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Überblick und Faktencheck

„Warum hat Putin so viele Russischsprachige getötet?“ – Wie die Ukraine Russland entlarven will

Im Interview mit der FR konterte eine Selenskyj-Mistreiterin russische Vorwürfe: Werden Russischsprachige unterdrückt? Ein Faktencheck.

Krieg ist der Moment für Propaganda – und gerade Russlands Desinformations-Maschinerie steht nie still. Teils schwappen Erzählungen aus dem Kreml bis tief in die deutsche Debatte.

Zeit, einmal ohne Umwege die Version der Ukraine zu hören – aber auch zu hinterfragen: Yevheniia Kravchuk, Fraktionsvize von Wolodymyr Selenskyjs Partei Diener des Volkes, ist der Frankfurter Rundschau am Rande einer internationalen Konferenz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung Rede und Antwort gestanden. Die Kernaussagen und der Faktencheck im Überblick:

Aus Wladimir Putins Russland ertönen heftige Vorwürfe gegen die Ukraine – Selenskyj-Mitstreiterin Jevheniia Kravchuk antwortet deutlich.

Russlands Propaganda im Ukraine-Krieg: Die Legitimation von Selenskyj und der Rada

Russlands Behauptung: Wolodymyr Selenskyj und das Parlament haben kein demokratisches Mandat mehr.

Die Antwort: „In der aktuellen Lage ist es unmöglich, Wahlen abzuhalten, das sagt schon der Menschenverstand“, betont Kravchuk – angesichts stetiger Bombardements sei die Gefahr für Wählerinnen und Wähler zu groß. Das sei auch Konsens in der Opposition: „Das wird Ihnen jede und jeder sagen.“ Wahlen werde es nach Ende von Krieg und Kriegsrecht geben. Etwa sechs Monate Vorlauf werde das benötigen: Angesichts von Millionen im In- und ins Ausland geflüchteter Menschen brauche schon die Wahlberechtigten-Registrierung diese Zeit.

Die Faktenlage: Massive Lebensgefahr durch russische Angriffe ist nicht von der Hand zu weisen. Russland bombardiert die Ukraine täglich mit Drohnen und Raketen. Betroffen sind insbesondere auch zivile Ziele, zuletzt etwa Verwaltungsgebäude in Cherson und Pryluky in der Oblast Tschernihiw.

Gebäude der Regionalverwaltung in Pryluky und Cherson nach russischen Schlägen im Juni.

Fakt ist auch, dass die ukrainische Verfassung Wahlen unter Kriegsrecht nicht vorsieht. Präsident und Parlament sind also verfassungsgemäß weiter im Amt. Das ist in der Tat parteiübergreifend Konsens: Die Oppositions-Aushängeschilder Petro Poroschenko und Julija Tymoschenko lehnten Neuwahlen vor Kriegsende erst im März öffentlich ab.

Autoritäres Russland wettert gegen die Ukraine – wie es um die Demokratie bestellt ist

Russlands Behauptung: In der Ukraine gibt es keine Demokratie.

Die Antwort: „Wir haben eine starke Opposition“, sagt Kravchuk. Große Einigkeit im Parlament gebe es vor allem mit Blick auf Unterstützung der Armee und EU-Beitritt der Ukraine – denn in diesen Fragen sei auch die ukrainische Gesellschaft geeint. Und die prorussische „Oppositionsplattform“, von 2019 bis 2022 größte Oppositionsfraktion, sei zwar bis Kriegsende suspendiert. Ihre Abgeordneten säßen aber weiter im Parlament. So sie nicht zurückgetreten, rechtskräftig verurteilt oder – etwa vor Strafverfolgung – ins Ausland geflüchtet seien.

Die Faktenlage: Tatsächlich hat Selenskyjs Partei laut einer Analyse des Thinktanks VoxUkraine schon seit geraumer Zeit keine belastbare absolute Mehrheit mehr, Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen sei an der Tagesordnung. Korrekt ist auch, dass die gewählten Vertreter der „Oppositionsplattform“ ihre Mandate behalten haben. Sie haben sich teils anderen Fraktionen angeschlossen. Ausnahmen gibt es: Der Putin-nahe Ex-Oligarch Wiktor Medwetschuk etwa wurde des Hochverrats verurteilt und kam in einem Gefangenenaustausch nach Russland. Er unterstützt Putins Krieg weiter öffentlich.

Die EU-Kommission rügte 2024 in einem Bericht Restriktionen für Oppositionspolitiker, etwa bei Auslandsreisen, oder auch Korruptionsfälle. Und natürlich ist in der Ukraine – wie in nahezu allen demokratischen Ländern – kritisierbare Machtpolitik in der Regierung zu beobachten. Insgesamt urteilte die Kommission aber: Das Parlament übe seine Befugnisse im Ukraine-Krieg weiter aus und sei aktiver Teil der Reformbemühungen.

Putin will angeblich Russen in der Ukraine schützen – Fakten zur realen Lage

Russlands Behauptung: Russischsprachige Menschen und Russen werden in der Ukraine unterdrückt.

Die Antwort: Staatssprache sei laut Verfassung Ukrainisch, sagt Kravchuk. Das gelte im Bildungssystem oder für Beamte – auf der Straße werde aber durchaus Russisch gesprochen, das sei auch keinesfalls verboten. Die besondere Rolle der ukrainischen Sprache sei auch eine Reaktion auf ausdauernde „Russifizierungs“-Versuche unter (Sowjet-)Herrschaft aus Moskau. Kravchuk verwies bei der Konferenz der Friedrich-Naumann-Stiftung auch auf ein russischsprachiges Medienangebot der Ukraine. Die Parlamentarierin wirft Russland ein falsches Spiel vor: Etwa in Mariupol habe Russland mit seinen Angriffen unzählige russischsprachige Menschen getötet. Es gehe Putin nicht um Sprache oder Ethnie – sondern um Unterwerfung.

Die Faktenlage zur Sprache: Insgesamt nannten laut einer Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zur „russischen Minderheit in der Ukraine“ 2017 in einer Umfrage 17,1 Prozent der Befragten in der Ukraine Russisch als Muttersprache, weitere 17,4 Prozent Russisch und Ukrainisch. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Im offiziellen Zensus 2001 war Russisch neben der Krim vor allem im Osten und Süden des Landes überdurchschnittlich als Muttersprache verbreitet.

Blutige und brutale Angriffe Russlands in diesen Regionen sind nicht bestreitbar. Korrekt ist auch, dass Russland schon im Zarenreich das Ukrainische zurückzudrängen versuchte. In der Sowjetunion setzte sich diese Politik fort. Seit 2017 – vor Wolodymyr Selenskyjs Amtszeit – beschränkt indes ein ukrainisches Gesetz die russische Sprache im Bildungswesen. Das stellt Kravchuk nicht in Abrede. Der Schritt stieß allerdings auf Bedenken in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

Der Wissenschaftlichen Dienst attestiert der Ukraine lange währende Probleme bei der gesetzlichen Ausbalancierung zwischen Angehörigen verschiedener Muttersprachen (zeitweise auch zu Lasten des Ukrainischen) – zitiert aber auch einen Kommentar des Europarats und einer Expertenkommission für Minderheiten- und Regionalsprachen: Die russische Minderheitensprache für eine Aggression zu instrumentalisieren, werde „auf das Schärfste verurteilt“.

In einer Umfrage des Kyiv International Institute of Sociology im nichtbesetzten Teil der Ukraine erklärten 2023 84 Prozent der Befragten, es sei nicht mit Problemen oder Unterdrückung verbunden, Russisch zu sprechen. Kravchuk verweist darauf, dass seit Beginn der Vollinvasion 2022 viele Russisch-Muttersprachler freiwillig auf Ukrainisch umschwenkten. Eine Analyse der LMU München untermauert das. Die „Minority Rights Group“ urteilte 2018: Ein gesellschaftlicher oder ethnischer Konflikt entlang einer Achse Russland-Ukraine werde überschätzt.

Russischsprachige Medien in der Ukraine: Bedenken – aber insgesamt ein positives Zeugnis

Die Faktenlage zu russischsprachigen Medien: Kritik gibt es zudem an einem Gesetz, das nach Kriegsbeginn russischsprachige Medien de facto stark einschränkte: Auf Russisch veröffentlichte Texte müssen auch auf Ukrainisch zugänglich sein. Für russischsprachige Medien wäre das allerdings meist unwirtschaftlich. Der European Democracy Hub (EDH) rügt zudem generell Fälle von Zensur und Restriktionen für Investigativ-Journalisten in der Ukraine. Nationale Fernsehkanäle müssen zu 90 Prozent auf Ukrainisch senden.

Allerdings steht das Land damit immer noch weit besser da als Russland mit einer laut Reporter ohne Grenzen quasi inexistenten Pressefreiheit: Es sei begrüßenswert, dass die Ukraine fundamentale Rechte auch in einer existenziellen Bedrohungslage priorisiere, urteilte der EDH. (fn)

Rubriklistenbild: © Alexander Kazakov/Kremlin Pool/Zuma/Imago/Florian Naumann

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