„Erste Probe“ für Merz
Koalitionsvertrag, Kanzler-Wahl, Zapfenstreich, AfD-Streit: Deutschland-Wandel läuft – in kürzester Zeit
Es geht Schlag auf Schlag: Innerhalb von drei Tagen wird der Regierungswechsel vollzogen. Derweil steht die Regierung vor einer Frage: Wie mit der AfD umgehen?
Berlin – Die Symbolik ist klar – und der Ton der neuen Bundesregierung gesetzt: Der Gasometer in Schöneberg war einst Wegweiser in eine hoch entwickelte Zukunft, ein Wahrzeichen der industriellen Veränderung. Kein Zufall, dass CDU, CSU und SPD das historische Gebäude im Süden von Berlin als Ort der Unterzeichnung ihres Koalitionsvertrags ausgewählt haben. „Wirtschaft und Industrie wieder nach vorne zu bringen, ist das oberste Ziel dieser Koalition“, sagte der SPD-Chef und designierte Finanzminister Lars Klingbeil. Und der Kanzler in spe, Friedrich Merz, machte klar: „Einen besseren Ort, um das klarzumachen, gibt es ja kaum.“ Im ersten Zug gehe es um Aufschwung, im nächsten dann um Entlastung, ergänzte Klingbeil.
Am Montag startete der Auftakt einer denkwürdigen Woche in Berlin: Der schwarz-rote Vertrag ist nun offiziell besiegelt, die neue Ministerriege – die SPD hatte ihre Mannschaft erst am Morgen bekanntgegeben – zeigte sich erstmals öffentlich als solche. Noch am selben Abend wird es den Zapfenstreich für Olaf Scholz geben, seine Kanzlerschaft endet. Und am Dienstag will sich Friedrich Merz zu seinem Nachfolger wählen lassen. Dafür braucht er eine Mehrheit aller Bundestagsabgeordneten, also mindestens 316 Stimmen. 328 Abgeordnete gehören Union und SPD an – es könnte zwar knapp werden, aber seine Wahl gilt als ziemlich sicher.
Koalitionsvertrag, neue Minister im Merz-Kabinett und großes AfD-Fragezeichen
Koalitionsvertrag, neue Minister von Union und SPD, Zapfenstreich und Kanzlerwahl: Innerhalb weniger Tage vollzieht sich ein Wandel in Deutschland, ein Neustart. Die neue Regierung startet derweil direkt mit einem ganz großen Fragezeichen: Wie soll sie mit der AfD umgehen, nachdem der Bundesverfassungsschutz die gesamte Partei als rechtsextremistisch eingestuft hat?
Aus der SPD werden bereits Stimmen von Abgeordneten laut, die ein AfD-Verbotsverfahren zumindest in Erwägung ziehen. „Wenn der Verfassungsschutz die Partei als gesichert rechtsextremistisch einstuft, tut die Behörde dies auf Grundlage von Beweisen. Somit sollte man auch alle Schritte gegen die AfD zumindest prüfen, die aufgrund der neuen Sachlage möglich werden könnten. Dazu gehört auch, zu schauen, ob ein Verbotsverfahren Sinn macht“, sagte etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Macit Karaahmetoğlu im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.
In der Unionsspitze ist man eher skeptisch. Ein Verbotsverfahren sei „Wasser auf die Mühlen der AfD und ihre Geschichtserzählung, dass man sich nicht mehr politisch mit ihr auseinandersetzen will, sondern nur noch juristisch“, sagte etwa der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt dem ZDF. „Und das würde ich der AfD ungern gönnen.“ Und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der Bild zum Thema Verbotsverfahren: „Ich halte da nichts von. Die meisten Wähler wählen die AfD aus Protest. Und Protest kann man nicht verbieten.“
„AfD nutzt alles, um sich als Opfer darzustellen“
Karaahmetoğlu lässt das nicht gelten: „Die AfD nutzt alles, um sich als Opfer darzustellen – davon sollte sich die Demokratie nicht abschrecken lassen“ Natürlich gehe es auch weiterhin darum, diese demokratie- und menschenfeindliche Partei und ihre Positionen argumentativ und mit Fakten zu entkräften. „Niemand möchte Protest verbieten. Aber auch wenn eine Partei aus Protest gewählt wird, erhält sie dadurch keinen Freifahrtschein, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung anzugreifen.“
Noch deutlicher wird man in der Opposition. Wer es mit der Wehrhaftigkeit der Demokratie ernst meine, dürfe nicht länger davor zurückschrecken, schrieb Grünen-Chef Felix Banaszak bei X mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbot. Co-Parteichefin Franziska Brantner sprach in Berlin von einer „ersten Probe für die neue Regierung“. „Spätestens jetzt darf niemand mehr über Normalisierung reden“, so Brantner. „Das schärfste Schwert dabei ist der Antrag auf ein Verbotsverfahren.“ Die Position der Grünen sei klar, es müsse eine Prüfung eines Verbotsverfahrens begonnen werden. „Lieber Herr Klingbeil, lieber Herr Merz, lassen Sie uns über ein Verbotsverfahren ins Gespräch kommen“, appellierte sie an die Spitzen der Koalitionsparteien.
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