Foreign Policy
Blick von außen: Das ist wirklich nicht mehr Angela Merkels rechte Mitte
Um die Rechtsextremen zu überflügeln, hat Friedrich Merz die CDU Deutschlands nach seinen Vorstellungen geformt. Kann Merz trotz Unbeliebtheit der nächste Bundeskanzler werden?
- Friedrich Merz entfernt sich immer weiter von Angela Merkels Politik der Mitte
- Um der AfD Stimmen streitig zu machen, verprellt Merz Merkels Basis
- Deutsche Wirtschaft zwischen Stagnation und Rezession – Merz 12-Punkte-Plan soll es richten
- Merz relativiert die Brandmauer – Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene möglich?
- Merz CDU mit deutlichem Abstand zu SPD und Grünen: Seine letzte Chance auf das Kanzleramt
- Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 12. Februar 2024 das Magazin Foreign Policy.
Der Anführer des deutschen Konservatismus hat endlich sein lang ersehntes Ziel in greifbare Nähe gerückt. Die deutsche Politik befindet sich in einem derartigen Schlamassel, das Land wird von anhaltenden Streiks heimgesucht und die Regierung leidet unter einer noch nie dagewesenen Unbeliebtheit. Der Weg zum Bundeskanzleramt scheint frei von Hindernissen zu sein. Doch Friedrich Merz hat sich in seiner langen Karriere immer wieder ausmanövrieren lassen. Wird es dieses Mal anders sein?
AfD stellt deutsche Demokratie auf Belastungsprobe
Die Logik diktiert, dass die Christlich-Demokratische Union (CDU), die einzige Volkspartei, die nicht an der Regierung beteiligt ist, sich mit Begeisterung auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr vorbereiten sollte. Stattdessen blickt die CDU über ihre Schulter auf die Alternative für Deutschland (AfD), die sich eine alarmierende Zahl wütender Wähler zunutze macht und die Belastbarkeit der deutschen liberalen Nachkriegsdemokratie auf die Probe stellt. In den Umfragen führt die nur knapp CDU. Die AfD liegt dicht dahinter und lässt drei Parteien der Regierungskoalition – die Sozialdemokratische Partei (SPD) von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Grünen und die liberalen Freien Demokraten – deutlich hinter sich.
Merz sucht für die CDU eine neue Identität – und verprellt dabei Merkel-Wähler
Scholz persönliche Umfragewerte sind katastrophal und Merz Werte sind nicht viel besser. Er wirft seiner Vorgängerin, der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, offen vor, die CDU so weit in die Mitte gerückt zu haben, dass sie nicht mehr von den anderen Parteien zu unterscheiden ist. Seit er die Partei im Januar 2022 übernommen hat (sein fünfter Versuch in einer Karriere, die sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt), hat Merz seine Partei nach rechts gerückt, in der Hoffnung, die Angriffe der AfD abzustumpfen.
Damit hat er gemäßigtere Wähler verprellt. In seiner Partei wird offen darüber diskutiert, ob der schroffe Merz der richtige Mann für die Kanzlerkandidatur ist. Von den beiden wahrscheinlichen Alternativen hat Markus Söder, der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union, die Vorzüge der Vertrautheit und eines gewissen Traditionalismus. Hendrik Wüst, der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, vertritt die jüngere, modernisierende Tendenz.
Merz 12-Punkte-Plan soll der deutschen Wirtschaft Aufschwung verschaffen
Merz wehrt sich gegen diese Spekulationen und besteht darauf, dass er am besten in der Lage ist, seiner Partei eine schärfere Kante zu geben und den respektablen deutschen Konservatismus für diese härtere Zeit neu zu gestalten.
Da die deutsche Wirtschaft zwischen Stagnation und Rezession schwankt, hat die CDU ein 12-Punkte-„Notfallpaket“ zur Ankurblung der Wirtschaft geschnürt. Es basiert auf einer Senkung der Steuer für Unternehmen, flexiblere Möglichkeiten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zu arbeiten, und einer Beseitigung von Vorschriften, „die Bürokratie erhöhen“. Es stellt eine Rückkehr zu einem traditionelleren, marktwirtschaftlichen Konservatismus dar, der darauf abzielt, die Mittelschicht zu unterstützen. Dies würde teilweise durch eine Reduktion der Sozialversicherungsleistungen finanziert. Nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts über die Schuldenbremse bleibt ein Loch von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Nun bemühen sich alle Parteien, Lösungen für das klaffende Loch und gleichzeitig Geld für Zukunftsinvestitionen zu finden.
Abschied von Willkommenskultur: Merz zeigt klare Kante gegenüber Einwanderung
In der zentralen Streitfrage, der Migration, hat er sich von der „Willkommenskultur“ verabschiedet, die Merkels CDU auszeichnete. Insbesondere von ihrer Entscheidung im Jahr 2015, die Einreise von 1 Million Migranten zuzulassen, die hauptsächlich aus dem Nahen Osten geflohen waren, distanziert er sich. Im Dezember 2023 stellte die CDU einen Programmentwurf vor, in dem sie vorschlug, Asylsuchende zur Bearbeitung ihrer Anträge in sogenannte sichere Drittstaaten umzusiedeln. Dies ist die Antwort auf die umstrittenen Pläne der britischen Regierung, Asylsuchende nach Ruanda zu schicken.
Für Merz ist ein solches Vorgehen nicht nur eine Frage des politischen Überlebens, sondern auch des Prinzips. Seit zwei Jahrzehnten setzt er sich für eine harte Haltung gegenüber der Einwanderung ein – zu einer Zeit, als solche Ansichten noch als undenkbar galten. Er hat eine Politik gefordert, die auf der Leitkultur basiert, einem Konzept, das neben robusten Integrations- und Assimilationsmaßnahmen auch den Respekt vor den deutschen Werten und der Rechtsstaatlichkeit voraussetzt.
Chancen auf Schwarz-Grün „sehr groß“ – Widerstand bei Merz schrumpft
Merz nähert sich der AfD Rhetorik und erlaubt sich Fauxpas
Die CDU ist damit nicht allein; die Regierungskoalition hat kürzlich eine härtere Einwanderungspolitik beschlossen, einschließlich der Einführung von Grenzkontrollen vor Ort. Das Dilemma, vor dem alle Parteien und insbesondere die CDU stehen, wenn es um den Umgang mit der AfD geht, erstreckt sich auf mehrere Bereiche. Darunter die Politik an sich, der Ton und die Art der Auseinandersetzung. In Bezug auf den Ton und die Art der Auseinandersetzung schwankt Merz zwischen dem Versuch, integrativ zu sein und rechte Parolen aufzuschnappen nach dem Motto „Ich weiß, was du wirklich denkst“.
Bei einer seiner gescheiterten Kandidaturen für das Amt des Bundespräsidenten im Jahr 2020 wurde er gefragt, ob er Vorbehalte hätte, wenn ein schwuler Kanzler Deutschland führen würde. „Nein“, antwortete er. „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht –, ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.“
Für Merz sind Flüchtlinge des Ukraine-Kriegs „Wohlfahrtstouristen“
Nach einem Aufschrei bemühte er sich um eine Klarstellung und erklärte, er habe Homosexualität nicht mit Pädophilie in Verbindung bringen wollen. Bei einer anderen Gelegenheit sprach er von „kleinen Pashas“ und bezog sich damit offensichtlich auf muslimische Eltern, die sich für ihre Kinder einsetzen. Einige Monate nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine bezeichnete er einige ukrainische Flüchtlinge als „Wohlfahrtstouristen“. Bei jedem Streit warf er seinen Anklägern vor, seine Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen zu haben.
Merz bisher umstrittenste Äußerung drehte sich um die heikle Frage der „Brandmauer“, das heißt die Verpflichtung der etablierten Parteien, keine politischen Absprachen mit der AfD zu treffen. Weder auf regionaler noch auf nationaler Ebene. Unter Merz schien diese Verpflichtung der CDU zeitweise zu erlahmen. Im Juli 2023, als die rechtsextreme Partei ihre erste Kommunalwahl gewann, sagte er in einem Fernsehinterview auf die Frage der Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene: „Natürlich muss dann in den Kommunalparlamenten nach Wegen gesucht werden, wie man die Stadt, den Landkreis gestaltet.“
Merz mit fragwürdigen Äußerungen – Relativierung der Brandmauer zur AfD
Dieser Trend ist auch in anderen Teilen Europas zu beobachten. Bei den spanischen Wahlen im vergangenen Jahr erklärte die konservative Volkspartei, sie würde sich gerne mit der rechtsextremen Vox zusammentun. In den Niederlanden hat die Mitte-Rechts-Partei des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte ebenfalls Gespräche mit der siegreichen Partei für die Freiheit aufgenommen, die von dem altgedienten Rechtspopulisten Geert Wilders geführt wird.
Doch in Deutschland, wo die Geschichte das öffentliche Leben weiterhin belastet, gilt die Brandmauer seit langem als unantastbar. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, war einer von vielen führenden CDU-Politikern, die den Vorschlag von Merz scharf zurückwiesen. Ihre Partei, so Wegner, „Die CDU kann, will und wird nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Geschäftsmodell Hass, Spaltung und Ausgrenzung ist.“ Dass Merz seine Partei auch als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ bezeichnete und die Grünen als „unseren Hauptfeind“ anprangerte, hat seiner Sache nicht geholfen.
Geheimtreffen von Potsdam zeigt: Die Übernahmepläne der AfD liegen bereit
In den vergangenen zwei Monaten hat sich die Debatte noch weiter zugespitzt, seit investigative Journalisten und Journalistinnen ein Treffen rechtsextremer und neonazistischer Politiker im November 2023 aufgedeckt hatten. Bei diesem „Masterplan“ für die massenhafte Abschiebung von Ausländern und „nicht angepassten“ Deutschen wurde dieses Vorhaben beschönigend als „Remigration“ betitelt. Die inzwischen berühmt gewordene Potsdamer Veranstaltung hat die etablierten Politiker und die Zivilgesellschaft dazu veranlasst, sich mit einer Reihe von Massendemonstrationen im ganzen Land gegen die AfD zu stellen. Die Tatsache, dass mehrere CDU-Mitglieder an der Veranstaltung teilnahmen, war peinlich für Merz, der schnell versprach, sie aus der Partei zu werfen.
Die Aufregung über das Potsdamer Treffen scheint der AfD jedoch nicht geschadet zu haben. Es wird immer noch erwartet, dass sie bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni die größte Gruppierung oder knapp hinter der CDU die zweitgrößte sein wird; noch dramatischer ist, dass sie bei einer oder allen drei Landtagswahlen im September, in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, zum Sieg stürmen könnte.
Merz in der Bredouille: Weiter nach Rechts oder zurück zur Mitte?
In diesem Fall wird die CDU unter großem Druck stehen, sich mit den anderen etablierten Parteien zu einer Koalition aufzuraffen, damit die AfD in den Landtagen keine Regierung stellen kann. Das Dilemma von Merz ist akut. Wenn er den Rechtsruck der CDU fortsetzt, wird er viele derjenigen weiter verprellen, die durch Merkel zur Partei gekommen waren. Tut er es nicht, überlässt er der AfD das Feld, um weiterhin unzufriedene konservative Wähler abzugreifen.
In einer kürzlich geführten Parlamentsdebatte, die sich durch persönliche Angriffe auszeichnete, warf Scholz Merz Opportunismus und Leichtsinn vor. „Wie kann man so die Zukunft Deutschlands verspielen wollen, wie Sie das tun? Ökonomischer Sachverstand: Null.“ Weiter bezeichnete er den CDU-Vorsitzenden als „empfindliche, welkende Blume“, bevor er zu einer sportlichen Analogie griff: „Ich finde, wer boxt, der sollte kein Glaskinn haben. Aber Sie haben ein ganz schönes Glaskinn, Herr Merz.“
Der kämpferische Merz wird weiterkämpfen, denn er weiß, dass dies seine große Chance und letzte Chance ist. Er kann sich damit trösten, dass die CDU einen deutlichen Vorsprung vor der SPD und den Grünen hat, während die FDP vielleicht sogar unter die für den Einzug ins Parlament erforderliche 5-Prozent-Hürde fallen. Trotz seiner Probleme bleibt Merz der wahrscheinlichste nächste Bundeskanzler im Jahr 2025 - wenn er seine Partei davon überzeugen kann, an ihm festzuhalten.
Zum Autor
John Kampfner ist der Autor von Why the Germans Do It Better: Notes from a Grown-Up Country.
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Dieser Artikel war zuerst am 12. Februar 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

