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„Ukraine kann Europa helfen“

Lassen die USA Europa fallen? Nüchternes Urteil aus der Ukraine

Europa bangt um den Schutzschirm der USA. Ein Experte aus der Ukraine reagiert im FR-Gespräch nüchtern – erwartet aber schmerzhafte Herausforderungen.

„In Washington, there‘s a new sheriff in town“: J.D. Vance erschütterte die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) mit einer harschen Rede – samt einer mindestens verwunderlichen Parteinahme für die AfD mitten im Bundestagswahlkampf. Doch die größte Frage nach Vance‘ Auftritt lautet vielleicht: Könnten die USA Europa just im Angesicht Wladimir Putins imperialen Ansprüchen alleine zurücklassen?

Der ukrainische NGO-Chef Oleksandr Sushko zeigte sich im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau am Rande der MSC wenig überrascht über die neue Lage. Er urteilte dem Ukraine-Krieg zum Trotz nüchtern – und sieht nun Europa unter schmerzhaftem Handlungsdruck.

Trumps Vize lässt Europa zittern – Ukrainischer NGO-Chef: „Rückkehr zu einer Art normalen Realität“

Die neue Lage für Europa sei „schwierig“ – „aber es ist die Rückkehr zu einer Art normalen Realität“, erklärte Sushko. Über Jahrhunderte sei Europa für sich selbst verantwortlich gewesen. „Mit Sicherheit waren das andere, nicht vergleichbare Zeiten – aber so oder so glaube ich nicht, dass wir uns in Europa auf jemanden in Übersee verlassen sollten, der unsere Sicherheit auf alle Zeit garantiert.“ Sushko ist Direktor der „International Renaissance Foundation“, die sich in der Ukraine für eine offene Gesellschaft und Menschenrechte einsetzt.

Der ukrainische Zivilgesellschaftler Oleksandr Sushko sieht Europa nach der Vance-Rede unter Druck. (Montage/Archivbilder)

Eine Lage wie seit dem Zweiten Weltkrieg, mit den USA als Schutzmacht, könne nicht für immer andauern. „Donald Trump hin oder her: Es wird sich etwas ändern und es wird eine natürliche Verantwortlichkeit unserer Länder, unserer Union geben“, fügte Sushko hinzu.

Nötig seien nun unpopuläre Schritte. „Ich verstehe, dass das für Europa schmerzhaft ist – besonders mit Blick auf die Kosten, wenn Steuergelder in Verteidigung statt in Bildung oder Gesundheit fließen sollen.“ Das zu kommunizieren, werde eine Herausforderung. Und es könne Regierungen Zustimmung kosten. Und doch sei es der einzige Weg, langfristig Sicherheit zu garantieren. Widerspiegeln könnte sich das auch in europäischen Sicherheitsgarantien für die Ukraine – gegen einen weiteren Angriff Putins.

Ukraine in der EU? Erfahrung aus dem Krieg „kann Europa helfen“

Wie blickt die Ukraine auf diese mögliche Entwicklung? „Wenn Europa eigenständiger wird, dann beschert das auch der Ukraine ein größeres Sicherheitsgefühl“, sagte Sushko der FR. „Es ist für die ukrainische Gesellschaft eher natürlich, zusammen mit Europa etwas aufzubauen, denn das ist unsere Gemeinschaft.“

Wichtig sei die Aufnahme in die EU. Gerade zu einer Verteidigungsgemeinschaft habe die Ukraine einiges beizutragen. „Es gibt in der Ukraine Erfahrung mit dem gegenwärtigen Krieg. Das ist eine unglückliche Erfahrung, aber sie kann Europa helfen, auf künftige Herausforderungen vorbereitet zu sein“, erläuterte Sushko.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Die Ukraine ist EU-Beitrittskandidat. EU-Politiker sehen allerdings noch große Hürden – etwa angesichts des Einstimmigkeitsprinzips in der Union, aber auch aufgrund von Sorgen etwa vor ukrainischen Landwirtschaftsexporten in den Binnenmarkt.

Einige führende Staats- und Regierungschefs arbeiten am Montag unterdessen an einer Reaktion auf Trump: Unter anderem Kanzler Olaf Scholz (SPD), Emmanuel Macron, Giorgia Meloni, der britische Premier Keir Starmer und Polens Ministerpräsident Donald Tusk treffen sich in Paris bei einer Unterstützungskonferenz für die Ukraine. Um Unterstützung allein dürfte es dabei nicht gehen – denn unklar ist auch noch, ob Europa einen Platz am Tisch der möglichen Ukraine-Friedensverhandlungen bekommt. Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich aber im WahlFORUM von IPPEN.MEDIA optimistisch. (fn)

Rubriklistenbild: © Mohammed Badra/picture alliance/dpa/EPA Pool/AP/Danil Shamkin/Ukrinform/Imago/fn

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