Palästina-Demos
Experte über Anti-Israel-Ausschreitungen: „Die Vorstellung von Multikulti ist unglaublich naiv“
In Berlin gab es im Oktober bei Pro-Palästina-Kundgebungen Ausschreitungen, in Essen zogen jüngst Islamisten durch die Stadt. Dahinter steckt ein Systemfehler, sagen Experten.
Berlin/Essen – Sie warfen Steine und Flaschen auf Polizistinnen und Polizisten, zündeten Autos an: In Berlin hatten dutzende Menschen bei Pro-Palästina-Kundgebungen Mitte Oktober nächtelang randaliert. Die Szenen spielten sich vornehmlich rund um die arabisch geprägte Sonnenallee im Stadtteil Neukölln ab, die Polizei sprach von einer aufgeheizten Stimmung. Wenige Wochen später sorgte eine Demo in Essen bundesweit für Aufsehen, bei der zahlreiche Islamisten durch die Stadt zogen. Vielen sei es nicht um Palästina gegangen, sondern um die Verbreitung radikalislamischer Ideologien, sagt Islamwissenschaftler Ahmad Omeirate: „Es entstehen Parallelwelten. Und das Bild, das in Deutschland propagiert wird, ist oft unglaublich naiv.“
Kalifat-Rufe in Essen, Ausschreitungen bei Pro-Palästina-Demo in Berlin
So gab es in Berlin Demonstranten, die die Terrororganisation Hamas bejubelten, und in Essen wurde die Errichtung eines Kalifats gefordert. Die Demo in Essen war von der „Generation Islam“ organisiert worden, die nach Ansicht von Sicherheitsexperten der radikalislamischen Hizb ut-Tahrir (HuT) nahesteht. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte zuletzt ein Verbot von „Generation Islam“ und ähnlichen Gruppen gefordert. Die Aktivisten werben seit Jahren im Netz vor allem junge Menschen, der Krieg in Israel dient ihnen als Mittel zur Emotionalisierung. Die Allgemeinheit hat davon aber bislang nur wenig Notiz genommen. „Beispiel Sonnenallee in Berlin. Da heißt es, man kann so toll arabisch essen gehen, das ist ein Touri-Ziel. Aber das ist nur die Außensicht, der Makrokosmos. Im Mikrokosmos sieht es ganz anders aus. Wenn man dort als Muslim wohnt und das islamistische Weltbild, das dort vorherrscht, nicht teilt, muss man Angst haben“, sagt Omeirate.
„Die Vorstellung von Multikulti ist unglaublich naiv. Man feiert das, aber lässt die Menschen, die da leben, dann einfach im Stich und kümmert sich nicht“, so der Islamwissenschaftler. Ein Systemfehler, sagen Experten: Vor allem in den 1970er und 80er Jahren waren Tausende aus dem Libanon vor dem dortigen Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet. Die meisten erhielten nur einen Duldungsstatus, hatten damit keine Arbeitserlaubnis. Aus der Perspektivlosigkeit heraus entwickelten sich Schattenökonomien und manchmal auch Bandenkriminalität – und bei manchen eine Offenheit für radikale Ideologien.
„Politik muss aufhören, legalistischen Islamismus zu hofieren“
Ähnliches gelte für einige Viertel von Essen oder Duisburg in NRW. Dort hat es bisher keine Ausschreitungen gegeben, aber die Behörden sind wachsam: „Wir werden bei Versammlungen weiterhin ein wachsames Auge auf die Anmelder haben und die rechtlichen Rahmenbedingungen von Beschränkungen und gegebenenfalls Untersagungen vollumfänglich ausschöpfen“, sagte Duisburgs Polizeipräsident Alexander Dierselhuis.
Bei Politikerinnen und Politikern herrsche bei dem Themenkomplex oft eine gewisse Unkenntnis vor, beklagt Islamwissenschaftler Omeirate. Die allermeisten Muslime hätten mit dem radikalen Islamismus nichts zu tun, aber die Radikalisierung im Netz nehme zu. „Die Politik muss aufhören, legalistischen Islamismus zu hofieren. Der Zentralrat der Muslime, Teile von Ditib oder Milli Görüs sind ebenfalls islamistisch durchdrungen.“ Der Staat habe Dachorganisationen wie diese jahrelang als Sprachrohr der Muslime behandelt und unterstützt. „Dabei sind die meisten Muslime darin gar nicht organisiert.“ (pen)
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