Arnd Peiffer im Interview
Biathlon: „Wir müssen uns bei den Herren auf eine Delle einstellen“
Im deutschen Biathlon sind es derzeit die Damen, die für positive Schlagzeilen sorgen. Olympiasieger Arnd Peiffer spricht im Interview über die Nachwuchsproblematik bei den Herren, den beschwerlichen Weg in den Weltcup und seine Zeit, als er die ersten Schritte auf höchstem Niveau machte.
Ruhpolding - Arnd Peiffer hat den deutschen Biathlon über viele Jahre geprägt. Der Olympiasieger und mehrfache Weltmeister ist seit seinem Rücktritt 2021 als Biathlon-Experte im Ersten tätig und arbeitet hauptberuflich in der Sportkoordination bei der Bundespolizei in Bad Endorf.
Im zweiten Teil des Interviews mit chiemgau24.de spricht der 37-Jährige über die komplizierte Lage im männlichen Nachwuchs, den schweren Weg in den Weltcup und seine Anfangszeit auf höchstem Niveau. Zudem erklärt er, welche neuen Perspektiven er durch seine Expertentätigkeit erlangt hat und was er heutzutage in der Karriereplanung ändern würde.
*Hinweis der Redaktion: Das Gespräch wurde vor dem Rücktritt des Herren-Bundestrainers Uros Velepc aufgezeichnet.
Biathlon: Arnd Peiffer im Interview: „Müssen uns bei den Herren auf eine Delle einstellen“
Herr Peiffer, haben wir in Deutschland ein männliches Nachwuchsproblem?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Wir haben durchaus talentierte Athleten im Nachwuchs. Aber ich fürchte, dass wir uns in der Phase nach Olympia 2026 auf eine kleine Delle einstellen müssen, was die Topleistungen im Weltcup angeht.
Woran liegt das?
Das hat meiner Meinung nach zwei Ebenen. Zum einen ist das aktuelle Weltcupteam relativ alt. Nur Danilo Riethmüller und Justus Strelow sind jünger als 30. Da die erfahrenen Athleten aber stärker sind als der Nachwuchs, haben sie auch die Berechtigung, im Weltcup zu starten. Das führt dann wiederum dazu, dass die Jungen kaum bis keine Erfahrung auf dem höchsten Niveau sammeln können. Wenn in der Zeit nach Olympia der eine oder andere erfahrene Athlet seine Karriere beendet, werden die jüngeren entsprechend Zeit benötigen, um sich in Richtung Weltspitze zu entwickeln.
Wäre es da nicht ratsam, die Jungen vermehrt einzusetzen?
Grundsätzlich bin ich der klaren Überzeugung, dass man sich im Weltcup am besten und schnellsten entwickeln kann. Aber wenn es die Ergebnisse nicht hergeben, ist es der falsche Weg, pauschal auf die Jugend zu setzen. Spitzensport muss sich in erster Linie über Leistung definieren, nicht übers Alter.
Biathlon: „Wer sich auf Erfolgen im Juniorenbereich ausruht, wird es im Weltcup nicht weit bringen“
Es gab in der Vergangenheit aber durchaus auch bei den Männern Erfolge im Jugend- und Juniorenbereich zu verzeichnen. Welche Aussagekraft haben Medaillen bei Nachwuchsweltmeisterschaften?
Sie sind nur ein Zwischenschritt. Man ist auf einem guten Weg, hat aber nicht die Garantie, dass man auch später im Weltcup gut ist. In der Jugend- und Juniorenzeit läuft man nur in einer gewissen Altersspanne. Im Weltcup läuft man aber gegen alle. Da sind unzählige Athleten dabei, die bei Großereignissen Medaillen im Nachwuchs geholt haben. Damit ist man einer unter vielen. Wer sich auf Erfolgen im Juniorenbereich ausruht, wird es im Weltcup nicht weit bringen.
Ist das ein rein deutsches Phänomen?
Das sicher nicht, aber aufgrund der bereits genannten Altersstruktur ist die derzeitige Lage in Deutschland sicher besonders herausfordernd.
Gefühlt kommen die Damen in jüngerem Alter in den Weltcup und behaupten sich dort auch schneller als ihre männlichen Kollegen. Ist das nur Gefühl oder sind das Tatsachen?
Verallgemeinern würde ich es nicht. Wir sehen ja gerade, dass beispielsweise Eric Perrot aus Frankreich oder Tommaso Giacomel aus Italien in recht jungem Alter schon Rennen gewinnen. Grundsätzlich kann man aber schon sagen, dass sich die Frauen etwas früher entwickeln, als es bei den Männern der Fall ist. Mehr als ein oder zwei Jahre Differenz sehe ich hier aber nicht.
Peiffer über die Vergangenheit: „Uns wurde nichts geschenkt“
Sie und ihre damaligen Mitstreiter, wie beispielsweise Erik Lesser oder Simon Schmepp, sind mit Anfang 20 in den Weltcup gekommen und haben dort direkt auf hohem Niveau abgeliefert. Warum war das damals in dieser Form möglich?
Den Hauptgrund führe ich darauf zurück, dass wir eine besondere Gruppe waren. Schon im Juniorenbereich waren wir wie eine Art Weltcupmannschaft aufgestellt. Wir hatten gute Trainer, einen eigenen Physiotherapeuten dabei und waren auch im Sommer als Team unterwegs. Zudem haben wir hart gearbeitet und uns innerhalb der Gruppe gegenseitig zu Höchstleistungen gepusht. Das hat dann mit der Zeit eine eigene Dynamik angenommen.
Wie hart war der Übergang in den Weltcup?
Wir mussten uns die Startplätze erkämpfen, uns wurde nichts geschenkt. Durch die guten Strukturen, die wir in der Jugend hatten und die wir uns sportlich auch erarbeiteten, ist uns der Übergang dann aber recht schnell gelungen.
Danilo Riethmüller, der wie Sie für den WSV Clausthal-Zellerfeld startet, stand kurz vor dem Ende seiner jungen Biathlon-Karriere. Jetzt ist er Teil des Weltcups, stand bereits auf dem Podium und hat bei der WM eine Medaille mit der Staffel gewonnen. Ist er ein Paradebeispiel dafür, dass man bei den Herren mehr Zeit einplanen muss, um eine Karriere zu konzipieren?
Er ist vor allen Dingen ein Paradebeispiel dafür, dass im Biathlon alle Komponenten zusammenpassen müssen. Talent hatte Danilo schon immer, das alleine reicht aber nicht. Inzwischen stimmen seine Strukturen. Er hat für sich ein ideales Umfeld geschaffen, sportlich und privat. Zudem legt er die nötige Professionalität an den Tag und hatte auch das Quäntchen Glück, das es im Leistungssport immer braucht.
„Ich blicke sehr liebevoll auf diesen Sport, mir fällt kein besserer ein“
Sie sind seit 2022 als Experte im Ersten tätig. Hat sich Ihr Blick auf Biathlon verändert?
Ich habe meinen Sport aus einer anderen Perspektive kennenlernen dürfen und bin sehr glücklich darüber. Als Athlet kreist man viel um sich selbst und entwickelt keinen Blick für das Große und Ganze. Biathlon ist einfach eine großartige Sportart, die alles mitbringt. Man trainiert vielseitig, Körper und Geist werden beansprucht. Das Umfeld ist sehr familiär, auch in der Öffentlichkeit ist die Balance zwischen Aufmerksamkeit und Privatsphäre gegeben. Um es in kurzen Worten zu sagen: Ich blicke sehr liebevoll auf diesen Sport, mir fällt kein besserer ein.
Was würden Sie aus heutiger Perspektive ändern, wenn Sie noch Athlet wären?
Ich würde gezielter priorisieren. Ich habe mich oft wochenlang mit Rennen beschäftigt, die alle anderen längst vergessen hatten. Auch im medialen Umgang habe ich durch meine jetzige Tätigkeit im Ersten viel gelernt. Da würde ich mit meinem heutigen Wissen sicher anders agieren.
Wie meinen Sie das?
Die Interviews nach den Rennen haben eine so hohe Reichweite, da sollte man die kurze Zeit gezielt nutzen, um seine Sicht klar darzustellen. Bei Social Media würde ich eine andere Herangehensweise wählen, wie ich es zu Beginn meiner Karriere getan habe. Da hat mich ein Vorfall besonders geprägt.
Erzählen Sie mehr davon . . .
Wir sind in der Staffel gelaufen. Vorab wurde ich im TV eingeblendet, wie ich ein Gel zu mir nahm. Ich habe dann eigentlich ein gutes Rennen gemacht, war aber gegen den inzwischen als Dopingsünder überführten Russen Sergej Ustjugow unterlegen. Anschließend brachte einer meiner Follower bei Facebook eine Debatte in Gange, dass ich wegen des Gels gegen Ustjugow den Kürzen gezogen hatte. Das hat mich beschäftigt, ich habe unsere Ärzte und Sportwissenschaftler damit konfrontiert. Im Nachhinein betrachtet, war das komplett verschwendete Energie. Ich habe inzwischen meine Bachelorarbeit über Kohlenhydratversorgung geschrieben und weiß, dass ich mich damals mit einer plumpen und falschen Aussage eines Users beschäftigt hatte, den ich gar nicht kenne. Das würde mir mit meinem heutigen Wissen nicht mehr passieren. Aber das sagt sich im Nachhinein natürlich immer leichter, als es im jeweiligen Moment der Fall ist. (Quelle: chiemgau24.de, truf)