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Politikwissenschaftler Vedran Dzihic betont, die Wahl in Serbien sei keine freie und faire. Auch Deutschland habe zum autokratischen Zustand Serbiens beigetragen.
Belgrad – Am Sonntag (17. Dezember) wählt Serbien ein neues Parlament. Präsident Aleksandar Vučić steht gar nicht zur Wahl und trotzdem dominiert er den Wahlkampf. Seit Mai gehen Menschen in Serbien unter dem Motto „Serbien gegen Gewalt“ gegen seine Politik auf die Straße. Es sind die größten Proteste, die das Land seit Jahren erlebt hat. Große Teile der Opposition treten gemeinsam unter dem Namen der Protestbewegung gegen Vučićs Serbische Fortschrittspartei an. Welche Chancen das pro-europäische 15-Parteien-Bündnis gegen den Autokraten hat, und welche Fehler Deutschland und die EU gemacht haben, erklärt der Wiener Politikwissenschaftler Vedran Dzihic im fr.de-Interview.
Hat das oppositionelle Bündnis „Serbien gegen Gewalt“ eine Chance gegen Aleksandar Vučićs Koalition bei der Parlamentswahl?
Wenn man die Frage differenzierter betrachtet, bedeutet eine Chance zu haben, dass man unter fairen Bedingungen in einen Wettbewerb geht. Der Wettbewerb im Vorfeld der Wahlen muss allen Parteien die gleichen Möglichkeiten und Chancen eröffnen. Und es muss ein freies Umfeld gibt, in dem dann die Wahl stattfinden werden. Beides ist in Serbien nicht gegeben, die letzten Wahlen waren weder frei noch fair. Es gibt große Zweifel auch an der Legitimität dieses nächsten Wahlergebnisses.
Warum?
Es gibt einen überwältigenden Druck der Serbischen Fortschrittspartei unter Aleksandar Vučić auf die politischen Gegner. Eine sehr, sehr starke Dominanz der öffentlichen Debatten durch die regierungstreuen Boulevardmedien und Fernsehsender. Es gibt einen großen finanziellen Vorteil der Regierungsparteien, der nicht nur dazu benutzt wird, mehr Werbung zu schalten, sondern auch um Stimmen zu kaufen. Das wurde in letzter Zeit mehrmals öffentlich. Unter diesen Bedingungen jetzt von Chancen für die Opposition zu sprechen, ist eine relative Sache.
Wie betrachten Sie das oppositionelle Bündnis?
Praktisch ist es wichtige neue Dimension der innenpolitischen Auseinandersetzung Serbiens. In den letzten Jahren war die Opposition sehr schwach, sehr zerstritten. Es gab nie eine gemeinsame oppositionelle Front. Die gibt es auch dieses Mal nicht, weil die meisten rechten Parteien selbstständig antreten. Aber es ist zumindest ein Bündnis aus links-grünen Parteien bis zu Mitte-Rechts-Parteien. Die Koalition ist deutlich stärker als alle oppositionellen Bündnisse bisher. Das bedeutet, dass auch unter diesen unfairen und unfreien Bedingungen, die Chance besteht, ein sehr viel besseres Ergebnis zu erzielen als letztes Mal. Oppositionelle Stimmanteile im Parlament werden vermutlich steigen, und im besten Fall kommen auch Verschiebungen in einigen großen Städten zustande.
Die Hauptstadt Belgrad gilt hierfür als aussichtsreich.
Das ist die große Hoffnung. In Belgrad gibt es Missstände und die Menschen sind sehr unzufrieden mit der Regierung und dem Bürgermeister. Hier könnte es vielleicht eine Wende geben. Auch deswegen, weil die Opposition in Belgrad am besten organisiert ist, die meisten Ressourcen hat, die beste Kommunikations-Kampagne fährt und natürlich auch im direkten Kontakt mit den Menschen einiges bewegen kann. Es gibt also gewisse Chancen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass das Regime gebrochen werden kann.
Was möchte die Opposition?
Es gibt ideologische Gegensätze zwischen dem rechten Rand und linken Parteien. Rechte Parteien finden, dass Vučić zu viele Kompromisse in der Kosovo-Frage macht. Sie finden, dass er zu sich sehr nach Westen orientiert. Sie finden, dass die Partnerschaft und Freundschaft zu Russland, China und anderen autoritären Staaten gestärkt werden muss. Sie finden, dass Vučić im Bereich Tradition, Familie, sexuelle Orientierung zu viele Kompromisse macht. Bei der Linken gibt es eine intrinsische Motivation, die im Bewusstsein begründet ist, dass es eben ein viel besseres Serbien geben könnte. Sie sind davon überzeugt, dass transparente, verantwortungsvolle Institutionen, die in ein System von ‚checks and balances‘, eingebettet sind, besser für die Menschen in Serbien sind. Sie rücken Menschenrechte und Demokratie ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung. In der Wirtschaft wollen sie die Korruption zurückdrängen und mehr für den Umweltschutz tun.
Wie funktioniert Aleksandar Vučićs Machtsystem?
Autoritäre Regime, wie in Serbien, versuchen die demokratischen Arenen und auch die Wahlen relativ offenzuhalten, aber natürlich sehr stark kontrollieren, in dem sie möglichst viele Menschen kooptieren. Das macht Vučić materiell mit Stimmenkauf oder mit Arbeitsplätzen. Die Serbische Fortschrittspartei ist eine der größten Parteien weltweit, gemessen der Bevölkerungsanzahl. Fast 750.000 bis 800.000 Menschen sind Mitglied der Serbischen Fortschrittspartei. (Anm.: Das sind mehr als zehn Prozent der Bevölkerung.) Das ist eine riesige Verteilungsmaschine. Dann gibt es die narrative Dimension. Vučić verspricht ständig ein Goldenes Zeitalter, Fortschritt und Autobahnen.
Hat das Regime Risse?
Es gibt immer eine gewisse Form von Unsicherheit für solche Regime. Gerade wegen der relativen Offenheit, setzt es sich auch einer möglichen Veränderung aus. Aus anderen autoritären Regimen wissen wir, es braucht eine breite oppositionelle Front, die pragmatisch über ideologische Gegensätze hinwegsehen kann. Dann braucht es Mobilisierung aus der Zivilgesellschaft und von der Strasse, die haben wir zuletzt in Serbien gesehen.
Geeint wurde die Opposition aus den „Serbien gegen Gewalt“-Protesten, worum ging es da?
Es gab zwei Amokläufe im Mai und die Menschen sind spontan aus Wut, Zorn und Verbitterung auf die Straße gegangen. Das war eine Massenmobilisierung, die natürlich spezifisch war. Jetzt sind die Proteste abgeflaut, und in eine oppositionelle Bewegung umgemünzt worden. Das war gewissermaßen die Keimzelle des politischen Programms. Dieses lautet: Ein Serbien ohne die alltägliche Gewalt muss möglich sein, ein Serbien, in dem man frei leben kann, das rechtsstaatlich ist, in dem Institutionen funktionieren, in dem die die Sorgen der Bürger wahrgenommen werden, indem sich nicht eine kleine Elite bereichert und das Geld verteilt, indem das Geld nicht gestohlen wird. Kurz, ein normales Serbien.
Die Gewalt ist eine Metapher für die Art und Weise, wie der Staat geführt wird. Die Proteste hatten eine sehr starke emotionale Grundlage. Nämlich den berechtigten Aufschrei: „Das hätte auch meinem Kind passieren können.“ Die Bewegung war sehr viel breiter und sehr viel bunter als viele andere Bewegungen und Proteste in den letzten Jahren. Es waren Pensionisten, Studenten, Schüler, Junge, Alte, Arbeiter, Universitätsangehörige, Leute, die vielleicht mal die serbische Fortschrittspartei gewählt.
Wie verhält sich die EU gegenüber Serbien und Aleksandar Vučić?
In ihrem Fortschrittsbericht zum EU-Beitrittsprozess Serbiens zieht die Kommission eine im Kern ziemlich schlechte Bilanz: Es gibt keinen Fortschritt bei Rechtsstaat und Demokratie. Dazu kommt die antieuropäische, antiwestliche und auch prorussische Stimmung im Land. Trotzdem betreibt die EU-Kommission ‚business as usual‘ mit Vučić und kündigt neue Gelder für den Westbalkan insgesamt und damit auch für Serbien als den größten Staat in der Region.
Die Logik der EU scheint mir immer noch die zu sein, dass Serbien wichtig für die Stabilität des Westbalkans ist, und man deswegen vorsichtig mit Vučić umgehen muss. Das führt dann zu gewissen Verrenkungen, wie das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) in Belgrad sagte, Serbien hätte große Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit erzielt. Das ist kontraproduktiv und kann nur nach hinten losgehen.
So nehmen Autokraten, wie Vučić, die EU nicht mehr ernst und betrachten sie nur als finanzielle Melkkuh. Stattdessen sollte die EU klare Spielregeln für Förderungen durchsetzen. Schlussendlich sind Autokraten wie Vučić auch ein Damoklesschwert für die Stabilität der Region.
Ein Damoklesschwert in der Kosovo-Frage?
Für Vučić ist der Kosovo ein politisches Mittel, mit dem er Teile seiner Ideologie akzentuieren kann. Er war schon immer im Kern ein serbischer Nationalist. Es hat seinen Grund, dass er unter Slobodan Milošević Vize-Informationsminister war. Historisch war der serbische Nationalismus in der Region immer expansiv. Deshalb spielt Vučić mit der Option, sich Teile des Kosovos bei einer für ihn günstigen geopolitischen Entwicklung militärisch einzuverleiben. Natürlich würde er das derzeit nicht tun, da dort Nato-Truppen stehen, das wäre heute politischer Selbstmord. Aber er nutzt den Konflikt im Kosovo, um Ängste zu schüren und sich durch Ablenkung Zeit zu kaufen.
Die Spannungen der letzten zwei Jahre hat er teils mitinitiiert. Auch das, was am 24. September im Bajnska im Nordkosovo passiert ist, geht sicherlich direkt oder indirekt auf seine Kappe. (Anm.: Eine serbisch-nationalistische Miliz überfiel ein orthodoxes Kloster und die kosovarische Polizei. Ein Polizist und drei Milizionäre wurden getötet.) Vučić verfolgt hier eine Strategie, Sündenböcke zu schaffen, um sich als Verteidiger der Nation zu inszenieren. Momentan spricht er jeden Tag davon, dass der kosovarische Regierungschef Albin Kurti die Serben im Nordkosovo terrorisieren würde.
Wie Vučić zukünftig in der Kosovo-Frage agiert, hängt auch davon ab, wie die Wahlen in Europa und den USA ausgehen und ob es der Ukraine gelingt sich gegen Russland zu verteidigen. Gewinnen Trump in den USA, Rechtspopulisten in Europa und Russland in der Ukraine, dann muss er mit deutlich weniger Widerstand rechnen.
Welche Rolle spielt Deutschland in Serbien?
Deutschland könnte sehr viel ausrichten. Zugleich hat die deutsche Politik sich bezogen auf den Aufstieg dieser petty autocrats und Despoten, wie Vučić, einiges zuschulden kommen lassen. Angela Merkel sagte selbst, sie hatte eine gute Arbeitsbeziehung mit Vučić. Sie haben sich gegenseitig instrumentalisiert, vor allem in der sogenannten Migrationskrise 2015. Es gab auch die Politik wirtschaftlicher Verflechtung in der Hoffnung, damit Sicherheit und demokratische Verhältnisse zu schaffen, die mit Russland im großen Stil gescheitert ist. Olaf Scholz (SPD) hat dann versucht, die Außenpolitik neu auszurichten. Annalena Baerbock hat kürzlich auch noch einmal angemahnt, dass die Wahlen frei und fair sein müssen und den Stimmenkauf deutlich kritisiert. Doch die wirtschaftlichen Verflechtungen bestehen weiter und auch außenpolitisch wird die Stimme Deutschlands in Serbien oft bewusst ignoriert.
Wie sehen diese Verflechtungen aus?
Die deutsche Handelspolitik ist sehr, sehr heikel gewesen. Natürlich ist Serbien ein Markt, der längst von vielen deutschen und europäischen Unternehmen bespielt wird. Das weiß auch Vučić und die Karte spielt er sehr gut. Neueste Untersuchungen zeigen, dass deutsche Firmen einen Großteil ihrer Werbeausgaben in Serbien an die zwei regierungstreuen Fernsehsender und damit indirekt auch an die Serbische Fortschrittspartei geben. (Anm.: Die Studie der serbischen Nichtregierungsorganisation CRTA listet dutzende Million Euro auf, die seit dem 24. Februar 2022 an diese Medien flossen.) Das sind die Punkte, an denen es Deutschland schwerfällt, wirtschaftliche Interessen und demokratische Werte auseinanderzuhalten. (Interview: Kilian Beck)