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RN, NFP und Renaissance

Machtkampf nach Frankreich-Wahl: Wer kann sich zum Attal-Nachfolger krönen?

Die Frankreich-Wahl ist vorbei. Premierminister Attal kündigte seinen Rücktritt an. Doch es könnte dauern, bis die Ergebnisse eine neue Regierung hervorbringen.

Paris – Im Hexagon, wie die Franzosen ihr Land nennen, hatten manche eine absolute Mehrheit des rechtsextremen Rassemblement National (RN) unter der Führung seines Präsidenten Jordan Bardella und den Fittichen der allgegenwärtigen Marine Le Pen gefürchtet, während andere sie herbeigesehnt hatten. Nun ist es vollkommen anders gekommen: Nicht nur schlug das liberal-zentristische Wahlbündnis Ensemble von Emmanuel Macron die Rechten, beide wurden von der Linksallianz Nouveau Front Populaire (NFP) mit ihrer umstrittenen Galionsfigur Jean-Luc Mélenchon deklassiert.

Der RN kam nach aktuellen Zahlen der französischen Zeitung Le Monde auf 143 Sitze in der Nationalversammlung. Ensemble wird mit 168 Sitzen und die NFP mit ganzen 182 Sitzen ins neue Parlament einziehen. Neben Klein- und Kleinstpartein und -listen sind noch die konservativen Républicains (LR) und ihre 46 Sitze erwähnenswert. Deren Chef Éric Ciotti hatte vor der Wahl Kooperationsbereitschaft mit dem RN erklärt. Da signifikante Teile seiner Partei sich vehement dagegen aussprachen, trat man nur in 61 Wahlkreisen mit einer gemeinsamen Liste an, die immerhin 16 Sitze gewinnen konnte. Sie sind im Ergebnis des RN enthalten.

Jean-Luc Melenchon, Vorsitzender der linken France Insoumise und einer der Köpfe des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire, Gabriel Attal, bisheriger Premierminister aus der liberalen Macron-Partei Renaissance, und Jordan Bardella, Vorsitzender des rechten Rassemblement National (v. l. n. r.).

Nach der Wahl in Frankreich stehen verzwickte Koalitionsverhandlungen bevor

Nun gilt es, aus diesen unerwarteten Mehrheitsverhältnissen eine Regierung zu schmieden. In Frankreich hat der Staatspräsident das Recht, jede beliebige Person zur Premierministerin oder zum Premierminister zu ernennen – selbst jemanden, der nicht gewählt worden ist. Macron könnte also den bisherigen Regierungschef seiner Partei Renaissance, Gabriel Attal, mit dem Weiterregieren beauftragen. Eine Minderheitsregierung hat die französische 5. Republik allerdings noch nicht gesehen – und das hat Gründe.

Zum einen kann sie ohne Mehrheit gegen die Opposition keine Gesetze verabschieden, außer der Präsident benutzt den Verfassungs-Artikel 49.3 und erlässt sie per Dekret – wie bei der polarisierenden Rentenreform. Damals wurde der Einsatz der Präsidentenmacht notwendig, weil die Regierung eine relative, aber keine absolute Mehrheit hatte. Dank dieser Kräfteverhältnisse gelang es ihr zwar, ihre Abwahl per Misstrauensvotum durch eine absolute Mehrheit der Opposition zu verhindern, doch eine Minderheitsregierung könnte wohl nicht einmal das.

Attal hat Macron zwar bereits seinen Rücktritt angeboten – doch der habe „vorerst“ abgelehnt, so die britische BBC, um „die Stabilität des Landes zu wahren.“ Ohnehin hatte der Noch-Premierminister zuvor schon seine Bereitschaft erklärt, solange wie notwendig im Amt zu bleiben.

Bilden die Linken bald eine Koalitionsregierung mit den Macronisten?

Außerdem ist es auch in Frankreich üblich, nach einer Wahl die stärkste Kraft mit der Regierungsbildung zu betrauen. Das wäre dann das Linksbündnis NFP, für das der Radikal-Linke Jean-Luc Mélenchon und die Grüne Marine Tondelier bereits Regierungsverantwortung einforderten. Noch in dieser Woche wollen sie einen Kandidaten oder eine Kandidatin benennen. Sollte Macron ihnen den Auftrag erteilen und wollten sie keine fragile Minderheitsregierung bilden, so müssten sie allerdings etwas erproben, was ebenfalls nicht Teil der politischen Kultur der 5. Republik ist: eine Koalitionsregierung.

Einige Linke, vor allem Mélenchon, betonten immer wieder, keine Kompromisse machen zu wollen, um ihr Programm durchzubringen. Das wird schlicht und einfach nicht möglich sein, denn Kompromisse sind das Fundament jeder Koalition. Entweder bleiben sie also hart, regieren – wenn überhaupt – mit einer Minderheit und können kaum etwas umsetzen oder sie gehen eine Koalition mit Kräften der Mitte ein, lassen einige Punkte fallen und können dafür ein geschmälertes Programm umsetzen.

Eine solche Allianz mit Kräften der Mitte, die sich am ehesten in einer Art Großen Koalition mit Macrons Ensemble-Allianz äußern könnte, dürfte jedoch auch scheitern. Nicht nur Mélenchon, sondern auch Olivier Faure, der Chef der Sozialisten, lehnte bereits eine „Koalition der Gegensätze“ ab, was wohl auf Macrons Liberal-Zentristen bezogen werden kann. Da nicht alle Vertreter des Linksbündnisses sich derart geäußert haben und es sich ohnehin um eine fragile Ad-Hoc-Notlösung handelt, könnten natürlich einzelne Glieder aus der Allianz herausbrechen und mit dem Zentrum koalieren. Vorerst zeichnet sich das allerdings nicht ab.

Es bleibt fraglich, ob ein Technokrat an der Spitze etwas bewegen kann

Sollte Präsident Macron der Meinung sein, dass sich überhaupt keine funktionierende Regierung zusammenfindet, dann könnte er auch einen Technokraten mit der Regierungsbildung beauftragen. Das wäre dann wohl jemand, der nicht gewählt wurde, sondern durch seine außenpolitische Qualifikation hervorsticht, wie in Italien einst Mario Draghi, der zuerst Präsident der Europäischen Zentralbank gewesen war, bevor er ein italienisches Experten-Kabinett anführte.

Marine Le Pen hat Frankreich-Wahl 2027 im Blick – trotz Ausschluss

Frankreich: Rassemblement National von Marine Le Pen.
In Frankreich ist der Rassemblement National unter Marine Le Pen (im Bild) in den vergangenen Jahren zu einer führenden Kraft aufgestiegen. So feierte der RN bei der Europawahl 2024 einen klaren Erfolg.  © François Lo Presti/afp
Europawahl - Frankreich
Das starke Ergebnis der rechtsnationalen Partei veranlasste den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron anschließend dazu, das Parlament aufzulösen.  © Ludovic Marin/dpa
Jean-Marie Le Pen
Die Geschichte des Rassemblement National begann Anfang der Siebziger. Am 5. Oktober 1972 gründeten Jean-Marie Le Pen (hier eine Aufnahme von 2022) und Pierre Bousquet die rechtsextreme Splittergruppe Front National.  © Joel Saget/afp
1. Mai in Paris
Der 1928 geborene Le Pen (hier ein Bild von 2017) tat sich früh als Demagoge hervor, der mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt wurde und den Holocaust als ein „Detail der Geschichte“ abtat. Bousquet (1919 bis 1991) war ein ehemaliger Kollaborateur, der als Rottenführer in der Waffen-SS gedient hatte. Fremdenfeindliche Parolen waren über viele Jahre Markenzeichen der Partei. © Thibault Camus/dpa
Jean-Marie Le Pen
In den 1980er Jahren wurde der FN bei zwei Parlamentswahlen hintereinander mit mindestens einem Abgeordneten in die Nationalversammlung gewählt. Der Durchbruch gelang im Jahr 2002, als Jean-Marie Le Pen als Zweitplatzierter aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hervorging.  © Joel Saget/afp
Le Pen
Es kam zur Stichwahl, die der amtierende Präsident Jacques Chirac deutlich gewann. Fünf Jahre später verlor Le Pen viele Stimmen und schied im ersten Wahlgang aus.  © Joel Saget/AFP
Marine Le Pen
Einen großen Einschnitt gab es im Januar 2011. Der FN ging nach einem Führungswechsel andere Wege. Die neue Parteivorsitzende trug allerdings einen bekannten Namen: Marine Le Pen. Die studierte Juristin kam 1968 nahe Paris als jüngste Tochter Jean-Marie Le Pens zur Welt.  © Bernard Patrick/Imago
Marine Le Pen/dpa
Mit acht Jahren wurde sie von einer Bombenexplosion aus dem Schlaf gerissen – es handelte sich um einen Anschlag auf ihren Vater. Die Mutter dreier Kinder arbeitete als Anwältin und führte zunächst die Rechtsabteilung der Front National. Ihre zwei Ehen gingen auseinander. © Pascal Pavani
Jean-Marie Le Pen
Marine Le Pen bemüht sich seither, der einst radikal rechten Partei einen moderateren Anstrich zu verpassen. Das ging mit einer Entmachtung ihres Vaters einher.  © Kenzo Tribouillard/afp
Le Pen
Im April und Mai 2015 eskalierten die schon länger bestehenden Spannungen zwischen der Parteivorsitzenden und ihrem Vater. Am 20. August 2015 wurde Jean-Marie Le Pen wegen „schwerer Verfehlungen“ aus der Partei ausgeschlossen.  © Kenzo Tribouillard/AFP
Le Pen Bannon
Anderseits suchte Le Pen im Jahr 2018 die Nähe des früheren Trump-Beraters Steve Bannon. Damals firmierte die rechtsextreme Partei noch unter dem Namen Front National. Später verpasste Le Pen ihr aber einen neuen Namen: Seither ist die Partei als Rasseblement National bekannt. © Philippe Huguen/AFP
Marine Le Pen
Seither ist es Marine Le Pen gelungen, aus der Schmuddelecke zu kommen und sich als staatstragende Politikerin zu inszenieren. Ihre Strategie ist als „Dédiabolisation“ (Entteufelung) bekannt.  © Francois Nascimbeni/AFP
Marine Le Pen
Le Pen verbannte das alte rassistische Vokabular und gibt mittlerweile eher bedachte Worte von sich. Le Pens Kurs hat , in den vergangenen Jahren bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht.  © Thomas Samson/afp
Marine Le Pen
Die dreimalige Präsidentschaftskandidatin drängte zwar offenen Rassismus zurück, vertritt aber weiter radikale Positionen gegen Einwanderung. Ihre Vorstellungen für Frankreich bleiben auch heute noch deutlich rechts und nationalistisch.  © Ali Al-Daher/AFP
Olga Givernet
Zudem zeigen Studienergebnisse, dass im RN der Antisemitismus noch immer weit verbreitet ist. Die Renaissance-Parlamentarierin Olga Givernet (im Bild) reagierte entsprechend: „Der RN hat ein sauberes Schaufenster, aber die Küche dahinter ist immer noch schmutzig wie eh.“ © Niviere David/Imago
Marine Le Pen mit André Ventura und Tino Chrupalla
In ihrem Bemühen um Salonfähigkeit hat sich Marine Le Pen auch von der deutschen AfD abgegrenzt. Die gilt selbst für RN-Leute als zu extremistisch. Im November 2023 war das noch anders: Beim Treffen rechter Gruppen in Lissabon stand sie noch in einer Reihe neben dem portugiesischen Chega-Politiker André Ventura (Mitte) und AfD-Co-Chef Tino Chrupalla. © Paulo Spranger/Imago
Le Pen zu Besuch bei Putin
Zum Ukraine-Krieg vertreten RN und AfD hingegen nach wie vor sehr ähnliche Positionen. So lehnt Marine Le Pen jegliche Wirtschaftssanktionen gegen das Russland von Präsident Wladmir Putin ab. © Mikhail Klimentyev/dpa
Gabriel Attal
Waffenlieferungen für die Ukraine bedeuten für Le Pen das „Risiko eines dritten Weltkriegs“. Premierminister Gabriel Attal (im Bild) konterte in einer Ukraine-Debatte im Februar 2024: „Wenn Sie 2022 gewählt worden wären, würden wir heute Waffen nach Russland liefern, um die Ukrainer zu zermalmen.“  © Ludovic Marin/afp
Marine Le Pen und Wladimir Putin
Tatsächlich stand in Le Pens Präsidentschaftsprogramm von 2022 der folgende Satz: „Ohne Furcht vor amerikanischen Sanktionen wird eine Allianz mit Russland in gewissen Themen angestrebt.“ Trotzdem wollte sich der RN im Wahlkampf ein wenig von Putin absetzen. Die Partei ließ damals 1,2 Millionen Wahlkampfplakate vernichten, die ein Bild von Marine Le Pen beim Händeschütteln mit Putin zeigten. © Emmanuel Dunand/afp
Marine Le Pen
Zu Russland hat sie dennoch ein wesentlich besseres Verhältnis als zu Deutschland. Die deutsch-französische Partnerschaft will sie rasch beenden. Zwischen Berlin und Paris bestehe eine „tiefe und unheilbare Differenz der Doktrinen“, heißt es in Le Pens Programm. Das Nato-Kommando würde sie nach einem Wahlsieg 2027 verlassen. An dessen Stelle wünscht sich Le Pen für Europa ein russisch-französisches Kommando. © Lou Benoist/afp
Emmanuel Macron
Ohnehin richtet sich der Blick in Frankreich schon längst auf die Präsidentschaftswahl 2027. Nach zwei Amtszeiten kann Emmanuel Macron, der Le Pen zweimal in der Stichwahl besiegte, nicht mehr antreten.  © Sebastien Dupuy/AFP
Marine Le Pen
Wer eine Chance gegen Le Pen hätte, ist unklar. Doch im März 2025 kam dann die vorläufige Wende: Wegen der Veruntreuung von EU-Geld schloss ein Gericht Le Pen verurteilt. Der umstrittenste Teil der Strafe ist, dass sie fünf Jahre lang nicht bei Wahlen antreten darf.  © Guillaume Souvant/afp
Protestkundgebung des Rassemblement National
Diese Strafe war sofort in Kraft getreten – anders als eine teils auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe und obwohl Le Pen gegen das Urteil Berufung einlegte. Das Berufungsgericht hat eine Entscheidung im Sommer 2026 ins Auge gefasst.  © Julien De Rosa/dpa
Marine Le Pen
Le Pen wandte sich dann an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch das Straßburger Gericht wies ihren Antrag, den gegen sie verhängten vorläufigen Ausschluss von Wahlen auszusetzen, einstimmig ab, da Le Pen keinerlei nicht wiedergutzumachende Beeinträchtigung drohe, die durch die Menschenrechtskonvention geschützt sei. © Lionel Bonaventure/AFP
Le Pen sieht Bardella als möglichen Präsidentschaftskandidat
Inzwischen hat Le Pen ihren politischen Ziehsohn Jordan Bardella aufgefordert, sich auf eine Kandidatur vorzubereiten – für den Fall, dass sie selbst nicht antreten kann. Noch ist aber offen, wen der RN bei der Präsidentschaftswahl 2027 ins Rennen schicken wird. Die Frage, wer in den ehrwürdigen Élysée-Palast einziehen wird, bleibt damit völlig offen.  © Michel Euler/dpa

Es ist aber nicht zu erwarten, dass ein solcher Schritt die politischen Verhältnisse in Frankreich stabilisieren würde. Stattdessen müsste der Technokrat sich jedes Mal eine neue Mehrheit zusammensuchen. Macrons Ensemble-Allianz würde ihn wahrscheinlich stützten. Ob – und diese Hoffnung setzt man in solche Experten-Regierungen – die ideologischen Differenzen dann aber für die übrigen Parteien wirklich keine Rolle mehr spielen, bleibt überaus fraglich. Sie könnten einen Technokraten einfach nur als ein anderes Gesicht an der Spitze einer macronistischen Minderheitsregierung wahrnehmen, die es so gut als möglich zu blockieren gilt.

Rubriklistenbild: © IMAGO/ABACAPRESS/Blondet Eliot/XINHUA/MAXPPP/Jean-Baptiste Quentin

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