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Interview
Niedersachsens Landeschef appelliert an nächste Bundesregierung: „Deutschland darf nicht Österreich werden“
Niedersachsens Landeschef Stephan Weil über Fehler bei VW, schwache Umfragewerte für die SPD und warum punktuelle Grenzschließungen aus seiner Sicht notwendig sind.
Das Büro von Stephan Weil in der Staatskanzlei in Hannover ist nordisch-schlicht: hohe Decken, viel Weiß, viel Tageslicht, moderne Kunst. Nur das Regal rechts an der Wand fällt aus der Reihe. Auf den Regalbrettern: Kapitänsmützen, Sport-Medaillen an bunten Bändern, Modelle von Landwirtschaftsmaschinen – ein buntes Sammelsurium. „Was man eben so mit der Zeit ansammelt“, sagt Weil. Der 66-Jährige macht seit Jahrzehnten Politik, ist seit 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen – und in seiner Freizeit passionierter Langstreckenläufer.
Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl sorgt sich Weil um den Ton im Wahlkampf, der immer rauer wird – und warnt vor unüberlegten Sprüchen, die am Ende vielleicht den Falschen nützten.
Herr Weil, Sie sind passionierter Läufer. Wann geht’s zum nächsten Marathon?
Bevor ich bei Ihnen in einem falschen Glanz stehe: Mein Beruf lässt mir fürs Training leider nicht genug Zeit, das Laufen habe ich zurückgefahren. Aber ich bin früher immer gerne lange Strecken gelaufen.
Haben Ihnen Ihre Erfahrungen als Läufer im Politikbetrieb mal genutzt?
Ja, schon. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Politik auf der langen Strecke passieren muss. Bildlich gesprochen: Wir haben häufig eine Tendenz zum Sprint. Aber wirklich gute Politik kann man nur machen, wenn sie langfristig angelegt ist. Wobei man auch die langen Strecken zügig angehen sollte.
Im aktuellen Wahlkampf setzen viele eher auf Sprint. Nach dem Ampelstreit gibt es jetzt einen überaus heftigen Schlagabtausch zwischen den Kandidaten. Braucht’s mehr nordische Gelassenheit in Berlin?
Wir müssen aufpassen, dass man beispielsweise beim Thema Migration nicht um der schnellen Schlagzeile willen Scheinlösungen hervorzaubert, die am Ende nur der AfD nutzen. Ich glaube, diesem Fehler ist die Union in der vorvergangenen Woche erlegen.
Weil über Merz-Vorstoß bei Migration und AfD: „Von wem möchte ich in diesen unruhigen Zeiten regiert werden?
Nein, damit bin ich definitiv nicht zufrieden. Das ist niemand in der SPD.
Was muss denn passieren, dass der Turbo vor der Wahl noch zündet?
Ich glaube nicht an das eine weiße Kaninchen, das man da aus dem Zylinder zaubern kann. Je näher wir an den Wahltermin heranrücken, desto mehr werden aber die Leute sich fragen: Von wem möchte ich in diesen unruhigen Zeiten regiert werden? Der eine Kandidat hat bewiesen, dass er Krisen managen kann. Der andere hat noch keinen Tag in seinem Leben ernsthafte politische Verantwortung getragen. Da ist die Antwort für mich klar.
Aber der eine Kandidat, Olaf Scholz, hat sehr schlechte Umfragewerte. Ist er der Grund, warum die SPD noch nicht weiter anzieht?
Olaf Scholz hat über einen langen Zeitraum versucht, die Ampel zusammenzuhalten. Vielleicht zu lange. Diese Phase tragen ihm manche Wählerinnen und Wähler nach. Aber wenn es um die Zukunft geht, werden viele doch lieber auf einen erfahrenen Staatsmann setzen.
Hätte Boris Pistorius als Kandidat vielleicht für bessere Umfragewerte gesorgt?
Darüber zu spekulieren ist müßig.
Sie haben mal über Pistorius gesagt, er habe die seltene Eigenschaft, Autorität und Nahbarkeit zu vermitteln. Nahbarkeit geht Olaf Scholz etwas ab. Wäre Pistorius da nicht vielleicht doch der bessere Kandidat gewesen?
Es ist Gold wert, wenn der Bundesverteidigungsminister auch nahbar ist, das zeigen die Reaktionen aus der Bundeswehr immer wieder. Beim Bundeskanzler sind aber noch ganz andere Fähigkeiten notwendig, um ein Land in extrem anspruchsvollen Zeiten zu führen. Olaf Scholz hat genau das in den letzten Jahren immer wieder gezeigt. Man kann die Arbeit eines herausragenden Verteidigungsministers nicht automatisch vergleichen mit der Arbeit eines Bundeskanzlers in Krisenzeiten.
Also würden Sie sagen, dass Boris Pistorius nicht geeignet ist als Kanzler?
Einen Teufel würde ich. Ich kenne Boris Pistorius wirklich sehr lange. Wir sind befreundet und ich schätze ihn außerordentlich. Was ich zum Ausdruck bringen will: Ich habe größten Respekt vor dem, was dem Regierungschef in den nächsten Jahren abverlangt werden wird.
Diese Berichte handeln von Gesprächen, die zwei Menschen miteinander vielleicht geführt haben sollen. Oder auch nicht. Beide sagen übereinstimmend: Nee, so war das nicht. So what?
Sie und viele Ihrer Genossinnen und Genossen positionieren sich immer sehr deutlich gegen die in Teilen rechtsextreme AfD. Warum die Partei nicht einfach verbieten?
Bevor in Deutschland eine Partei verboten werden kann, müssen enorme Hürden überwunden werden. Solange das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht sagt, dass die AfD in ihrer Gesamtheit nachweislich und gesichert staatsgefährdend ist, rate ich davon ab, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Wenn ein solches Verfahren scheitern würde, wäre es ein Fest für die AfD. Das muss man verhindern.
Im Fünf-Punkte-Plan der Union geht es auch um Grenzschließungen. Was würde das für Niedersachsen, das direkter Nachbar der Niederlande ist, bedeuten?
Ich hatte gerade erst ein Gespräch mit der neuen niederländischen Botschafterin. Wir haben eine sehr gute Nachbarschaft. Diese Freundschaft wäre hoffentlich nicht gefährdet, aber das Leben für die vielen Pendlerinnen und Pendler würde dauerhaft erschwert. Seit Beginn der laufenden Grenzkontrollen sind insgesamt etwa 250 Menschen aus dem Verkehr gezogen worden, als sie versucht haben, unerlaubt über die niederländisch-deutsche Grenze nach Deutschland einzureisen. Ich akzeptiere, dass punktuelle Grenzschließungen im Moment eine sinnvolle und auch notwendige Maßnahme sind. Ich möchte mir aber nicht vorstellen, dass wir auf Dauer wieder zu Grenzkontrollen an allen Grenzen zurückzukehren wollen. Das würde uns dreißig Jahre zurückwerfen.
„Ich möchte mir aber nicht vorstellen, dass wir auf Dauer wieder zu Grenzkontrollen an allen Grenzen zurückzukehren wollen. Das würde uns dreißig Jahre zurückwerfen“, sagt Niedersachsens Landeschef Stephan Weil.
Eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine andere Migrationspolitik, mehr Abweisungen an der Grenze. Macht die SPD gerade Politik gegen die Bevölkerung?
Nein. Die SPD verfolgt im Wahlkampf aber anders als etwa Friedrich Merz einen differenzierten, sachbezogenen Ansatz. Der Kern ist: Wir sind erstens für die Aufnahme von Menschen, die ein Schutzrecht haben. Zweitens wollen wir die irreguläre Zuwanderung konsequent zurückdrängen. Drittens müssen wir eine legale Zuwanderung für Fachkräfte aufbauen. Und viertens: Wir müssen das in einem europäischen Zusammenhang bewerkstelligen.
Inwiefern?
Wenn Menschen sich durch halb Europa bis nach Deutschland gekämpft haben, dann ist es naturgemäß sehr schwer, sie wieder zurückzubringen. Deshalb sind ein europäisches Konzept von Prüfungen und dann auch Zurückweisungen an den Außengrenzen der absolut richtige Weg.
Das Dublin-Abkommen funktioniert nicht gut. Können Sie verstehen, dass manche die Nase voll haben vom ewigen Appell an Europa?
Ja, dafür habe ich Verständnis. Aber wenn man versucht, alles national und mit scheinbar einfachen Maßnahmen zu regeln, legt man eine Bauchlandung hin. Das sehen wir bei den Briten. Die Tories haben viele Jahre lang versucht, durch eine sehr harte Form der Begrenzung von Zuwanderung Effekte zu erzielen. Und sie sind am Ende gescheitert. Wir werden dieses Problem nur gemeinsam mit den anderen europäischen Partnern in den Griff kriegen. Dafür brauchen wir auch mehr Vereinbarungen mit Herkunftsländern. Da gibt es gute Vorbilder.
Können Sie eins nennen?
Mit Kenia zum Beispiel gibt es seit letztem Jahr ein Abkommen, dass ausreisepflichtige Menschen leichter zurückgeführt werden können. Gleichzeitig können Fachkräfte aus dem Land leichter einreisen.
Kernthemen vor Bundestagswahl: „Wir sind überreguliert in Deutschland“
Neben Migration ist die Wirtschaft ein Riesenthema im Wahlkampf. Deutschland gilt gerade als kranker Mann Europas. Wie kommt die Wirtschaft wieder in Schwung?
Ich bin seit vielen Jahren in Unternehmen in Niedersachsen unterwegs. Drei Punkte komme dabei immer wieder auf. Dazu kommt noch ein vierter von mir. Aber fangen wir mit eins an: Wir müssen die Energiekosten senken, sonst ist die deutsche Industrie nicht wettbewerbsfähig. Zweitens: Wir sind überreguliert in Deutschland, wir brauchen Bürokratieabbau. Mir begegnen immer wieder Menschen, die sagen: Ich hab tolle Geschäftsideen, aber wenn ich den Riesenberg an Anforderungen sehe, dann vergeht mir die Lust. Drittens: Es fehlen Fachkräfte. Dafür brauchen wir noch bessere Bildung und eben auch Einwanderung.
Was ist der vierte Punkt?
Der ist mir in den letzten Monaten immer klarer geworden. Die Wirtschaft investiert nicht genug. Seit einem Jahrzehnt ist die Investitionstätigkeit in Deutschland unterentwickelt. Da müssen wir politisch Anreize schaffen. Industriepolitik muss langfristig angelegt sein, die Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Und eine Regierung muss den Verantwortlichen in der Wirtschaft das Vertrauen geben, dass sie eben diese Sicherheit haben.
„Es wäre in der Tat gut gewesen, wenn Volkswagen mit preiswerten Einstiegsmodellen nicht im nächsten und übernächsten Jahr, sondern schon deutlich früher präsent gewesen wäre“, sagt Stephan Weil.
Volkswagen hat eine Reihe von Produktionsstätten in den Vereinigten Staaten und baut das Engagement dort ohnehin weiter aus. Dies geschieht auch in Form einer Partnerschaft mit dem Elektroauto-Hersteller Rivian, der bei Software-Lösungen unterstützt. Trump mag zwar mit Zöllen drohen, aber: Seit dem Stopp des russischen Erdgases versorgen wir uns ja in nicht geringer Menge durch Flüssiggas. Und wo kommen 90 Prozent dieses Flüssiggases her? Aus den USA. Das heißt: Diese Handelspartnerschaft beruht auf Gegenseitigkeit. Das sollte Trump im Blick haben.
VW schwächelt wie die ganze deutsche Autobranche. Manche sagen: Das Problem ist hausgemacht, weil die Autobauer den Elektro-Trend verschlafen und zu lange nur auf hochpreisige Modelle gesetzt haben. Unterschreiben Sie das?
Was die Elektromobilität angeht: In Deutschland ist nicht Tesla oder ein chinesischer Autobauer mit Abstand Marktführer, sondern Volkswagen. Was den Fokus auf hochpreisige Modelle angeht: Es wäre in der Tat gut gewesen, wenn Volkswagen mit preiswerten Einstiegsmodellen nicht im nächsten und übernächsten Jahr, sondern schon deutlich früher präsent gewesen wäre. Nachholbedarf gibt es auch beim Thema Digitalisierung. Da ist VW durch die Partnerschaft mit Rivian aber jetzt einen bedeutenden Schritt weiter.
Fehler bei VW: „Hätte sich früher um einen Partner kümmern sollen“
Man könnte auch sagen: Es ist eine Niederlage, wenn ein Weltkonzern wie VW seine Software nicht selber entwickeln kann, sondern sie im Ausland kaufen muss.
VW hätte sich sicher früher um einen solchen Partner kümmern sollen. Dann würde niemand von einer Niederlage sprechen, sondern von kluger Einsicht. Fakt ist: Jetzt ist VW auf einem guten Weg, was das Thema betrifft.
Sie haben sowohl mit der CDU als auch mit Grünen regiert. Mit wem klappt es besser?
Ich kann mich weder über den einen noch über den anderen beklagen. Das liegt sicher auch an der niedersächsischen Landespolitik, die sich in einem Punkt deutlich von der Bundespolitik unterscheidet: Wenn wir uns streiten, dann streiten wir uns intern, einigen uns und treten dann nach außen geschlossen auf. Das gibt Orientierung. Und das wünsche ich mir von der nächsten Bundesregierung auch.
Wäre denn zum Beispiel eine Groko mit Merz denkbar?
Ich will nicht spekulieren und Herr Merz hat sehr viel Porzellan zerdeppert. Klar ist für mich aber vor allem eines: Demokraten müssen untereinander gesprächsfähig bleiben.
Im Moment stehen die Zeichen eher auf Krawall als auf Gesprächsbereitschaft, oder?
Dazu eine grundsätzliche Bemerkung, die mir wichtig ist. Deutschland ist nicht Österreich. Und darf es auch nicht werden. Jetzt haben wir bald vier Jahre Zeit, um genau das zu verhindern. Die Demokratinnen und Demokraten müssen beweisen, dass sie Vertrauen verdienen und dass sie gemeinsam Probleme lösen. Auf die nächste Bundesregierung kommt eine extrem hohe Verantwortung zu. Bei Koalitionsverhandlungen darf es nicht um rote Linien oder was auch immer gehen, sondern um das gemeinsame Verständnis: Wir müssen Deutschland aus diesem Tal, in dem wir uns derzeit befinden, wieder rausholen.
Was würden Sie empfehlen? Schwarz-Rot? Schwarz-Grün?
Rot.
Niedersachsen ist das Bundesland mit der höchsten Dichte an Windrädern. Wie weit wohnen Sie vom nächsten Windrad entfernt?
Das sind so etwa fünf Kilometer, schätze ich.
Wie nah dürfte so ein Windrad denn bei Ihnen am Gartenzaun stehen?
Das hängt ab von den Gegebenheiten. Ich würde auch nicht sagen, dass Windräder ein ästhetischer Genuss sind. Aber es geht beim Ausbau nicht nur um Ästhetik, sondern vor allem um Versorgungssicherheit, Klimafreundlichkeit und Kosten. Wir werden Windenergie brauchen, auch auf See. Die Ästhetik-Diskussion, die gerade Herr Merz und Frau Weidel führen, begegnet mir erfreulicherweise bei uns in der norddeutschen Tiefebene sehr viel seltener als früher. Die Akzeptanz steigt. Das liegt auch an handfesten Vorteilen, die Betroffene inzwischen haben.