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Die Ukraine hat zuletzt selbst gehandelt, ohne westliche Waffen: In der Aktion „Spinnennetz“ zerstörten Drohnen mehrere russische Langstreckenbomber auf Militärflugplätzen hunderte bis tausende Kilometer von der Ukraine entfernt. Unter Vertretern und Helfern der Ukraine sind Enttäuschung und Unverständnis über Merz’ Zurückhaltung indes groß, wie die Frankfurter Rundschau am Rande einer Konferenz in Litauens Hauptstadt Vilnius erfahren hat.
„Bitte geben Sie uns die Taurus“: Selenskyj-Parteifreundin warnt vor weiteren Toten durch Russland
Jevheniia Kravchuk, Fraktionsvize von Wolodymyr Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ im ukrainischen Parlament, erklärte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wir bitten seit zwei Jahren um Taurus. Ich kann es natürlich wiederholen: Bitte geben Sie uns die Taurus!“ Die Aktion „Spinnennetz“ zeige aber eindrücklich Hintergründe und Bedeutung dieser Bitte, betonte Kravchuk am Rande der Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.
„Wir wussten, dass auf diesen Flugfeldern diese mit Raketen bestückten Flugzeuge standen. Genau diese Flugzeuge steigen in der Nacht auf und töten Menschen in der Ukraine.“ In der deutschen Debatte geäußerte Befürchtungen, die Ukraine werde etwa Moskau angreifen, wies Kravchuk zurück: „Es ist Russland, das zivile Infrastruktur angreift. Die Ukraine greift militärische Ziele an, so wie auch jetzt.”
„Diese deutsche Taurus-Angst”: Merz irritiert Helfer der Ukraine
Irritiert über das Zögern Deutschlands äußerte sich Jonas Öhman, Mitgründer und Vorstands-Mitglied der NGO „blue/yellow”. Diese liefert spendenfinanziert von Litauen aus nicht-tödliches militärisches Equipment an ukrainische Einheiten an der Front – und steht daher regelmäßig in Kontakt mit Soldaten vor Ort. „Ich verstehe diese deutsche Taurus-Angst nicht”, sagte Öhman der FR. Spätestens Donald Trumps Gesprächsinitiativen hätten gezeigt, dass Wladimir Putin Freundlichkeiten nicht honoriere.
Der „Taurus“ und der Ukraine-Krieg
600 Taurus-Lenkflugkörper, geliefert in den 00er bis frühen 10er-Jahren, besitzt die Bundeswehr. Auf „bis zu 500 Kilometer“ beziffert sie die Reichweite der von Flugzeugen abgesetzten Waffe. Das ist noch einmal ein gutes Stück weiter als die von Frankreich und Großbritannien bereits an die Ukraine gelieferten SCALP- und Storm-Shadow-Systeme.
Genau das macht Taurus für Kiew im Ukraine-Krieg potenziell wertvoll: Notgedrungen vor allem mittels Drohnen attackiert die Ukraine bislang tiefer im russischen Landesinneren gelegene Flugfelder. Von diesen aus steigen russische Bomber auf, um (oftmals zivile) Ziele in der Ukraine anzugreifen. Solche Attacken im Vorfeld zu unterbinden ist effizienter und einfacher, als Flugzeuge in der Luft zu bekämpfen. Völkerrechtlich ist es unzweifelhaft erlaubt, für kriegerische Angriffe genutzte Infrastruktur zur eigenen Verteidigung zu zerstören.
Zugleich gelte: „Der Krieg der Zukunft wird Waffen mit großer Reichweite verlangen. Aktuell gäbe es eine Gelegenheit, Taurus zu testen.“ Klar sei mittlerweile, dass das Überschreiten Putins „roter Linien“ nicht in einen Einsatz von Atomwaffen münde. „Das würde ihm Probleme bereiten, die er nicht lösen könnte“, erklärte Öhman. Ähnlich hatte sich bereits vor einiger Zeit Sicherheitsexperte Nico Lange im Gespräch mit unserer Redaktion geäußert.
Taurus-Ärger auch in Deutschland: „Friedrich Merz scheint sein Wort nicht zu halten“
Auch die (außerparlamentarische) Opposition in der Heimat übt Kritik. „Friedrich Merz scheint sein Wort nicht zu halten. Erst hat er das Thema Taurus symbolträchtig hochgezogen, nun will er offenbar doch nicht liefern“, rügte FDP-Vize Henning Höne vor deutschen Journalisten in Vilnius. Auf diese Weise verspiele man schnell weiteres Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern – und bei NATO-Partnern in Osteuropa.
Minister unter Merz: Komplette Liste des Kabinetts – von Klingbeil bis zu „neuen Gesichtern“
Kritiker möglicher Taurus-Lieferungen gibt es in Deutschland freilich auch – gerade auf linker Seite. Skeptisch zeigte sich zuletzt etwa Linke-Urgestein Gregor Gysi: Er warnte von einem „Kriegseintritt“ Deutschlands durch die Lieferung. Matthias Miersch, mittlerweile SPD-Fraktionschef, verwies auf Informationen aus dem „Geheimhaltungsbereich“. Merz selbst hatte zuletzt das Konzept der „strategischen Ambiguität” in den Fokus gerückt. Ein Taurus-Einsatz gegen Militär-Ziel tiefer in Russland würde der Öffentlichkeit gleichwohl ohnehin kaum verborgen bleiben. (Aus Vilnius berichtet Florian Naumann)