„So viele wie nie zuvor“
Neun Milliarden Reisen: Größte Völkerwanderung aller Zeiten beginnt
China steht vor der größten Massenmigration aller Zeiten. Im beginnenden Jahr des Drachen hoffen viele auf eine Belebung der Wirtschaft – und mehr Geburten.
Am 10. Februar begrüßt China das Jahr des Drachen: In der Volksrepublik und in vielen anderen Ländern Asiens beginnt nach dem Mondkalender das neue Jahr. Hunderte Millionen Menschen nutzen die freien Tage rund um das sogenannte Frühlingsfest, um ihre Verwandten zu besuchen. Für viele bedeutet das: raus aus den großen Städten an der Ostküste, rein in den Zug – und dann ab nach Hause, zu Eltern oder Großeltern, in kleine Dörfer oder nicht ganz so kleine Provinzstädte im chinesischen Hinterland.
Im vergangenen Jahr wurden an manchen Bahnhöfen bis zu 2500 Passagiere abgefertigt – pro Minute. Und diesmal könnte es noch voller werden. Denn Chinas Transportministerium erwartet ab Freitag (26. Januar), wenn die offiziell 40-tägige Reisezeit rund um das Frühlingsfest beginnt, rund neun Milliarden Einzelreisen – so viele wie nie zuvor. Die hohe Zahl kommt zustande, weil viele der 1,4 Milliarden Chinesen mehrere Etappen benötigen, um ans Ziel zu gelangen, oder Familienmitglieder an unterschiedlichen Orten besuchen. Es wird wohl die größte Völkerwanderung der Menschheitsgeschichte.
Für Chinesen hat das Frühlingsfest denselben Stellenwert wie für Menschen hierzulande Weihnachten. „Einmal im Jahr kommen alle zusammen“, erzählt Liu Haiyang. Die 26-Jährige arbeitet in der Tech-Metropole Shenzhen im Süden Chinas bei einer Bank. „Man trifft seine Familie, seine Freunde.“ Schon vor einem Monat hat sie ihr Flugticket gebucht, kurz vor dem 10. Februar geht es für sie in die Heimatstadt Peking, rund 2000 Kilometer nördlich von Shenzhen.
Reisewelle könnte Wirtschaft beleben
Im vergangenen Jahr konnten die Menschen in der Volksrepublik erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie wieder ohne Einschränkungen auf Verwandtenbesuch gehen. Damals wurden zwar rund 50 Prozent mehr Reisen gezählt als noch im Pandemie-Jahr 2022, aber dennoch deutlich weniger als vor Corona. Der Nachholbedarf scheint in diesem Jahr also hoch.
Damit einher geht wie jedes Jahr die Erwartung, dass von der Reiselust der Chinesen auch die Wirtschaft des Landes profitiert. Und die hat derzeit mit gleich reihenweise Problemen zu kämpfen. Neben einer schwelenden Immobilienkrise und stark verschuldeten Provinzregierungen macht Ökonomen auch der niedrige private Konsum Sorgen. Das Frühlingsfest, das traditionell auch eine Zeit des Kaufens, der Restaurantbesuche und Hotelübernachtungen ist, könnte für eine kurzfristige Belebung der Wirtschaft sorgen.
China hofft auf die „Drachen-Babys“
Die Sorgen, sich mit dem Coronavirus anzustecken, treibt anders als im vergangenen Jahr wohl nur die wenigsten Chinesen um, die sich nun auf den Weg zu ihren Liebsten machen. Vor einem Jahr hingegen war das Frühlingsfest möglicherweise ein Superspreader-Event. Zwar behaupteten Staatsmedien, es sei „zu keinen größeren Infektionen“ gekommen. Allerdings wecken unter anderem Zahlen zur Entwicklung der chinesischen Bevölkerung, die unlängst vorgestellt wurden, Zweifel an dieser Behauptung. So starben in China im vergangenen Jahr fast 700.000 Menschen mehr als noch 2022. Die Zahl deckt sich grob mit Schätzungen ausländischer Experten, die nach dem plötzlichen Aus von Chinas strikter Null-Covid-Politik kurz vor Beginn des Frühlingsfests rund eine Million Corona-Tote vorhergesagt hatten.
Insgesamt, so die Statistiker, fiel Chinas Bevölkerung im vergangenen Jahr um rund zwei Millionen Menschen. Schuld daran ist vor allem der anhaltende Geburtenrückgang: Nur noch gut neun Millionen Babys erblickten 2023 das Licht der Welt, halb so viele wie 2016. Im nun beginnende Jahr des Drachen dürften allerdings wieder etwas mehr Kinder geboren werden. Denn sogenannte „Drachen-Babys“ können sich laut Volksglauben auf ein besonders glückliches Leben freuen.
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