Um Ihnen ein besseres Nutzererlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies.
Durch Nutzung unserer Dienste stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen
Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.
Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für
. Danach können Sie gratis weiterlesen.
Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
Ob Primärarztmodell, Reform der Beamtenbeihilfe oder eine Neuordnung der Versicherungslandschaft: Ohne mutige politische Entscheidungen werden sich Millionen Versicherte auf steigende Beiträge und eingeschränkte Leistungen einstellen müssen.
Finanzkrise der Krankenkassen: Höhere Beitragssätze können das massive Milliardendefizit nicht ausgleichen, während Reformen stocken.
Berlin – Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland stecken tief in der Krise. Ein Rekorddefizit in Höhe von 6,2 Milliarden Euro für das Jahr 2024, schwindende Rücklagen und eine alternde Gesellschaft setzen das System massiv unter Druck., schwindende Rücklagen und ein ungedeckter Finanzbedarf bringen das System zunehmend ins Wanken. Bereits jetzt müssen Millionen Versicherte höhere Beiträge zahlen – und es ist absehbar, dass dies nicht das Ende der Fahnenstange ist. Experten fordern strukturelle Reformen, um die Stabilität der Gesundheitsversorgung zu sichern.
Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, findet deutliche Worte: „Wir brauchen eine Kernsanierung des Gesundheitswesens.“ In einem Interview mit dem Podcast „‘ne Dosis Wissen“ der Apotheken Umschau erklärt er: „Das ist nicht mehr eine übliche Finanzkrise, sondern wir sind für einen Teil der Kassenlandschaft wirklich am Rande des Zusammenbruchs.“ Storm fordert nicht nur kurzfristige Maßnahmen, sondern ein grundlegendes Umdenken. Er stellt sogar die Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung infrage und betont, dass vor allem die ambulante Versorgung neu organisiert werden müsse. Ein vorgeschlagenes Modell sei das sogenannte Primärarztsystem, bei dem Patienten zunächst einen Hausarzt konsultieren, bevor sie Fachärzte aufsuchen. Dies solle die überlasteten Terminvergabesysteme entlasten.
Den Deutschen Krankenkassen geht das Geld aus – mit Folgen für Millionen Menschen
Um dem Defizit zu begegnen, haben viele Krankenkassen Anfang 2024 ihre Zusatzbeiträge erhöht – laut GKV-Schätzerkreis im Durchschnitt auf 2,5 Prozent, in Einzelfällen sogar auf vier Prozent. Doch diese Maßnahmen scheinen nicht auszureichen. „Wenn jetzt nicht gegengesteuert wird von der neuen Ministerin, dann müssen wir auch beim nächsten Jahreswechsel wieder mit deutlich steigenden Beiträgen rechnen“, so Storm. Er warnt vor einer gefährlichen Spirale, in der immer höhere Beiträge nur kurzfristige Lücken stopfen, ohne das Grundproblem zu lösen. Nach Berechnungen des Beratungshauses McKinsey kam es allein im letzten Jahr zu 126 Beitragserhöhungen bei rund 100 Krankenkassen, berichtet das Handelsblatt– teils mehrfach pro Kasse.
Die gesetzliche Untergrenze der Rücklage liegt bei 20 Prozent der monatlichen Ausgaben. Diese Marke wurde bereits unterschritten – ein deutliches Warnsignal. Um die Zahlungsfähigkeit der Kassen zu sichern, sieht das Sozialgesetzbuch Notfallmechanismen wie zinslose Darlehen oder vorgezogene Bundeszuschüsse vor.
Minister unter Merz: Komplette Liste des Kabinetts – von Klingbeil bis zu „neuen Gesichtern“
Krankenkassensystem in der Krise: GKV-Spitzenverband fordert strukturelle Korrekturen
Auch der GKV-Spitzenverband warnt vor einem „Weiter-so“. Die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben sei nachhaltig gestört. In einer Mitteilung heißt es: „Die aktuelle Diskussion über mögliche Liquiditätsengpässe des Gesundheitsfonds zeigt, wie ernst die finanzielle Lage der GKV insgesamt ist.“ Besonders problematisch sei laut Verband die verzögerte Wirkung von Beitragserhöhungen bei Rentnern: Wenn eine Kasse den Zusatzbeitrag anhebt, dauert es zwei Monate, bis der höhere Beitrag bei der Rentenversicherung ankommt. In der Zwischenzeit zahlt der Gesundheitsfonds bereits den höheren Kassenzuschuss. Diese Lücke belaste das System mit rund 650 Millionen Euro jährlich. Der Verband fordert daher eine gesetzliche Regelung, nach der die Rentenversicherung zumindest einen Teil der Differenz ausgleicht.
Neben kurzfristigen Finanzlücken droht das gesamte System unter der demografischen Entwicklung zu erodieren. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherung (WIP) zeigt die wachsende Belastung für jüngere Beitragszahler. Demnach wird der Beitragssatz zur Sozialversicherung – ohne Reformen – bis 2035 auf 47,5 Prozent steigen und im Jahr 2050 sogar 52,9 Prozent erreichen. Wer im Jahr 2020 geboren wurde, wird laut Studie im Laufe seines Erwerbslebens durchschnittlich 55,6 Prozent seines Bruttoeinkommens für Sozialabgaben aufwenden müssen. Zum Vergleich: Beim Jahrgang 1960 waren es 39,4 Prozent.
Ob Primärarztmodell, Reform der Beamtenbeihilfe oder eine Neuordnung der Versicherungslandschaft: Ohne mutige politische Entscheidungen werden sich Millionen Versicherte auf steigende Beiträge und eingeschränkte Leistungen einstellen müssen.
Düstere Prognose: Beitragssatz steigt bis 2050 auf 52,9 Prozent – Junge Generation besonders belastet
In Eurozahlen bedeutet das: Ein Durchschnittsverdiener aus dem Jahrgang 2020 zahlt rund 904.000 Euro an Sozialabgaben – im Jahrgang 1960 waren es 640.000 Euro. „Wenn künftige Erwerbstätige über die Hälfte ihres Einkommens für Sozialbeiträge aufbringen müssen, ist das kein tragfähiger Generationenvertrag mehr“, sagt Dr. Frank Wild, Institutsleiter des WIP in einer Pressemitteilung desVerbands der Privaten Krankenversicherung e.V.
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag bereits Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV angekündigt, sowohl kurzfristige als auch mittelfristige. Doch aus Sicht vieler Experten reicht das nicht aus. Gesundheitswissenschaftler Heinz Rothgang von der Universität Bremen kritisiert im Handelsblatt die bisherigen Maßnahmen als „Taschenspielertrick“: Die strukturellen Probleme würden damit nicht gelöst, es handele sich lediglich um ein zeitliches Hinauszögern des Kollapses. Storm fordert daher klare politische Entscheidungen – auch unpopuläre. Eine Reform der Beihilfe für Beamte etwa sei überfällig. „Man kann natürlich nur ganz schwer erklären, warum zum Beispiel ein Lehrer, der angestellt ist, eine andere Gesundheitsabsicherung hat wie ein Lehrer, der verbeamtet ist“, so der DAK-Chef im Podcast der Apotheken Umschau. (ls)