Als schon keiner mehr dran glaubte
Reichertsheimer Meisterfeier mit „Mama und Papa“ nach irrer Aufholjagd in Pfaffing
Dieses Saisonfinale wird allen Zuschauern, Trainern und Spielern im Gedächtnis bleiben. Die Reserve des SV Reichertsheim (SGRRG II) holt sich die Meisterschaft der A-Klasse 3 nach einer irren Aufholjagd. Für die Spieler bedeutet das alles: Manche machen den Thomas Müller – und andere feiern mit Mama und Papa.
Pfaffing/Reichertsheim – Die Tabellensituation vor dem Spiel ist eindeutig: Tabellenführer ist der SV Reichertsheim II, der ein Punkt zur sicheren Meisterschaft reicht. Direkt dahinter lauert Verfolger SC Rechtmehring, der nur durch eine Niederlage Reichertsheims und einen eigenen Sieg noch aufsteigen kann. Auch für den Gegner der SGRRG II, den SV Forsting-Pfaffing, geht es noch um etwas: Im Idealfall um die Relegation zur Kreisklasse. Schon vor Anpfiff liegt also Spannung über dem Sportplatz in Forsting.
Die Gastgeber starten mutig und setzen die ersten Akzente. Zwei gefährliche Abschlüsse entschärft jedoch Elias Wagenspöck – der 20-jährige Schlussmann der Gäste, der sich mit seinen Paraden früh auszeichnet. Gegenüber beinschuss.de beschreibt er die Bedeutung dieser frühen Aktionen: „Ja, das ist Motivation – erstens für die Mannschaft, dass man nicht früh in Rückstand gerät, aber auch für sich selbst, dass man gleich gut ins Spiel reinkommt und Sicherheit bekommt. Hat mir schon getaugt.“
Reichertsheim: Meisterfeier mit Mama und Papa nach irrem Spiel in Pfaffing
In der 19. Minute ein Aufschrei der mitgereisten Reichertsheimer Fans: „Foul, Schiri!“ – und der Unparteiische zeigt tatsächlich auf den Punkt. Felix Maier verwandelt sicher – 0:1 aus dem Nichts. Kapitän Johannes Sperr war schon vor Anpfiff guter Dinge:
„Wir sind mit sehr guter Stimmung angereist. Wir hatten ein gutes Gefühl. Sind in die Kabine und haben angesprochen, dass wir nichts zu verlieren haben. Natürlich gehst du bei so einem Spiel raus und bist nervös. Der Elfmeter hat uns gutgetan.“ Doch kurz darauf nimmt das Spiel eine Wendung. In der 24. Minute muss Sebastian Pichlmeier nach einem Foulspiel für zehn Minuten vom Feld. Die numerische Überzahl nutzt Forsting direkt: In der 31. Minute gleicht Benedikt Schwaiger mit einem sehenswerten Freistoß aus.
Nur wenige Minuten später fällt der Führungstreffer – wieder nach einem Standard. Dieses Mal trifft Marinus Stillner. Fast zeitgleich erzielt Rechtmehring im Parallelspiel das 0:1 – in diesem Moment wäre der SC Meister, und für Reichertsheim beginnt das Zittern. Die Pause bringt keine Entlastung – im Gegenteil. Nur zwei Minuten nach Wiederanpfiff fällt das 3:1 für Forsting. Jonas Traunsteiner trifft per Volley – ein Tor, das laut einigen Reichertsheimer Fans durchaus zu verteidigen gewesen wäre. Der Winterneuzugang im Tor ist bei allen drei Gegentreffern machtlos. Nach dem dritten Treffer spricht er offen über seinen Gefühlszustand: „Ich muss ehrlich sein. Ich habe nach dem 3:1 nicht mehr dran geglaubt. Ich habe starke Zweifel gehabt. Aber ich wusste, dass wir das noch rumreißen.“
Reichertsheim-Keeper Wagenspöck glaubte nicht mehr an die Meisterschaft
Spätestens in der 70. Minute scheint alles entschieden. Forsting fühlt sich wie der sichere Sieger – doch Reichertsheim gibt sich nicht geschlagen. Sperr bringt es nach dem Spiel auf den Punkt: Es ist der „Wille und Glaube“, der die Mannschaft weiter antreibt. In der 75. Minute fällt der Anschlusstreffer durch Niklas Wimmer – und das Märchen beginnt sich zu schreiben. 150 Zuschauer stehen, niemand sitzt mehr. Alle Augen sind auf das Spielgeschehen gerichtet. Man hört nur die Trommeln der SGRRGFans, dann ein Pfiff von Schiedsrichter Josef Ramsl – erneut Elfmeter für Reichertsheim. Die große Chance zum Ausgleich. Am Punkt: Abu Wilson, ein Spieler mit besonderer Geschichte. Vor dem Strafstoß hat er ein klares Ziel vor Augen: „Ich habe mir gedacht: Wir müssen aufsteigen. Wir können nicht hierbleiben. Wir sind zu gut.“
Sein Trainer Christian Katozka kennt ihn seit Jahren und erzählt mit bewegten Worten, was hinter dem Spieler steckt: „Den Abu kenn ich mittlerweile seit zehn Jahren. Der ist mit 17 Jahren von Sierra Leone nach Deutschland gekommen. Er war ein Jahr auf der Straße in München. Hat Bezirks- und Landesliga gespielt. Als ich in Wasserburg Trainer war, ist er mal zu einem Training gekommen. Man hat irgendwo gemerkt, dass er Hilfe braucht. Meine Frau nennt er Mama, zu mir sagt er Trainer. Ich bin aber irgendwo sein Papa. Wir helfen ihm. Die haben den so super aufgenommen. Er ist mittlerweile ein Reichertsheimer.“
Wahnsinns-Finale in Pfaffing: Reichertsheimer Reserve krallt sich die Meisterschaftskrone




Wilson verwandelt eiskalt – via Innenpfosten. Was folgt, ist pure Ekstase. Spieler, Fans, Trainer – alle liegen sich in den Armen. Der Stürmer läuft zur Eckfahne, zieht sein Trikot aus. Von den mitgereisten Fans hört man: „Abu Wilson du bist der beste Mann, du weißt das.“ Nach dem Spiel spricht er auf Englisch über den Moment, der für ihn mehr bedeutet als nur ein Fußballspiel: „Es ist großartig. Mit jemandem zu gewinnen, den ich Papa nenne. Mit all diesen Leuten zu gewinnen, ist einfach schön. Die Meisterschaft bedeutet mir viel. Es ist zwar nicht meine erste. Aber diese ist einfach besonders.“
Hinter SGRRG-Spieler Abu Wilson steckt eine besondere Geschichte
Die Feier nach dem Abpfiff ist ausgelassen – und nicht nur die Spieler geraten in Feierlaune. Sogar die vierbeinigen Begleiter lassen sich vom Jubel anstecken. Besonders emotional wird es für Sebastian Pichlmeier. Der Toptorjäger beendet nach 23 Jahren beim Verein seine aktive Laufbahn. „Die Meisterschaft ist absolut verdient für die zweite Mannschaft. In einem ländlichen Verein, wo kein Geld gezahlt wird, da heißt es einfach: die Leute zusammenhalten. Wenn vor der Saison jemand gesagt hätte, wir wären unter den Top fünf, hätten wir es mit Handkuss unterschrieben. Aber dass wir, als eine von zwei Mannschaften in dieser doch sehr starken A-Klasse tatsächlich Meister werden, das ist schon etwas Besonderes.“
Mit zwölf Saisontreffern hat der 33-Jährige großen Anteil am Erfolg. Auf die Frage, ob er seinen Abschied, mit dem von Thomas Müller vergleichen würde, antwortet er mit einem Augenzwinkern: „Müller hört auf, Hummels hört auf, und ich höre auf. Vielleicht starte ich was mit den beiden.“ Und grinst: „Aber ich erzähle keinen Witz.“ – eine Anspielung auf Müllers legendären Auftritt beim letzten Heimspiel des FC Bayern.
Trainer Katozka ist nach 90 aufreibenden Minuten sichtlich gerührt – die Emotionen stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Er richtet zum Schluss klare Worte an sein Team: „Es war ein Wahnsinnsspiel. Wenn ich in einem entscheidenden Spiel 3:1 hinten bin und dann nochmal so zurückkomme – das ist die Mentalität, die wir drin haben. In den Spielern und in den Zuschauern. Riesenkompliment an die Mannschaft und an die Fans.“ Gefeiert wird im Garser Sportheim – mit allem, was zu einem echten Meisterabend dazugehört. Kapitän Johannes Sperr kündigt augenzwinkernd „ein bis zwei Kaltgetränke“ an. Nach diesem Spiel? Kaum vorstellbar, dass es dabeibleibt. (mck)