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Reportage

Polizeibeamtin im Brennpunkt-Viertel: „Clan-Mitglieder passen Polizisten vor der Wache ab“

Polizistin Sabrina Viek in Duisburg-Marxloh
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Polizistin Sabrina Viek arbeitet seit Jahren im Norden von Duisburg und erzählt als Vertrauensfrau der Gewerkschaft der Polizei (GdP) über ihren Job.

Kriminelle Clans, Drohungen und Ziegen in Abrisshäusern: Die Arbeit von Polizisten in Brennpunkt-Vierteln ist hart. Eine Beamtin erzählt, wie sie damit fertig wird – und warum es dennoch ihr Traumjob ist.

Duisburg – Bei der Platzwahl im Café überlässt Sabrina Viek nichts dem Zufall. Natürlich sitzt sie mit dem Rücken zur Wand, Blick auf die Tür. Wie immer. „Das ist tatsächlich eine typische Polizistenangewohnheit“, sagt sie und trinkt einen Schluck aus dem Kaffeebecher. „Ich nehme den Platz, von dem aus ich den ganzen Laden überblicken kann.“

Manche Straßenzüge von Duisburg-Marxloh gelten als Brennpunkt. Für Polizisten ist die Arbeit hier eine große Herausforderung, sagt Polizeibeamtin Sabrina Viek.

Polizistin in Duisburg-Marxloh: „Wenn wir jetzt jemanden festnehmen, kommen ganz schnell Dutzende Leute“

Vielleicht wird man besonders wachsam, wenn man als Polizistin in einer Gegend wie Duisburg-Marxloh arbeitet. Der Stadtteil ist einer der ärmsten in ganz Deutschland, die Arbeitslosenquote ist hoch, die Kriminalitätsrate überdurchschnittlich. Manche Straßenzüge gelten als Brennpunktviertel. Die 35-jährige Polizeibeamtin ist seit vielen Jahren hier unterwegs, meist in zivil. Die Arbeit sei eine besondere Herausforderung, erzählt sie. „Es gibt Viertel, da weiß ich ganz genau: Wenn wir jetzt jemanden festnehmen, kommen ganz schnell Dutzende Leute.“ Leute, die die Beamten dann bedrohlich umringen. Die laut werden. Viele hätten Messer dabei.

Oft geht es bei den Einsätzen um Drogen, um Diebes-Banden oder Kriminelle aus dem sogenannten Clan-Milieu. „Die Menschen, die zu dieser Klientel gehören, haben die Attitüde: Der Staat kann mir eh nix. Ein paar Jahre Gefängnis beeindrucken die nicht“, erzählt Viek. „Es kommt durchaus vor, dass einer von den Clan-Leuten vor der Wache steht und einen Kollegen abpasst. Oder auf der Straße vermeintlich freundlich grüßt und sagt: Ich kenne dich doch, du bist Polizist. Das wirkt schon bedrohlich.“

Polizeiarbeit im Brennpunkt-Viertel: „Wenn man immer wieder solche Dinge erlebt, dann verändert einen das“

Belastet so etwas auf Dauer? „Ja, wenn man immer wieder solche Dinge erlebt, dann verändert einen das“, sagt sie. Manchmal müsse man auch Dinge sehen, die man nie wieder vergesse. So wie diesen Einsatz: „Angefangen hatte es als normale Verkehrskontrolle. Dann hat der Fahrer plötzlich Gas gegeben. Bei der Verfolgungsfahrt ist er dann gegen einen Baum gekracht und war schwer verletzt.“ Es sei wichtig, dass solche Erlebnisse aufgearbeitet werden, sagt Viek, die Vertrauensfrau bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist. Immer gelinge das nicht, denn: „Die Arbeitsbelastung für Polizisten wird immer größer.“ 

Bunte Brautkleider im „Brennpunktviertel“: Die Weseler Straße in Marxloh ist eine regelrechte Touristenattraktion.

Der Kaffee ist leer, es geht raus ins Viertel. Auf die Weseler Straße, die ein Phänomen mitten im Brennpunkt ist. Dutzende Brautmodenläden reihen sich zwischen genauso viele Juweliere. Quietschbunte Kleider voller Strass glitzern hinter blank gewienerten Schaufensterscheiben. Es gibt hier doppelt so viele Hochzeitsgeschäfte wie in ganz München, sagt das Stadtmarketing. Türkische Einwanderer haben mit viel Geschäftssinn aus den einst leerstehenden Häusern eine Touristenattraktion gemacht. Wer mit den Goldhändlern ins Gespräch kommt, erfährt, dass viele Kunden den teuren Schmuck bar bezahlen. Gibt‘s ein Geldwäscheproblem? Sabrina Viek zuckt nur mit den Schultern.

Abseits der Vorzeigestraße wandelt sich das Bild schlagartig. Müllberge liegen mitten auf dem Bürgersteig. Die Gründerzeithäuser waren sicher mal hübsch. Jetzt sind manche Fenster mit Brettern vernagelt. Auffällig oft stehen Haustüren offen – wenn es überhaupt noch eine Tür gibt. Auf den Klingelschildern stehen meist gar keine Namen – und da, wo mal Klingelknöpfe waren, ragen oft nur noch Kabel aus den Wänden. „Das ist typisch für das Viertel. Die Menschen gehen einfach ein und aus. Wer da wohnt, das weiß man manchmal nicht so ganz genau.“

Müll stapelt sich in manchen Straßen von Marxloh.

Viele kommen aus Rumänien, leben oft nur ein paar Monate in Deutschland und ziehen dann weiter durch Europa. Die meisten sind Opfer von Banden, die sie zum Betteln schicken oder zu Betrügereien nötigen. „Eine Familie hatte sogar eine Ziege in der Wohnung gehalten. Manchmal haben die Leute auch Schlachtabfälle auf dem Balkon“, erzählt Viek. In einem Hinterhof stapelt sich Abfall. Putz bröckelt von den Fassaden der Mehrfamilienhäuser, gelbe Dämmwolle quillt aus Löchern so groß wie Fußballtore. Sabrina Viek schaut sich um, presst die Lippen zusammen. „Das ist ein Thema für die Politik, dafür zu sorgen, dass niemand in derart prekären Verhältnissen leben muss“, sagt sie.

Klau-Banden und Clankriminalität: Gerade strafmündig und schon im Gefängnis

Viele Läden sind dicht, der Leerstand ist hoch.

Ansätze in der Kommunalpolitik gibt es. Zum Beispiel das Projekt „Arrival City“. Aus Marxloh soll ein sogenannter Ankunftsstadtteil werden, in dem sich Zuwanderer in betreuten Netzwerken gegenseitig helfen. Gefruchtet hat das noch nicht. Dafür hat der Stadtteil jetzt ein neues Problem, Klau-Banden gehen seit Monaten auf Beutezüge. Die Täter sind jung, oft minderjährig. An eine Mauer hat jemand Namen gesprüht: „Free Arubi“, steht da zum Beispiel – Freiheit für Arubi. Sabrina Viek kennt einige der Namen und die Menschen, zu denen sie gehören. „Die sind gerade strafmündig geworden und sitzen jetzt im Gefängnis“, sagt sie.

„Free Arubi“: Auf der Mauer stehen Namen von jungen Straftätern, die jetzt im Gefängnis sitzen.

Drei junge Männer in dicken dunklen Daunenjacken stehen an der nächsten Straßenkreuzung, die Kapuzen über den Köpfen. „Typische Eckensteher“, sagt Polizistin Viek und verlangsamt den Schritt. Einer von ihnen schaut sich um, gibt den anderen ein Handzeichen, eilt in einen Kiosk gegenüber. Kann sein, dass sie die Polizistin in Zivil erkannt haben.

„Eckensteher“ seien typisch für das Viertel, sagt Polizistin Viek.

Der Stress, die Gefahr, das Leid, das sie sehen muss: Hat sie schon mal daran gedacht, keine Polizistin mehr zu sein? „Auf keinen Fall, ich liebe diesen Beruf, der so vielfältig ist, wie wohl kaum ein anderer“, sagt sie, und schließt ihr Auto auf. Geparkt hat sie es an einer Wand, mit Blick auf die Einfahrt zum Parkplatz. Wie immer.

Der Begriff Clankriminalität

► Wenn die Rede von kriminellen Clans ist, sind in Deutschland oft kriminelle Mitglieder von Großfamilien mit kurdisch-libanesischen beziehungsweise arabische Wurzeln gemeint. Die meisten Menschen aus diesen Familien sind nicht kriminell. Wenige Subclans aber haben sich zu Gruppierungen zusammengeschlossen, die Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität begehen.

► Viele gehören den sogenannten Mhallami an, einer arabischstämmigen Volksgruppe. Ihre Vorfahren wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben, kamen dann in den Libanon. Als dort Bürgerkrieg herrschte (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.

► Als Staatenlose erhielten viele den Duldungsstatus, konnten keiner geregelten Arbeit nachgehen. Denn für Asylbewerber und Geduldete gilt in Deutschland grundsätzlich ein Arbeitsverbot.

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