„Nihon Hidankyo“ ausgezeichnet
Friedensnobelpreis für Anti-Atomwaffen-Organisation – doch Japan rüstet auf
Erstmals seit 1974 geht der Friedensnobelpreis nach Japan, ausgezeichnet wird eine Anti-Atomwaffen-Organisation. Doch das Land verabschiedet sich langsam von seiner pazifistischen Verfassung.
Es war bereits früher Abend in Japan, als die Nachrichtensender ihr Programm für eine Eilmeldung unterbrachen: Der diesjährige Friedensnobelpreis geht erstmals seit fünf Jahrzehnten wieder an das asiatische Land, ausgezeichnet wird die Anti-Atomwaffen-Organisation „Nihon Hidankyo“. Die Gruppe, die 1956 von Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gegründet wurde, setzt sich für eine Welt ohne Nuklearwaffen ein. Zudem unterstützt sie die überlebenden Opfer der Abwürfe, bei denen 1945 die beiden Städte in Schutt und Asche gelegt und Zehntausende getötet wurden. Zuletzt erhielt 1974 mit dem ehemaligen Premierminister Sato Eisaku ein Japaner den Friedensnobelpreis, in Anerkennung für Japans Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag.
Die Auszeichnung für „Nihon Hidankyo“ ist einerseits eine Mahnung, „dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden dürfen“, wie es in der Begründung des Nobelkomitees hieß. Man kann den Preis aber auch als Botschaft verstehen in Richtung der japanischen Regierung. Denn das Land verabschiedet sich immer mehr von seiner pazifistischen Verfassung und debattiert so offen wie lange nicht mehr über mögliche eigene Atomwaffen.
Friedensnobelpreis für Anti-Atomwaffen-Organisation – Ex-Premier forderte eigene Atombombe
Als einer der prominentesten Fürsprecher trat in den letzten Jahren Shinzo Abe auf, Japans 2022 ermordeter Ex-Premier. Kurz vor seinem Tod, als er schon nicht mehr im Amt war, sprach Abe angesichts des russischen Einmarschs in die Ukraine einmal mehr über eine mögliche Bombe für Japan. Bereits zwei Jahrzehnte zuvor hatte Abe, schon damals einer der bekanntesten Politiker des Landes, behauptet: „Der Besitz von Atombomben ist verfassungsgemäß, solange es sich um kleine Bomben handelt.“ Allerdings verbietet der Atomwaffensperrvertrag dem Land den Besitz eigener Atomwaffen.
Fakt ist jedoch auch, dass Japan kein Mitglied des relativ neuen Atomwaffenverbotsvertrags ist, der unter anderem die Produktion und Stationierung von Atomwaffen untersagt. Dass Japan das Dokument nicht ratifiziert hat, sei „gleichbedeutend mit der Unterstützung der atomaren Aufrüstung der USA“, kommentierte die liberale Tageszeitung Mainichi Shimbun im August anlässlich des Jahrestags des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. „Japan fordert als einziges Land, das mit Atomwaffen angegriffen wurde, die Abschaffung der Atomwaffen, aber wenn es sich weiterhin so widersprüchlich verhält, verrät es die Überlebenden der Bombardierungen.“ Viele in Japan sehen das ähnlich: In einer Umfrage aus dem Jahr 2021 forderten 75 Prozent der Japaner, ihr Land solle dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten.
Friedensnobelpreis für „Nihon Hidankyo“ – Japan diskutiert über „asiatische Nato“
Japans neuer Premierminister Shigeru Ishiba denkt derweil offen über eine „asiatische Nato“ nach, als Gegengewicht zu einem stärker werdenden China und dem nuklear bewaffneten Nordkorea von Diktator Kim Jong-un. Diskutiert wird in japanischen Sicherheitskreisen auch eine engere Zusammenarbeit mit den USA in Nuklearfragen, nach dem Vorbild der Nuklear-Konsultativ-Gruppe, die Washington im vergangenen Jahr mit der südkoreanischen Regierung ins Leben gerufen hat.
Vor allem konventionell rüstet Japan massiv auf. Ishibas Vorgänger Fumio Kishida gab Ende 2022 das Ziel aus, den japanischen Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verdoppeln. Der Inselstaat hätte dann – hinter den USA und China – das drittgrößte Militärbudget weltweit. Hitzig diskutiert wird seit Jahren zudem die Rolle der japanischen Armee, der sogenannten Selbstverteidigungsstreitkräfte. Ihre Befugnisse wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr ausgeweitet. Manch einer in Japan befürchtet deswegen, das Land könnte seine Nachkriegsverfassung verraten. In Artikel neun heißt es dort: „Das japanische Volk verzichtet für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt.“
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