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Gipfel in Washington

Konflikt mit China: Expandiert die Nato nach Asien?

Zum Nato-Gipfel in Washington sind auch Südkorea und Japan geladen. Das Bündnis will sich in Asien stärker engagieren – doch es gibt Widerstand.

Seit diesem Dienstag kommen die Staats- und Regierungschefs der Nato zum großen Jubiläumsgipfel in Washington zusammen. Dabei geht es vor allem um die Unterstützung für die Ukraine. Auch die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses steht ganz oben auf der Agenda – das „Kerngeschäft der Nato“, wie Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Kurzem sagte. Das Bündnis will aber auch seine globalen Partnerschaften ausbauen, „vor allem im Indopazifik“, so Stoltenberg.

Zu diesem Zweck hat der Norweger neben Vertretern aus Neuseeland und Australien auch Südkoreas Präsidenten Yoon Suk-yeol und den japanischen Premierminister Fumio Kishida nach Washington geladen. Nicht zum ersten Mal, auch bei den vergangenen beiden Nato-Treffen in Madrid und Vilnius waren Kishida und Yoon dabei. So eng wie heute standen die beiden asiatischen Staaten und die Nato allerdings noch nie beisammen.

Südkoreanische Soldaten bei einer Militärübung auf Hawaii (Archivbild).

Nato-Gipfel in Washington: Südkorea und Japan immer wichtiger

Die treibende Kraft hinter der Neuausrichtung der Nato sind die USA. Washington hat schon länger den Blick nach Fernost gerichtet. Republikaner und Demokraten sind in seltener Einigkeit überzeugt davon, dass China die größte Bedrohung für die USA ist, und auch die Nato bezeichnete die Volksrepublik vor zwei Jahren erstmals als „Herausforderung für unsere Interessen, unsere Sicherheit und unsere Werte“. Enge Beziehungen zu Seoul und Tokio sollen ein Gegengewicht bilden zu einem als aggressiv wahrgenommenen China.

Mit Japan und Südkorea sind die USA seit Jahrzehnten durch Verteidigungsabkommen verbunden, und auch die beiden Länder selbst rücken trotz einer schwierigen gemeinsamen Geschichte enger zusammen. US-Präsident Joe Biden lud Kishida und Yoon im vergangenen August zu einem historischen Dreiergipfel nach Camp David ein, zuvor hatten Südkorea und Japan ihre langjährigen Differenzen weitgehend beigelegt. „Die Welt wird sicherer sein, wenn wir zusammenstehen“, sagte Biden damals.

In der unmittelbaren Nachbarschaft von Japan und Südkorea sorgt diese neue Nähe zu den USA und zur Nato für Besorgnis. Das Regime in Nordkorea bezeichnete das Dreiergespann unlängst als „asiatische Version der Nato“, das chinesische Propagandablatt Global Times titelte vor wenigen Tagen: „Der Versuch der USA und Japans, eine asiatisch-pazifische Version der Nato zu gründen, stört den Frieden und die Stabilität.“

„Es gibt kein asiatisches Äquivalent zur Nato“

Von Nato-ähnlichen Strukturen ist man in Asien indes weit entfernt. „Ein elementarer Unterschied zu Europa ist, dass es in Asien keine multilaterale Sicherheitsordnung gibt“, sagt die Analystin und Japan-Expertin Aya Adachi. „Es gibt kein asiatisches Äquivalent zur Nato.“ Von vagen Plänen, ein Büro in Tokio zu eröffnen, ist die Allianz offenbar abgerückt. „Die Nato ist und bleibt ein euro-atlantisches Bündnis“, erklärt das Verteidigungsministerium in Berlin auf Anfrage. „Eine globale Perspektive ist für die Allianz jedoch unerlässlich.“

Unbestritten ist, dass Südkorea, Japan und die Nato immer enger zusammenarbeiten. Für das Verteidigungsbündnis sind beide Länder Schlüsselpartner im Indopazifik – einer Region, deren Entwicklung „die euro-atlantische Sicherheit direkt beeinflussen kann“, wie es von der Nato heißt. In Seoul teilt man diese Einschätzung. „Südkoreanische Regierungsvertreter sowie sicherheits- und außenpolitische Denker vertreten die Auffassung, dass Asien und der indopazifische Raum einerseits und die transatlantische Region andererseits zu einem einzigen strategischen Schauplatz geworden sind“, schreibt der Korea-Experte Ramon Pacheco Pardo. „Das bedeutet, dass die Geschehnisse in der einen Region weitreichende Auswirkungen auf die andere Region haben und umgekehrt.“

Angst vor China bringt Nato und asiatische Partner enger zusammen

Hier wie dort beobachtet man mit Sorge, dass China immer aggressiver damit droht, das demokratisch regierte Taiwan dem eigenen Staatsgebiet anzugliedern. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in der Nato, aber auch in Seoul und Tokio, viele daran erinnert, wie schnell aus Drohungen blutiger Ernst werden kann. Auch den Konflikt zwischen China und den Philippinen im Südchinesischen Meer, der jederzeit in einen handfesten Krieg umschlagen kann, hat man im Blick. Für Unruhe sorgt zudem das neue Bündnis zwischen Russland und Nordkorea.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Im Falle Seouls kommt zudem die ständige Bedrohung durch das Regime von Kim Jong-un hinzu, das Südkorea vor wenigen Monaten zum Feindstaat erklärt hat. Gleichzeitig hat man in Brüssel wohlwollend registriert, dass sich Tokio und Seoul im Ukraine-Krieg auf die Seite des Westens gestellt haben. Südkorea liefert zudem im großen Stil Waffen an die USA und Polen und überlegt, auch die Ukraine selbst auszurüsten.

Beim Gipfel in Washington will die Nato die Zusammenarbeit mit den beiden asiatischen Staaten nun weiter vertiefen, in Bereichen wie Cybersicherheit, maritime Sicherheit sowie Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen. „Übergeordnete Ziele sind dabei, durch intensivierte Zusammenarbeit zum Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung beizutragen und Interoperabilität zu stärken“, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums unserer Redaktion. „Die Teilnahme von Japan und Korea an den Ministertreffen und Gipfeln seit 2022 unterstreicht die Bedeutung, welche diese Kooperation auch für unsere asiatischen Partner hat.“

Rubriklistenbild: © IMAGO/Lcpl. Haley Fourmet Gustavsen/U

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