Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Wachstums-Kritik „gegen den Strich“

„Landesvater für die Kinder oder für die Industrie?“ Wie die ÖDP Söder triezen – und das grüne „Bröckeln“ nutzen will

Die CSU ist in Bayern stabil, die Grünen schwächeln. Die ÖDP will das nutzen – mit Druck an alten Schmerzpunkten.

München - Bisweilen trügen Umfragen. In Bayern scheint das unwahrscheinlich: Passiert kein politischer Erdrutsch, dann werden Markus Söder, Hubert Aiwanger und ihre Spezi-Koalition den Freistaat ab Herbst weitere fünf Jahre regieren – und die noch 2018 in der Wählergunst weit emporgeschossenen Grünen zumindest einen kleinen Dämpfer erhalten.

Was der mutmaßlichen Wählermehrheit im Land gefällt, ist für viele Politiker naturgemäß ein Leid. Besonders getrieben ist aber wohl eine im Freistaat durchaus prominente Kleinpartei: Die ÖDP hat die CSU schon mehrfach mit Volksbegehren getriezt. Bei der Bayern-Wahl will sie einen Achtungserfolg erzielen – zumal führende Köpfe der Partei über den Umgang der CSU mit dem „Bienen-Begehren“ den Kopf schütteln.

Im Visier hat die ÖDP auch unzufriedene Grüne. Mit einer durchaus gewagten Strategie der offenen Worte: Die Kleinpartei rührt an bayerische Sakrilege. Das Gebot des wirtschaftlichen Wachstums. Oder auch die Lust am Billig-Schnitzel.

„Auch grünes Wachstum ist Wachstum“: Werben um das „grüne Bröckeln“ – auch beim Fleisch

„Wir sind die, die sowas mal sagen“, erklärt Tobias Ruff, Fraktionschef der ÖDP/München-Liste im Stadtrat der Landeshauptstadt, Anfang Mai auf Redaktionsbesuch bei Merkur.de: „Selbst, wenn das vollkommen unbequem gegen den Strich geht.“ Europaparlamentarierin Manuela Ripa fügt eine Klarstellung an. „Auch grünes Wachstum ist Wachstum“, betont sie. Damit sei es eben keine Zauberformel für Klima-, Natur- und Artenschutz. „Wir müssen weg vom alten Denken und stattdessen in Kreisläufen denken“, fordert sie.

Das geht gegen die neuen, pragmatischen Grünen in der Ampel-Koalition. Und ein Zufall ist das nicht: „Bei den Grünen bröckelt jetzt etwas weg“, sagt Ruff. „Da geht es um Menschen, die von der grünen Seite ins bürgerliche Lager und zurück wechseln. Wir stehen da in der Mitte. Und wären blöd, wenn wir uns um diese Wähler nicht bemühen würden.“

Die ÖDP und ihre Verbündeten sehen noch Nachholbedarf bei Markus Söders Umsetzung des Bienen-Begehrens.

Jenseits von Union und Grünen positioniert sich die ÖDP zum Beispiel beim Thema Ernährung: Ripa befürwortet ein Verbot von Süßigkeiten-Werbung für Kinder. Dass Söder gegen den Vorschlag von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) wettere, werfe Fragen auf: „Ist er Landesvater für die Kinder, oder für die Industrie?“ Es gehe schließlich nicht um ein Schoko-Verbot, sondern um ein Werbe-Aus für zu zuckerhaltige Lebensmittel.

Die ÖDP fordert aber auch noch mehr: Eine Haltungsform-Auszeichnung im Supermarkt, die sich nicht an Discounter-Vorschlägen orientiere – und einen realistischen Preis für Fleisch. Eine weitere Frage der ÖDP: „Warum ist Ungesundes“, mit seinen negativen Folgen für Tier und Umwelt etwa in der Massenhaltung, „billig und Gesundes teuer?“, wundert sich Ripa. Man könne etwa die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse senken. Oder auch bei den Landwirtschaftssubventionen ansetzen. Das Geld dafür komme von den Steuerzahlern – „und wer zahlt, schafft an“.

Bayern und München auf dem Holzweg? Warnung vor noch mehr Enge in der Pendlerkapitale

Ist aber ein Wahlerfolg mit Fundamental-Kritik zu bewerkstelligen, in einer Zeit, in der viele Menschen angesichts von Ukraine-Krieg und globalen wirtschaftlichen Verschiebungen um den Wohlstand fürchten? Ruff bemüht ein Beispiel aus der Lebenswelt der Münchner: Eng und teuer sei die Lebenswelt dort geworden. Freistaat und Stadt siedelten immer mehr Gewerbe, Industrie und Leuchtturmprojekte an, rügt Ruff - und verweist auf das neue Forschungszentrum in Martinsried und Niederlassungen großer Tech-Konzerne.

Jedes neue Großquartier enthalte in großem Stil auch neue Arbeitsplätze, dabei habe München schon jetzt ein Missverhältnis zwischen Arbeitsplätzen und Wohnraum, warnt er. Was die Stadt zum Ziel für 400.000 Pendler täglich mache, während Bayerns Mittelstädte oder auch ganz europäische Regionen in der Peripherie in die Röhre schauten. Auch um das Trinkwasser-Reservoir der Münchner Schotterebene sorgt sich Ruff.

Söders Reaktion auf „Rettet die Bienen“: ÖDP will Ergebnisse bewerten lassen - auch aus eigener Kasse

Zuletzt dachte die Partei auch schon an ein bayernweites Volksbegehren „Rettet unser Grundwasser“. Womit das wohl prominenteste Handlungsfeld der ÖDP angesprochen wäre: Volksbegehren auf bayerischer Ebene. Die Abschaffung der früheren zweiten Kammer des bayerischen Parlaments – des Senats – das Rauchverbot und das Naturschutzbegehren „Rettet die Bienen“ gehen komplett oder zumindest zu Teilen auf das Konto der Partei. Niemandem außer der ÖDP sei es in Bayern gelungen, ein Gesetz gegen die CSU durchzusetzen, sagt Ruff. Auch nicht SPD und Grünen.

Manuela Ripa und Tobias Ruff beim Gespräch in der Merkur.de-Redaktion.

Bei ihrem größeren Erfolg der jüngeren Zeit, dem erfolgreichen Volksbegehren „Rettet die Bienen“, sieht Ruff die bayerische Staatsregierung um Söder weiter in der Bringschuld. Die ÖDP und das damalige Bienen-Bündnis sehen viele Punkte noch nicht eingelöst. Die angepeilte Bio-Quote von 30 Prozent in der bayerischen Landwirtschaft etwa sei „bisher gar nicht“ auf dem Weg. Auch, weil der Freistaat bei den staatlichen Anbauflächen nicht liefere. Zugleich sei beim Thema Streuobstwiesen „getrickst“ worden und der angepeilte Biotop-Verbund noch weit hinter den Erwartungen zurück.

Angesichts von Erfolgen bei Gewässerrandstreifen und bei der Bewirtschaftung der Wälder durch die Staatsforsten zieht Ruff immerhin eine „gemischte Bilanz“. Druck machen wollen die ÖDP und ihre Verbündeten nun mit einem Gutachten, einer Evaluation des bisher Erreichten, durch die Universität Hohenheim. Das bezahle man aus der eigenen Parteikasse mit, betont Ruff: „Auch, wenn uns das finanziell sehr weh tut.“

Bayern-Wahl 2024: Kleinpartei ÖDP will „zulegen“ - es geht auch ums Geld

Was aber ist nun das Ziel bei der Bayern-Wahl? 1,6 Prozent hatte die Partei 2018 erreicht – verglichen mit dem Abschneiden in anderen Bundesländern ein guter Wert. Aber auch 0,4 Prozentpunkte weniger als noch 2013. Und auch diesmal bangen selbst größere Parteien um den Einzug ins Maximilianeum. Umfragen sahen zuletzt die FDP auf Messers Schneide.

„Wir wollen in einen Bereich vorstoßen, in dem wir interessant sind“, erklärt Ruff. „Außerdem wollen wir zulegen“, fügt er hinzu. Ungeachtet der Fünfprozent-Marke sei ein gutes Ergebnis wichtig: „Das ist auch eine finanzielle Frage“, sagt der Münchner. Jede Stimme bringt eine Wahlkampfkostenerstattung. Und die ÖDP verzichtet freiwillig auf Spenden aus der Industrie, wie die beiden Politiker betonen. Eine Haltung, die sie etwa mit den Freien Wählern teilen.

ÖDP bangt um Sitze im Europaparlament: „Die großen Parteien wollen das unbedingt“

Sorgen gibt es aber nicht nur in Bayern: Im Europaparlament, wo die ÖDP aktuell mit ein Prozent der Wählerstimmen und Ripas Mandat vertreten ist, droht eine Prozenthürde. Die Frage ist eigentlich nur noch die nach dem Zeitpunkt – vor oder nach der Europawahl 2024. Am 3. Mai stimmte das EU-Parlament für eine neue Wahlreform mit Sperrklausel. „Die großen Parteien wollen das unbedingt“, hatte Ripa kurz zuvor bei Merkur.de gewarnt. Tatsächlich arbeitet der Bundestag noch an einer EU-Vorgabe aus dem Jahr 2018. Sie sieht unter anderem die Einführung einer Hürde von mindestens zwei Prozent vor. Die Ampel-Fraktionen, aber auch die Union, wollen nun Nägel mit Köpfen machen.

Ripa hat einen anderen Vorschlag für das Wahlrecht: Eine Ersatzstimme. Jeder Wähler könne mit ihr ein zweites Kreuz verteilen, sollte seine erste Wahl nicht ins Parlament kommen. „Damit könnten die Menschen frei entscheiden“, betont sie, ohne Sorge mit einem Kreuzchen für eine Kleinpartei die Stimme wegzuwerfen. Zugutekommen könnte das freilich auch der ÖDP. Aber völlig unrealistisch ist der Vorschlag womöglich nicht. Im Ringen um die Verkleinerung des Bundestags und die Zukunft der Erststimmen hatte die Ampel-Koalition die „Ersatzstimme“ zwischenzeitlich schließlich auch schon ins Feld geführt.

Florian Naumann

Rubriklistenbild: © Montage: Imago/Michael Eichhammer/Wolfgang Maria Weber/fn

Kommentare