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Umstrittener Atomausstieg

Taiwans AKW-Aus könnte sich rächen – und China in die Hände spielen

Am Samstag hat Taiwan sein letztes Atomkraftwerk vom Netz genommen. Der Atomausstieg macht das Land verwundbarer, sagen Kritiker – vor allem gegenüber China.

Wahrscheinlich ist es Fluch und Segen zugleich, dass Taiwan eine Insel ist. Ein Segen, weil die Taiwanstraße den demokratisch regierten Inselstaat vom chinesischen Festland trennt und das Land seit Jahrzehnten vor einem Angriff der kommunistischen Volksrepublik bewahrt. Die Meerenge macht eine Invasion zwar nicht unmöglich, aber doch sehr schwierig. Die natürliche Barriere bietet Schutz.

Gleichzeitig aber bringt Taiwans Insellage Risiken mit sich. Denn Militärexperten befürchten, dass China eines Tages die Versorgungswege der Insel einfach abschneiden könnte – um die Taiwaner mit einer langanhaltenden Seeblockade mürbe zu machen. So importiert Taiwan beispielsweise einen Großteil seiner Lebensmittel aus dem Ausland. 2023 fiel die sogenannte Selbstversorgerquote auf einen langjährigen Tiefstand von nur gut 30 Prozent, der Rest muss eingeführt werden. China könnte Taiwan also aushungern.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Taiwan nimmt letzten Meiler vom Netz

Ähnlich verwundbar ist das Land, wenn es um die Energieversorgung geht: Mehr als 97 Prozent von Taiwans Energieverbrauch wird aus dem Ausland gedeckt. Den Löwenanteil im taiwanischen Strommix machten 2024 mit fast 84 Prozent fossile Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle aus. Und die müssen importiert werden. Auch diese Lieferungen könnte China mit einer Seeblockade erschweren oder verhindern. Taiwans Energiebedarf ist hoch, vor allem durch die stromintensive Halbleiterindustrie. Allein Branchenprimus TSMC verbraucht sechs Prozent der gesamten Energieproduktion des Landes.

Dass am Samstag in Taiwan das letzte Atomkraftwerk vom Netz gegangen ist, halten manche in Taiwan deswegen für einen Fehler: Taiwan mache sich dadurch noch abhängiger von Energieimporten aus dem Ausland.

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima war auch im Nachbarland Taiwan eine Anti-Atomkraftbewegung entstanden. Die Regierung in Taipeh nahm schließlich nach und nach die Reaktoren des Landes vom Netz, seit 2014 geht der Anteil von Atomstrom am taiwanischen Energiemix kontinuierlich zurück, auf zuletzt rund vier Prozent. Am 17. Mail endete die Betriebsgenehmigung für Reaktor 2 des Kernkraftwerks Maanshan, ganz im Süden der Insel. Taiwan sei dann ein „atomfreies Heimatland“, sagt im Vorfeld der Präsident des Landes, Lai Ching-te.

Das Atomkraftwerk Maanshan im Süden Taiwans: Am Samstag geht der letzte Reaktor des Landes vom Netz.

Taiwans Energieversorgung ist abhängig von China-Verbündeten

Ko Ju-chun von der oppositionellen Kuomintang leitet einen Parlamentsausschuss zum Atomausstieg. Er findet es falsch, dass sein Land auch noch den letzten Meiler vom Netz nimmt, das Atom-Aus ist für ihn eine „Idee aus der Vergangenheit“. „Internationale politische Turbulenzen, Unterbrechungen der Schifffahrtsrouten oder Lieferbeschränkungen – selbst von befreundeten Nationen – könnten Taiwan in eine Energiekrise stürzen“, schreibt Ko auf seiner Internetseite. Der Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen auf die Energieversorgung in Europa hätten das eindringlich gezeigt.

Vor allem beim Öl ist Taiwan verwundbar. 2023 importierte der Inselstaat rund ein Drittel seines Rohöls aus Saudi-Arabien, gefolgt von Kuwait. Eine gefährliche Abhängigkeit, denn die Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und China – dem weltgrößten Rohöl-Importeur – werden immer enger. Laut einer Analyse der US-Denkfabrik Atlantic Council ist es durchaus denkbar, dass die Golfstaaten ihre Öl-Exporte nach Taiwan auf chinesischen Druck hin einstellen.

Taiwan müsste dann andere Lieferanten finden – nicht einfach, aber machbar, so die Analyse. So erhöht Taiwan schon seit Jahren seine Ölimporte aus den USA deutlich, allein zwischen 2022 und 2023 stieg der Anteil der USA an den gesamten Ölimporten des Landes um gut 31 Prozent. Bei Flüssigerdgas (LNG) und Kohle ist schon länger Australien der wichtigste Lieferant für Taiwan, ein Land, das seit Jahren einer der schärfsten Kritiker Pekings ist. Auch diesen Lieferweg aber könnte Peking abschneiden.

Während Kohlevorräte relativ einfach angelegt werden können, ist das bei LNG schwieriger. Sollte China Taiwan von der Außenwelt isolieren, wären die Erdgasvorräte des Landes laut Berechnungen der taiwanischen Energiebehörde schon nach elf Tagen aufgebraucht, die Kohlelager wären nach 39 Tagen leer. Beim Öl sieht es besser aus, die Vorräte sollen 146 Tage reichen.

Taiwan zieht Lehren aus dem Ukraine-Krieg: Auch Atomkraftwerke sind angreifbar

Es sei entscheidend, dass Taiwan seine Energieversorgung weiter diversifiziere, sagte der Analyst Sheu Jyh-Shyang vom regierungsnahen Institute for National Defense and Security Research unserer Redaktion. „Das ist wichtig für die Resilienz des Landes.“ Ohne Atomkraft stünde Taiwan im Kriegsfall zwar schlechter da als mit laufenden Meilern, sagt Sheu. Er verweist aber darauf, dass auch Atomkraftwerke angreifbar sind. „Das können wir im Ukraine-Krieg beobachten“, sagt der Analyst. Dort war es seit Beginn der russischen Vollinvasion immer wieder zu Störfällen an AKWs gekommen. Hinzu kommt: Auch Brennstäbe müssen aus dem Ausland importiert werden. Über ein Endlager für Atommüll verfügt Taiwan ebenfalls nicht.

Mitte letzter Woche, nur wenige Tage vor dem geplanten Atom-Aus, verabschiedete Taiwans Parlament ein Gesetz, das die mögliche Laufzeit von Reaktoren um 20 Jahre verlängert. Laut dem taiwanischen Präsidenten Lai sollte Maanshan 2 dennoch am Samstag vom Netz gehen. Ziel sei weiter ein „atomfreies Heimatland“, erklärte Lai. Dennoch könne er sich vorstellen, dass Taiwan eines Tages wieder Atomstrom produziert – mithilfe neuer Reaktortechnologien.

Für Heinz Smital, Kernphysiker und Atom-Experte bei Greenpeace, ist das keine Lösung – solche neuen Technologien seien schlicht viel zu teuer und würden sich nicht rechnen. Vielmehr müsse Taiwan verstärkt auf Erneuerbare setzen. „Vor allem bei Solarenergie hat Taiwan die besten Voraussetzungen“, sagte Smital unserer Redaktion. „Im Sommer, wenn der Strombedarf wegen der vielen Klimaanlagen sehr hoch ist, scheint auch die Sonne besonders häufig.“ Es sei „erstaunlich“, dass Taiwan nicht mehr in Erneuerbare investiere.

China erhöht den Druck auf Taiwan

Die Regierung in Taipeh will das Land zwar bis 2050 klimaneutral machen. Dazu soll der Anteil der Erneuerbaren am Energiemix kontinuierlich steigen, in diesem Jahr auf 20 Prozent. Laut einer Prognose des taiwanischen Wirtschaftsministeriums dürften tatsächlich aber nur 15 Prozent erreicht werden, im 2024 waren es knapp zwölf Prozent. Die Gründe für den schleppenden Ausbau der Erneuerbaren sind vielfältig, so konkurrieren im dicht besiedelten Taiwan etwa Solaranbieter und Landwirtschaftsunternehmen um die knappe Ressource Land. Auch für KMT-Politiker Ko ist Solarenergie nicht zwingend eine Lösung: „Über 50 Prozent der weltweit hergestellten Solarmodule und Komponenten kommen aus China“, schreibt er. Das würde neue Abhängigkeiten schaffen.

Derweil macht die Volksrepublik China ihre Ansprüche auf Taiwan immer deutlicher. Regelmäßig führt Peking großangelegte Militärmanöver rund um Taiwan durch, als Übung für eine mögliche Invasion und um die Bevölkerung des Inselstaats einzuschüchtern. Zuletzt startete China Ende März eine fünftägige Militärübung in der Region. Ein erklärtes Ziel des Manövers: „Taiwan von allen Seiten einzukesseln“, wie es Chinas Militär ausdrückte. Es war ein bitterer Vorgeschmack auf das, was Taiwan eines Tages bevorstehen könnte.

Rubriklistenbild: © Joko/Imago

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