natürlich auch noch schreiben. Heute soll das Tagebuch aber Andi Wellinger gewidmet sein.
Ich hoffe und bin optimistisch, dass er im Laufe der Tournee seine Leichtigkeit wiederfindet. Dann kann er noch für das eine oder andere Highlight sorgen - auch wenn es für den Gesamtsieg nicht mehr reichen wird.
In diesem Sinne,
Kopf hoch Andi, bleib ein Lausbub und Euch allen einen guten Rutsch! Euer Tobias Ruf
In der kommenden Ausgabe blicke ich dann auf das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen zurück und habe weitere spannende Einblicke mit dabei.
Gibt es etwas, was Ihr schon immer über die Vierschanzentournee wissen wolltet? Schreibt mir gerne eine Mail unter tobias.ruf@ovbmedia.de. (Quelle: chiemgau24.de, truf)


