Debatte um Vorratsdatenspeicherung
„Härteste Fälle“ und Kinderpornografie schwer aufklärbar: Justizsenatorin rügt „Schutz für Schwerstkriminelle“
Berlins Justizsenatorin sagt: Datenschutz erschwert bisweilen die Aufklärung schwerster Straftaten. Auch bei der Prävention sieht Felor Badenberg Lücken.
Berlin – Wer mit Polizistinnen oder Polizisten ins Gespräch über ihre Arbeit kommt, hört wahrscheinlich irgendwann einen Satz, der ungefähr so lautet: „Manchmal fühlt es sich an, als wären uns die Hände gebunden.“ Kriminalbeamte klagen immer wieder darüber, dass sie Ermittlungen nicht abschließen können, weil ihnen bestimmte Befugnisse fehlen. Meist geht es dabei um Datenschutz.
Bei Terrorverdacht auf Tipps aus dem Ausland angewiesen – Ermittler für Vorratsdatenspeicherung
„Deutschland stellt mit seinem starren Datenschutz immer wieder den Täterschutz vor den Opferschutz“, sagte Manuel Ostermann, Co-Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, erst vor wenigen Monaten bei einer Anhörung im NRW-Landtag zum Thema Organisierte Kriminalität. Regelmäßig seien die Ermittler etwa bei Terrorverdacht auf Tipps aus Ländern angewiesen, in denen es weniger strikte Datenschutz-Regeln gebe.
Es ist eine Gratwanderung zwischen der Wahrung von Persönlichkeitsrechten und der Aufklärung von Straftaten. Ein großes Thema dabei: die Vorratsdatenspeicherung. Sie verpflichtet Internetanbieter, Daten über längere Zeiträume zu speichern und Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Aus Sicht der Polizei ein wichtiges Instrument, aus Sicht vieler Datenschützer ein Unding. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2023 darf die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht mehr genutzt werden.
Justizsenatorin: Datenschutz erschwert bisweilen Aufklärung schwerer Straftaten wie Kinderpornografie
Die Bundesregierung hat sich zuletzt auf eine Alternative geeinigt: Das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, bei dem Ermittler vorübergehend bestimmte Daten sichern können. Das sei kein Ersatz, sagte jetzt Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg im Interview mit IPPEN.MEDIA: „Die Nachricht kam ausgerechnet an dem Tag, an dem auch erste Ergebnisse der Kriminalstatistik verkündet wurden. Das ist schon fast ironisch, denn das Verfahren wird aufgrund seiner Praxisferne nicht gerade zu mehr Aufklärung beitragen.“
Die Aufklärung schwerer Straftaten werde bisweilen auch mit dem Argument des Datenschutzes erschwert, so Badenberg. „Und da rede ich auch von den härtesten Fällen, mit denen Strafverfolgungsbehörden zu tun haben können, insbesondere Kinderpornografie“, sagte die Senatorin. „Müssen wir die Persönlichkeitsrechte von Schwerstkriminellen im Netz so schützen, dass die Ermittlungen stark erschwert werden? Ich denke nicht.“ Die Opfer hätten berechtigte Interessen – die aktuell nicht immer hinreichend gewürdigt würden. „Auch den Terrorismus könnten wir wirkungsvoller bekämpfen, wenn wir zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung hätten.“
Cyberattacke aus China auf Dax-Unternehmen: „Keine Chance, den Angriff aufzuklären“
Vor einiger Zeit habe es eine Cyberattacke aus China auf ein großes deutsches Dax-Unternehmen gegeben, erzählt Badenberg. Weil die ausgespähten Daten nicht lange genug gespeichert worden seien, habe es keine Chance gegeben, den Angriff vollständig aufzuklären. „In der öffentlichen Debatte wird oft der Eindruck vermittelt, der Staat würde die Leute unrechtmäßig überwachen. Ich würde mir mehr Vertrauen in unseren Rechtsstaat und seine Institutionen wünschen.“
Insgesamt sei Deutschland aktuell auch gegen Spähangriffe und Spionage nicht hinreichend geschützt. „Zum Beispiel ist das sogenannte G10-Gesetz zur Überwachung der Telekommunikation größtenteils auf das Zeitalter von Briefen und analoger Telefonie ausgerichtet. Aber im digitalen Zeitalter, wo Nachrichten über Messengerdienste verschlüsselt übertragen werden, ist die Sache komplizierter“, so Badenberg. „Wir müssen vor die Lage kommen, um Angriffe und Anschläge zu verhindern. Dafür müssen wir die richtigen Handlungsgrundlagen für die Sicherheitsbehörden schaffen – effektive, zeitgemäße Aufklärungsstools.“
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