Antwort von Dorothea Perkusic:

Es ist rein gar nichts Falsches daran, dass Sie Erwartungen haben. Erwartungen haben auch immer etwas mit dem Selbstwert zu tun und dem, was ein Mensch bereit ist, sich selbst zuzugestehen und sich vom Leben und der Liebe zu wünschen. Erwartungen definieren uns also auch. Sie definieren unsere Bereitschaft zu geben und auch unsere Bedürfnisse und Maßstäbe bezüglich den Dingen, die wir brauchen. Erwartungen sind definierte Wünsche und Vorstellungen. Wir haben alle Erwartungen und das ist gut so! Erwartungen zu haben bedeutet nämlich, Träume und Ziele zu haben. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass Erwartungen Lebensenergie sind und die Entwicklung befeuern. 

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Natürlich ist es so, dass Menschen unterschiedlich viel Entwicklung und Abwechslung brauchen. Auch die Zeitpunkte, zu denen ein Weiterkommen möglich ist, sind nicht immer simultan. Ich bin mir sicher, dass auch Ihr Freund Erwartungen hat. Möglicherweise ist er zufriedener in der Beziehung, weil seine (vielleicht ihm auch eher unbewussten Erwartungen) erfüllt und befriedigt sind. Deshalb muss das bei Ihnen nicht genauso sein. Eine Beziehung ist kein permanenter  Glücksspender und wir sind als Beziehungsmenschen nicht dafür verantwortlich, des anderen Erwartungen zu erfüllen. Es könnte allerdings eine Motivation sein, es sich füreinander und miteinander so gut wie möglich zu machen. Keine Erwartungen zu haben wäre für mich gleichzusetzen mit Resignation. 

Ihr Freund könnte Sie ermutigen, Ihre Erwartungen nicht als Kritik, sondern als konstruktive  Hilfestellung, also positiv zu sehen. Denn so lange Sie noch etwas erwarten, wollen Sie auch noch  etwas von ihm. 

Etwas anders ist es, wenn Ihre Erwartungen die ganze Beziehung strukturieren. Dann wird es einengend, denn der Druck ist enorm. Das Problem ist dann, dass Sie enttäuscht werden, weil Ihre Erwartungen eben höher sind, als es eventuell gesund ist, weil es zum Beispiel manipulativ wird oder für beide Seiten der Anspruch überfordernd wirkt. Ein anderes Problem kann sein, wenn die Person, die die Erwartungen nicht erfüllt, das was erforderlich wäre einfach nicht so fühlen oder erfüllen kann. 

Sprechen Sie in Ruhe und möglichst unvoreingenommen über dieses Thema mit den Erwartungen. Vergessen Sie dabei nicht zu erwähnen, welche vielleicht unausgesprochenen, grundsätzlichen Erwartungen sich in der Beziehung bereits erfüllen. 

Das ist wichtig, denn unerfüllte Erwartungen machen Ängste auf beiden Seiten. Sie haben Angst auf der Strecke oder hinter Ihren Wünschen und Möglichkeiten zurück zu bleiben, also eine Angst vor Stagnation. Ihr Freund hingegen lebt in der Angst vor Überforderungen oder auch des Verlustes in dem Bewusstsein, dass es Ihnen „nicht reicht“. Dies interpretiert er möglicherweise  so, dass „er nicht reicht“ und das kann schmerzhafte und verletzte Punkte in ihm treffen. Hier sollten Sie für Sicherheit sorgen und die entsteht über Klarheit. Also darüber, die Dinge offen an- und auszusprechen. 

Über die Erwartungen definieren sich Ihre Lebens- und Beziehungsvorstellungen. Gleichen Sie miteinander ab, ob sich hier die für Sie wichtigen Punkte und Werte decken. Sollten die Differenzen hier zu groß sein, dann können Sie immer noch über Trennung nachdenken. Allein die Tatsache, dass Sie Erwartungen haben, sollte keinen Grund zur Trennung darstellen.

Dorothea Perkusic