„Brauchen nicht um den heißen Brei reden“
Vorzeigeverein gestern, Sorgenkind heute: Türk Spor Rosenheim im Krisenmodus
Noch vor wenigen Monaten als Vorzeigeverein gefeiert, steckt Türk Spor Rosenheim heute tief in der Krise. Der Saisonstart ist bisher nach vier Spieltagen ein reiner Albtraum – doch woran liegt das? Trainer Yasin Temel spricht gegenüber beinschuss.de nun Klartext.
Rosenheim – Noch vor wenigen Monaten stand Türk Spor Rosenheim für alles, was im Amateurfußball eigentlich als kleine Sensation gilt. Einst abgestempelt als Skandalverein, hatten die Verantwortlichen den Klub in Rekordzeit vom Problemfall zum Vorzeigeprojekt gemacht. Gesellschaftlich engagiert, sportlich ambitioniert und mit greifbaren Erfolgen auf dem Platz. Im Toto-Pokal etwa schrammte man im Oktober letzten Jahren nur knapp an einer Sensation vorbei: Erst im Halbfinale stoppte der Bezirksligist TSV Ampfing die Brüder Yüksel und ihre Mannschaft. In der Kreisklasse spielte Türk Spor bis zuletzt um den Aufstieg mit. Heute ist von diesem Glanz nichts mehr übrig. Vier Spiele, vier Niederlagen, Tabellenletzter der Kreisklasse 2, Tordifferenz 2:11. Das ernüchternde Bild eines Vereins, der plötzlich im Abstiegsstrudel steckt. Beim Heimspiel gegen den TV Obing, der derzeit als Überflieger der Liga gilt, setzte es die nächste Pleite – wenn auch knapp. 0:1 hieß es am Ende, erneut ohne Punkte, erneut mit hängenden Köpfen.
Rosenheim: Türk Spor nach Fehlstart in der Fußball-Krise
Trainer Yasin Temel wirkt gefasst, doch seine Worte tragen Gewicht. „Wir haben wieder ein Tor hergeschenkt. Aber ab der 20. Minute war das mit Abstand unser bestes Spiel“, sagt der 34-Jährige. Eine bittere Feststellung, wenn man bedenkt, dass seine Mannschaft trotz guter Chancen – zweimal Latte, einmal Pfosten – wieder mit leeren Händen dastand. „Manchmal braucht man einfach Glück. Das hatten wir nicht. Aber riesen Respekt an den Gegner, sehr guter Gegner.“ Die nüchterne Bilanz bleibt: null Punkte nach vier Spielen. Ein Fehlstart, den Temel nicht schönreden will. „Da brauchen wir nicht um den heißen Brei reden. Das ist ein klarer Fehlstart.“ Er könnte auf die Urlaubszeit verweisen, auf fehlende Spieler. Doch Ausreden sind nicht sein Stil. „Wir haben genug Spieler. Die, die da waren, haben ihr Bestes gegeben. Manchmal läuft es nicht. Da musst du dich rausarbeiten, erzwingen, weitermachen.“
Ein Satz, der wie ein Mantra wirkt: rausarbeiten, erzwingen, weitermachen. Temel weiß, wovon er spricht. Der Rosenheimer mit türkischen Wurzeln war selbst Profi-Talent, kickte in der Jugend bei der SpVgg Unterhaching, Jahn Regensburg und sogar bei Konyaspor. Später sammelte er Erfahrung in der Bayernliga und Landesliga beim Sportbund Rosenheim. Dass er nun im Amateurfußball an der Seitenlinie steht, macht ihn für seine Spieler glaubwürdig – und bringt zugleich Erwartungen mit sich, die schwer zu erfüllen sind. Denn die Ansprüche in Rosenheim waren zuletzt hoch. „Ja, die Ansprüche sind immer andere“, sagt Temel. Nun geht es plötzlich ums nackte Überleben in der Liga. „Es ist ungewohnt. Die Spielweise in dieser Kreisklasse ist anders. Wir müssen uns damit abfinden: null Punkte nach vier Spielen. Da hilft nur arbeiten, arbeiten, arbeiten – und ich weiß, wie das geht.“
Türk Spor Rosenheim: Vorzeigeverein gestern, Sorgenkind heute
Die Krise ist auch eine mentale Herausforderung. Türk Spor ist es gewohnt, vorne mitzuspielen, Schlagzeilen mit Erfolgen zu schreiben. Nun dominieren Niederlagenberichte und Tabellenkeller. „An der Einstellung oder Motivation liegt es nicht“, betont Temel. „Die letzten zwei Spiele war die Leistung super. Aber wir müssen die einfachen Fehler abstellen, die zu Gegentoren führen.“ Dass ausgerechnet Türk Spor in solch eine Lage geraten ist, macht die Geschichte doppelt brisant. Noch im vergangenen Jahr war der Klub überregional für seine Wandlung gefeiert worden – vom Skandalverein zum Hoffnungsträger, wie beinschuss.de ausführlich berichtete. Integration, Zusammenhalt, ein neues Image: all das schien gelungen. Der sportliche Erfolg passte dazu, die Mannschaft begeisterte mit mutigem Fußball und setzte positive Schlagzeilen.
Obing baut Traumstart aus – Türk Spor Rosenheim bleibt ohne Punkte
Umso tiefer fällt nun der Kontrast. Von Euphorie ist wenig geblieben, die Realität heißt Abstiegskampf. Und doch: Es gibt Hoffnung. Temel sieht trotz aller Rückschläge Fortschritte. „Die letzten beiden Spiele waren wir mindestens ebenbürtig“, sagt er. Tatsächlich fehlten gegen Obing nur wenige Zentimeter – ein Lattenkracher mehr ins Netz, und die Stimmungslage wäre eine andere. So aber bleibt Türk Spor Rosenheim ein Rätsel dieser Saison: ein Klub, der sportlich ins Bodenlose rutscht, obwohl der Kader Potenzial hat und der Trainer überzeugt ist. Die kommenden Wochen – darunter schon Freitag (12. September) um 18.45 Uhr beim TSV Breitbrunn-Gstadt – werden zeigen, ob die Mannschaft den Umschwung schafft – oder ob aus dem Traumverein von gestern schon bald ein Abstiegskandidat von heute wird. (mck)
