„Groll in zweierlei Hinsicht“
„Putin wird das missbrauchen“: Zeitpunkt von SPD-Manifest spielt Russland in die Hände
Ein SPD-Manifest fordert Dialog mit Putin statt Rüstung. Kritiker sprechen von Naivität – und ein Experte warnt vor Koalitions-Streit.
Berlin/Düsseldorf – Das Papier hat es in sich: Prominente SPD-Politiker fordern in einem „Manifest“ eine Abkehr der bisherigen Politik in Bezug auf den Ukraine-Krieg und Russland. Das sechsseitige Papier, das dieser Redaktion vorliegt, darf als Frontalangriff auf die schwarz-rote Bundesregierung und die SPD-Parteiführung gewertet werden. Parteigrößen wie Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Außenpolitiker Ralf Stegner oder der ehemalige SPD-Chef Norbert Walter-Borjans haben es unterschrieben.
In dem Grundsatzpapier monieren die sogenannten „SPD-Friedenskreise“, dass Europa von einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung aktuell weit entfernt sei. Sie fordern mehr Deeskalation und Gespräche mit Russlands Präsident Wladimir Putin anstelle von teurer Aufrüstung.
SPD-Manifest zu Ukraine-Politik: Dialog mit Putin „naiv“
Innerhalb der Fraktion sorgt das für Diskussionen. „Ein solches Manifest ist Ausdruck des Wunsches nach Frieden, der uns alle – auch alle in der SPD – umtreibt“, sagte der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses Macit Karaahmetoglu im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Natürlich stockt einem der Atem, wenn man die Summen hört, die in den kommenden Jahren für Sicherheit und Verteidigung aufgebracht werden sollen.“ Im Manifest wird die Erhöhung des Verteidigungsetats auf bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts als „irrational“ bezeichnet.
„Gleichwohl – und da weiche ich deutlich von den Positionen des Manifests ab – sehe ich die Gefahr weiterer Aggressionen Russlands, auch gegen Nato-Mitglieder, als sehr real an“, betont Karaahmetoglu. Massive Investitionen in Deutschlands und Europas Sicherheit seien daher unabdingbar. „Wir können weder riskieren, wehrlos dazustehen, noch können wir akzeptieren, dass ein imperialistischer Kriegsherr wie Putin ungesühnt davonkommt, wenn er für seine Großmachtfantasien zehntausende Menschen umbringt.“ Die Unterzeichner des Manifests dringen ihrerseits auf einen Dialog mit Putin. Das hält der SPD-Politiker „nach den vergangenen Monaten für naiv.“
Russland und Ukraine: „Können nicht beide Seiten gleich behandeln“
Deutlicher wird NRW-Europaminister Nathanael Liminski. Der CDU-Politiker war vor wenigen Tagen erst in Polen und in der Ukraine unterwegs und nach eigener Aussage „so nah an der Front, wie kein anderer deutscher Minister zuvor“. Die Menschen in beiden Ländern würden davon ausgehen, dass Putin derzeit kein ernsthaftes Interesse an Diplomatie habe. Grundsätzlich verstehe er den Wunsch nach Frieden, der im SPD-Manitfest zum Ausdruck komme. Aber: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Putin den Krieg begonnen hat. Man kann nicht beide Seiten gleich behandeln. Diesen Aspekt vermisse ich in dem Papier“, so Liminski am Rande eines Pressetermins gegenüber dieser Redaktion.
Manifest zu Ukraine: „Putin wird es für seine Propaganda missbrauchen“
Der Zeitpunkt des Manifests sei „unglücklich“, so Liminski: „Putin wird das missbrauchen. Für seine Propaganda und sein Narrativ, dass die Ukraine am Ende ist. Aber das ist nach allem, was ich vor Ort sehen konnte, keineswegs der Fall.“ Dem russischen Präsidenten sei nur beizukommen, indem man Stärke demonstriere – dann könne man ihn an den Verhandlungstisch zwisngen und auf Augenhöhe sprechen.
Der Minister vermutet bei der SPD auch innenpolitisches Kalkül. „Die Unterzeichner sollten klarer darüber Auskunft geben, ob sie wirklich außenpolitische oder eher innenpolitische Ziele haben.“ Womöglich gehe es vielen auch darum, kriegsmüde potenzielle Wählerinnen und Wähler in Deutschland zu erreichen.
Groll in der SPD: Wird sich immer wieder in der Merz-Regierung Bahn brechen
Der Politologe Johannes Hillje sieht noch andere Motive. „Bei manchen in der SPD hat sich ein Groll in zweifacher Hinsicht aufgestaut, der sich nun Bahn bricht und auch in Zukunft in der Koalition immer wieder Bahn brechen wird“, so Hillje im Gespräch mit dieser Redaktion. „Erstens: In der SPD waren viele schon während der Ampel-Koalition nicht mit der Außenpolitik einverstanden. Aber da hätten sie ihren eigenen Kanzler Olaf Scholz beschädigt, wenn sie offen Kritik geäußert hätten. Jetzt können sie Kanzler Friedrich Merz angreifen“, so Hillje. „Und zweitens sitzt seit dem Wahlkampf bei vielen der Groll immer noch tief. Es gab tiefe Verletzungen seitens der Union.“
Auch Hillje zeigt sich ob des Zeitpunkts des Manifests verwundert. „Es gab ja den Versuch, Putin diplomatisch beizukommen. Aber die letzten Wochen und die Istanbul-Verhandlungen haben gezeigt, dass er aktuell nicht an echten Gesprächen interessiert ist.“ Es sei nun an SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil, dafür zu sorgen, dass die interne Kritik nicht zum Koalitionsstreit eskaliert. „Es gibt offenbar einen Disziplingraben zwischen Kabinett-SPD und SPD-Fraktion. Den sollte die Partei überwinden“, so der Politikberater.
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