Widerstandskämpfer berichtet
Bürgerkrieg in Myanmar: Jeden Tag „nur Gräueltaten“
Seit dreieinhalb Jahren tobt in Myanmar ein blutiger Bürgerkrieg. „Unser Gegner ist eine top ausgerüstete Armee“, erzählt ein Widerstandskämpfer.
Für Ko Phyo Wai teilt sich das Leben in ein Davor und ein Danach. Davor – das war die Zeit, als sich das Militär in Myanmar noch nicht an die Macht geputscht hatte. Ko Phyo Wai war damals Dichter, Künstler und Lehrer, auch politisch habe er sich engagiert, erzählt der 33-Jährige. Lange her. Heute trägt Ko Phyo Wai den Titel „Chief Training Officer“, was ein bisschen so klingt wie die neumodische Jobbezeichnung für irgendeine Büroarbeit. Aber Ko Phyo Wai ist Kämpfer. Als Mitglied der People‘s Defense Force (PDF) leistet er bewaffneten Widerstand gegen die Militärjunta, die Myanmars kurzen Traum von der Demokratie im Februar 2021 jäh beendet hatte. Er sei früher ein fröhlicher Mensch gewesen, sagt Ko Phyo Wai in einem Zoom-Gespräch, das der Verein „German Solidarity with Myanmar Democracy“ organisiert hat. Heute aber bestehe jeder Tag „nur aus Gräueltaten“.
Der Putsch hat das südasiatische Myanmar in eine tiefe Krise gestürzt. Nach der Machtübernahme der Militärs kam es im ganzen Land zu friedlichen Protesten gegen das Regime von General Min Aung Hlaing. Studenten, Bauern und Arbeiter gingen auf die Straßen, sie forderten eine Rückkehr zur Demokratie und die Freilassung von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Das Militär hatte die Ikone der Demokratiebewegung unmittelbar nach dem Putsch in Haft genommen und später zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Proteste aber wurden nach wenigen Wochen blutig niedergeschlagen, viele Aktivisten ermordet oder ins Gefängnis geworfen, andere gingen in den Untergrund.
„Unser Gegner ist eine top ausgerüstete Armee“
Nach dem Putsch gelangen den vielen versprengten Widerstandskämpfern lange Zeit nur vereinzelte Schläge gegen die Junta. Die Wende kam im Oktober vergangenen Jahres. Die sogenannte „Three Brotherhood Alliance“, ein loses Bündnis dreier Widerstandsgruppen, überrannte in einer Überraschungsaktion mehrere Stellungen der Junta. Vor allem in Nordosten des Landes, im Shan-Staat an der Grenze zu China, verlor das Militär seit Beginn dieser sogenannten „Operation 1027“ die Kontrolle über Dutzende Städte und Ortschaften. Heute dürfte die Junta nur noch die Hälfte des Landes unter ihrer Kontrolle haben, so Experten. Fast überall in Myanmar herrscht Bürgerkrieg.
Es ist ein erfolgreicher, aber ungleicher Kampf. „Unser Gegner ist eine top ausgerüstete Armee“, sagt Ko Phyo Wai. Die Junta verfüge über große Mengen an Munition, über Panzer und Kampfflugzeuge. Die Widerstandskämpfer hätten dem wenig entgegenzusetzen. „Das Entscheidende ist die Moral“, sagt er, und die sei auch nach dreieinhalb Jahren hoch. Die Soldaten der Junta wüssten nicht, wofür sie kämpften. Er und seine Männer aber hätten ein klares Ziel: die Herrschaft des Militärs zu beenden. „Mit dem Militär gibt es keine Zukunft für Myanmar.“
Mehr als drei Millionen Menschen sind auf der Flucht
Mehr als 5000 Zivilisten kamen in dem Konflikt nach Angaben der Vereinten Nationen bereits ums Leben, 3,3 Millionen Menschen seien zu Vertriebenen im eigenen Land geworden oder aus Myanmar geflohen, heißt es in einem UN-Bericht vom September. Andere Quellen sprechen von 50.000 Todesopfern, vor allem unter Soldaten und Widerstandskämpfern. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist dramatisch. Betroffen ist derzeit vor allem die fast vollständig von Rebellen kontrollierte Region Rakhine, nahe der Grenze zu Bangladesch. Zwei Millionen Menschen seien dort von Hunger bedroht, warnten vor wenigen Tagen die Vereinten Nationen. „Rakhine steht am Abgrund einer noch nie dagewesenen Katastrophe“.
Eingeklemmt zwischen den Fronten sind auch die Rohingya, eine muslimische Minderheit im mehrheitlich buddhistischen Myanmar. Hunderttausende wurde vom Militär und der Arakan Army, eine Widerstandsgruppe, aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben, viele sind ins benachbarte Bangladesch geflohen.
„Das Militär greift gezielt zivile Orte und Flüchtlingslager an“, schildert Ko Phyo Wai die Lage vor Ort. Der PDF-Kämpfer befindet sich zum Zeitpunkt des Gesprächs in der Region um Mandalay, dem kulturellen Zentrum von Myanmar. Die Millionenstadt selbst ist noch immer in der Hand der Junta, so wie die meisten großen Städte. Es sind vor allem die ländlichen Gebiete, in denen die Widerstandskämpfer die Kontrolle ausüben, von dort starten sie ihre Attacken auf die urbanen Zentren. Im April etwa reklamierte die People‘s Defense Force einen Drohenangriff auf die Hauptstadt Naypyidaw für sich.
„Wir sind müde, wir vermissen unsere Heimat. Aber wir kämpfen weiter“
Die PDF ist der bewaffnete Flügel von Myanmars Exilregierung, von ihr erhielten seine Truppen ihre Befehle sowie finanzielle Unterstützung, erzählt Ko Phyo Wai. Woher die Waffen der Widerstandskämpfer stammen, will er hingegen nicht verraten. Rekrutiert würden Männer ab 18, sofern sie keine Kinder zu ernähren hätten, Familienväter würden nur im Hintergrund eingesetzt. Während die Junta seit Anfang des Jahres Männer zwischen 18 und 35 sowie Frauen bis 27 auch gegen ihren Willen einzieht, würden sich die PDF-Kämpfer dem Widerstand freiwillig anschließen. Ko Phyo Wai ist als „Chief Training Officer“ für ihre Ausbildung zuständig.
Eine diplomatische Lösung des Konflikts ist derzeit nicht in Sicht. Der südostasiatische Staatenbunde ASEAN forderte auf seinem jüngsten Gipfel in Laos zwar einmal mehr von allen Seiten „konkrete Maßnahmen“, um die Kämpfe zu beenden. Und seit die Oktober-Offensive vom vergangenen Jahr den Konflikt an die Grenze zu China getragen hat, dringt auch Peking auf ein Ende der Kämpfe. Die Volksrepublik setzt auf Wahlen, die Junta-Chef Min Aung Hlaing für kommendes Jahr in Aussicht gestellt hat, die aber wohl kaum fair ablaufen dürften. Ko Phyo Wai setzt wenig Hoffnungen in Gespräche mit der Junta. „Jetzt ist noch nicht die Zeit für Verhandlungen. Wir müssen das Militär erst so weit schwächen, dass wir einen Dialog auf Augenhöhe führen können.“ Der PDF-Kämpfer weiß, dass das dauern kann. „Wir sind müde, wir vermissen unsere Heimat und unsere Familien“, sagt er. „Aber wir kämpfen weiter.“
