19-Jährige sorgt für Furore
Biathlon: Einser-Abitur und Kinderzirkus - Der spezielle Weg von Julia Tannheimer
Im Biathlon sorgt Julia Tannheimer für Furore. Die 19-Jährige lief in ihrem zweiten Weltcup direkt in die Weltspitze. Die Leistungen sind außergewöhnlich, ihr Weg ist ungewöhnlich. Die Hoffnungen auf die Ulmerin sind groß, sie selbst bleibt bescheiden.
Ulm / Kontiolahti - Im ersten Weltcup der neuen Biathlon-Saison war ein Name in aller Munde. Julia Tannheimer lief im Sprint auf den sechsten Rang. Einen Tag später kämpfte sie im Massenstart gar ums Podest. Die 19-Jährige musste sich ihren Teamkolleginnen Franziska Preuß und Vanessa Voigt im Zielsprint geschlagen geben. Am Ende stand ein bemerkenswerter fünfter Platz.
Julia Tannheimers Weg in die Weltspitze ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Im August 2005 wurde sie in Ulm geboren. Ein Ort, der nicht gerade für den Wintersport bekannt ist. 2005 wurde von der Sektion des Deutschen Alpenvereins in Ulm eine Biathlonanlage errichtet. Zehn Jahre später fand dort eine Jubiläumsveranstaltung statt.
Biathlon: Kinderzirkus, Turnen, Leichtathletik - Julia Tannheimer tobt sich aus
Dabei wurde ein Schnuppertraining für Kinder angeboten. Die damals zehnjährige Tannheimer war neugierig, nahm mit ihren Geschwistern am Schnuppertraining teil und machte ihre ersten Schritte im Biathlon. Sportlich interessiert und talentiert war sie schon vorher. Im Biathlon-Podcast ‚Extrarunde‘ schilderte sie ihren ungewöhnlichen Weg.
„Ich habe als Kind sehr viel ausprobiert. Radfahren, Leichtathletik, Turnen und auch im Kinderzirkus habe ich mitgemacht. Dort haben wir uns an Ringen, am Trapez und im Seiltanz versucht, das war aber mehr Spiel und Spaß“, erzählte Tannheimer im Podcast.
Unbewusst erhielt sie so eine ganzheitliche Ausbildung. Diese kommt ihr heutzutage offenbar entgegen. Tannheimer gehört trotz ihrer geringen Erfahrungen zu den stärksten Läuferinnen des Feldes. In Kontiolahti ließ sie viele arrivierte Kontrahentinnen auf der Strecke hinter sich.
Biathlon: „Viele Kinder sind im Bereich Beweglichkeit und Koordination limitiert“
Wie wichtig eine vielseitige Ausbildung bei Kindern ist, betonte Martin Schmitt im Gespräch mit chiemgau24.de. Der ehemalige Weltklasse-Skispringer ist seit vielen Jahren im Deutschen Skiverband für die Ausbildung im Nachwuchs zuständig. „Viele Kinder sind im Bereich Beweglichkeit und Koordination limitiert. Je vielseitiger die sportliche Ausbildung ist, desto größer sind meist die Erfolge im Erwachsenenalter - egal in welcher Sportart“, betonte Schmitt.
Zurück zu Julia Tannheimer: Das Schnuppertraining in Ulm weckte das Interesse am Biathlon. „Das hat einfach nochmal mehr Spaß gemacht als die anderen Sportarten“, ergänzte sie in der ‚Extrarunde‘. Tannheimer erhöhte das Trainingsvolumen und erzielte in Kinderrennen erste respektable Ergebnisse. „Mit 14 oder 15 habe ich dann entschieden, dass ich mir den Weg in den Leistungssport vorstellen kann“, führte sie weiter aus.
Biathlon: Tannheimer schlägt nationale Konkurrenz, international gelingt der Durchbruch
Es folgte der Schritt auf das Wintersport-Internat in Furtwangen. Auf nationaler Ebene schlug sie fortan die Konkurrenz klar, auch international machte sie schnell auf sich aufmerksam. 2022 lief sie bei ihren ersten Jugendweltmeisterschaften (JWM) in Soldier Hollow (USA) in allen Rennen unter die Top Ten - in einem Feld von fast ausnahmslos älteren Athletinnen. Bei der JWM 2023 im kasachischen Schtschutschinsk gewann sie in fünf Rennen vier Medaillen, darunter drei goldene.
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Im November 2023 gab Tannheimer ihr Debüt bei den Erwachsenen. Sie sammelte erste Erfahrungen im zweitklassigen IBU-Cup, wo sie am 16. Dezember 2023 den Massenstart im norwegischen Sjusjoen gewann und mit 18 Jahren und 137 Tagen zur jüngsten Siegerin eines IBU-Cup-Einzelrennens in der bisherigen Geschichte wurde.
Weltcup-Debüt in Ruhpolding, der Fokus liegt auf der Schule - mit Erfolg
Im Deutschen Skiverband wurden die Erfolge genau registriert. Knapp einen Monat nach dem historischen Erfolg in Sjusjoen folgte der nächste Meilenstein. Tannheimer wurde überraschend für den Weltcup in Ruhpolding nominiert. Ihr Debüt auf der größten Bühne im Biathlon war erstaunlich. Im Hexenkessel von Ruhpolding belegte sie im Sprint den 15. Rang, in der Verfolgung wurde sie 33.
Tannheimer hätte anschließend weitere Einsätze im Weltcup bekommen können, legte den Fokus aber auf ihre Entwicklung. Sportlich ging es zur JWM ins estnische Otepää, wo sie noch in der Jugendklasse hätte starten können, sich aber für die höhere Juniorenkategorie entschied und mit zwei Gold- und zwei Silbermedaillen abreiste.
Abseits des Sports konzentrierte sie sich auf ihr Abitur. Die schulische Ausbildung zu beenden, hatte Priorität. „Es war die richtige Entscheidung, auch wenn ich natürlich gerne im Weltcup geblieben wäre“, sagte sie in der ‚Extrarunde‘. Das Abitur schloss sie mit einer Gesamtnote von 1,1 ab. „Nach der mündlichen Prüfung in Deutsch war ich am Boden zerstört. Ich habe nur neun Punkte geschafft und so die 1,0 im Gesamtschnitt verpasst. Mittlerweile bin ich aber zufrieden“, ergänzte sie mit einem Lachen.
Es passt zu Tannheimers Auftreten. Trotz der beachtlichen Erfolge wirkt sie unbekümmert, dennoch fokussiert. Im Sommer 2024 trat sie bei den Deutschen Meisterschaften in Altenberg an. Kurz vor dem Start in den Sprint der Damen machte sie einen tiefenentspannten Eindruck. Sie lächelte, sang zur Stadionmusik mit - um anschließend auf die Strecke zu gehen, zu gewinnen und eine der jüngsten nationalen Titelträgerinnen der Geschichte zu werden.
Vergleiche mit den Jahrhundert-Biathletinnen Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier bringen Tannheimer in Verlegenheit. „Ich kann mich mit den beiden nicht sehen, das bekommt mein Kopf nicht hin. Es interessiert mich auch nicht so sehr, mich freuen die Ergebnisse. Rekorde sind in meinem Alter auch nicht so wichtig“, sagte sie in aller Bescheidenheit.
Dass die Hoffnungen im deutschen Biathlon groß sind, liegt anhand der Entwicklung von Tannheimer auf der Hand. Der Weltcup in Kontiolahti war aber erst ein Anfang. Der Weg zu einer ganz großen Karriere ist noch weit - auch wenn alle Voraussetzungen gegeben sind. (Quelle: chiemgau24.de, truf)

