Russische Einflussnahme
Das „schwere Erbe des BVT“: Österreichs Geheimdienstaffäre und die FPÖ
Spionageaffäre im Wahljahr: Die Spuren führen nach Russland und zur FPÖ. Experten sehen in einer ersten Einschätzung besonders Probleme in der Spionageabwehr.
Wien – Mitten im Wahljahr erschüttert die Spionageaffäre um die ehemaligen Geheimdienstler Egisto Ott und Martin W. sowie den ehemaligen Wirecard-Manager Jan Marsalek Österreich. Seit der Verhaftung Otts Ende März wird das Ausmaß der Affäre, die sich im bereits 2021 aufgelösten Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) abspielte, tröpfchenweise öffentlich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem festgenommenen Ott vor, zentraler Akteur eines von Marsalek gesteuerten Spionagerings gewesen zu sein, der mutmaßlich im russischen Auftrag agierte und auch andere EU-Staaten bespitzelte.
Manche Spuren in der Affäre führen zur FPÖ. Deren Chef Herbert Kickl schickt sich, im Herbst die Parlamentswahlen zu gewinnen. Am Donnerstag (11. April) musste er sich vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrats erklären. Teil der Affäre fallen in Kickls Ägide als Innenminister. Merkur.de von Ippen.Media fragte in der zweiten April-Woche bei zwei österreichischen Geheimdienstexperten nach einer ersten Einschätzung: Was bedeutet die Affäre für Österreich, Deutschland und Europa?
Österreich: Ex-Geheimdienstler wegen Spionageverdacht festgenommen – FPÖ-Chef Kickl schweigt im U-Ausschuss
Paul Schliefsteiner, Jurist und Direktor des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) einem Forschungszentrum in Graz, sprach vom „schweren Erbe des BVT“, das die Nachfolgebehörde Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) nun aufarbeiten müsse. Die DSN wurde als Reaktion auf die „BVT-Affäre“ geschaffen. Auch da europäische Partnerbehörden das Vertrauen in Österreichs Nachrichtendienst verloren, erklärte Schliefsteiner. Auslöser sei neben einer nachträglich für rechtswidrig erklärten Hausdurchsuchung in der Behörde auch der Anschlag von Wien 2020 gewesen, so Schliefsteiner. Nun zeige sich, aber auch das zumindest seit 2017 bekannte Netzwerk um Ott habe eine Rolle gespielt.
In der Befragung am Donnerstag sagte FPÖ-Chef Kickl, er sei über den „Problemfall Ott“ erst im Herbst 2018 informiert worden und er habe keinen Bezug zu Russland. Da war Ott bereits vom BVT-Dienst suspendiert. Auch sein Amtsnachfolger Gerhard Karner (ÖVP) wollte im ORF-Interview nicht wirklich etwas zur Klärung des Sachverhaltes beitragen.
CIA soll bereits 2017 vor Spion in Österreichs Geheimdienst gewarnt haben
Schliefsteiner bezog sich auf Medienberichte, wonach der US-Auslandsgeheimdienst CIA bereits 2017 vor Ott, konkreten Datenabflüssen und möglichen Verbindungen nach Russland gewarnt habe. Die Gemengelage habe die Zusammenarbeit im sogenannten „Berner Club“, einem inoffiziellen Austauschgremium europäischer Nachrichtendienste, so weit belastet, dass das BVT nach der Hausdurchsuchung dort austrat und bald darauf aufgelöst wurde. „Auf dem Papier“ sei die Reform des Inlandsnachrichtendienstes DSN abgeschlossen, sagte der Jurist. Doch die Behörde leide unter „einer wahrnehmbaren Personalfluktuation“ und müsse gegenüber den europäischen Partnern weiterhin ihre Zuverlässigkeit beweisen, so Schliefsteiner.
Österreich sei als kleines Land ohne große Tradition im nachrichtendienstlichen Bereich sowohl zur Terrorbekämpfung, als auch zur Spionageabwehr auf Informationen aus Partnerstaaten angewiesen. Gerade vor diesem Hintergrund sei es interessant, so Schliefsteiner, dass Großbritannien, dessen Ermittlungen zur Otts erneuter Festnahme führten, anscheinend den Dienstweg der Justiz statt dem Behördenaustausch gewählt habe, um diese Informationen nach Wien weiterzugeben.
Inzwischen betonte das deutsche Bundesinnenministerium auf merkur.de-Anfrage, seine Sicherheitsbehörden würden „vertrauensvoll“ mit ihren Partnern zusammenarbeiten, zu Details nehme man keine Stellung. Nicht zuletzt im Zuge der „Voice of Europe“-Bestechungsaffäre, die der tschechische Inlandsnachrichtendienst kürzlich aufgedeckt haben will, stellt sich die Frage russischer Einflussnahme in der EU dringender. In Österreich sei insbesondere die Spionageabwehr „stiefmütterlich“ personell, wie strafrechtlich behandelt worden, erklärte Schliefsteiner. Es fehle an Personal und oft auch an rechtlicher Handhabe sowie dauerhaften politischem Interesse an dem Thema.
Experte: Wien ist „Drehscheibe“ russischer Spionage
Dieter Bacher, Historiker am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung und am ACIPSS in Graz, sieht es angesichts der Berichte über die Affäre um Egisto Ott als „naheliegend“ an, dass russische Geheimdienste die österreichische Sicherheitsinfrastruktur infiltriert hätten. Das verschaffe ihnen einen „Informationsvorsprung“ bei der Operationsplanung. Interessant sei aus seiner Sicht, dass sie die „Drehscheibe“ russischer Spionage nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht aus Wien nach Osten verlagert habe.
In der jüngeren österreichischen Geschichte pflegten alle drei großen Parteien einen regen Austausch mit Russland. Besonders eng allerdings koppelte sich die FPÖ an Putins Partei „Einiges Russland“. 2016 unterschrieben beide Parteien einen Freundschaftsvertrag. Man versprach sich, die „regionale Zusammenarbeit zu entwickeln“. Inzwischen will die FPÖ den Vertrag gekündigt haben, weigert sich aber sowohl Kündigung als auch Vertrag zu veröffentlichen. Grundsätzlich sei in vielen EU-Staaten zu beobachten, dass es Hinweise auf Beziehungen zwischen Rechtsaußen-Parteien und Russland gibt, so Bacher.
„Guter internationaler Austausch“ zu Terrorismusabwehr
Die zweite Aufgabe der DSN ist die Terrorismusabwehr. Dazu gehören auch islamistische Gefährder. Nach dem Terroranschlag in Wien 2020 gab es erhebliche Zweifel am behördlichen Umgang damit. Schliefsteiner sagte, dass die Terrorabwehr im DSN „grundsätzlich funktioniere“. Es gebe zwar immer wieder, abstrakte und konkrete Bedrohungslagen, wie beispielsweise zu Weihnachten 2023 angesichts von Anschlagsdrohungen in Wien und Köln. Das Innenministerium in Berlin hob die Zusammenarbeit in diesen Tagen als Beispiel für „engen und vertrauensvollen Austausch“ zwischen Wien und Berlin hervor. Auch Schliefsteiner sieht in diesem Bereich „guten internationalen Austausch“.
Im Bereich des Rechtsterrorismus sieht das BMI „kein besonderes Gefährdungspotential“ aus Österreich für Deutschland. Laut Schliefsteiner gebe es „immer wieder Waffenfunde“, doch wie beim Islamismus, beobachteten die Behörden eine mittlere zweistellige Zahl Gefährder. Deutsche Behörden würden, so das BMI, jedoch auch einen seit Jahren regelmäßige Kontakte zwischen deutschen und österreichischen Rechtsextremisten in allen Spektren der Szene beobachten.
Recherchen: Ott fragte Daten zu deutschen Linken ab
Eine Recherche des österreichischen Portals „Tag eins“ zeigte, dass der mutmaßliche Spion Ott wohl die Daten von dutzenden antifaschistischen Aktivisten und Personen mit Bezug zu ihnen abgefragt habe. Darunter sollen auch deutsche Staatsbürger gewesen sein. Eine Betroffene sagte dem Portal, im Zeitraum der Abfragen habe es einen Einbruchsversuch in ihrer Wohnung gegeben, während sie darin schlief. Wohin Ott die Informationen weiterreichte, blieb unklar. Das Innenministerium wollte eine Frage nach Deutschen unter den Abgefragten nicht beantworten.
In Umfragen ist die FPÖ nun mit 28 Prozent stärkste Kraft. Nach der Wahl im Herbst will Kickl die „Orbánisierung“ Österreichs vorantreiben, sollte er sich zum Kanzler aufschwingen. Bisher will niemand mit ihm koalieren. Was für die Nachrichtendienstarchitektur des Landes bedeuten könnte, zeigt eine Episode aus dem Jahr 2022: Ohne die Mitwirkung des Parlaments plante die von der FPÖ berufene damalige Außenministerin Karin Kneissl den Aufbau eines Geheimdienstes in ihrem Ministerium, enthüllte damals der SWR. Ott hätte dort demnach eine „Koordinierungsstelle“ besetzen sollen. Schliefsteiner schätzte die „absolute Mehrheit“ der österreichischen Nachrichtendienstler als verfassungsfest und integer ein.
FPÖ-Mann bot Ott scheinbar Posten an – Kickl muss nochmal vor den U-Ausschuss
Zum damaligen FPÖ-Nationalratsabgeordneten und Kickl-Vertrauten Hans-Jörg Jenewein, scheint Otts Kontakt eng gewesen zu sein: Bei Jenewein gab es 2021 eine Hausdurchsuchung, wegen des Verdachts, er habe Ott zum Geheimnisverrat angestiftet. Jenewein war damals Fraktionschef im BVG-Untersuchungsausschuss. 2022 veröffentlichte die Tageszeitung Presse Chats, die suggerierten, dass Jenewein Ott einen Posten im reformierten BVT versprochen habe. Dazu kam es nie, wohl auch weil die Ibiza-Affäre die Regierungsbeteiligung der FPÖ jäh beendete. Kickl wollte am Donnerstag im Untersuchungsausschuss nicht ausschließen, die BVT-Reform auch mit Jenewein besprochen zu haben. Den anderen Parteien war der Erkenntnisgewinn zu gering, weshalb Kickl wohl nochmals in den Untersuchungsausschuss geladen wird. (kb)
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