Neue Gewalt-Dimension droht
Israel-Iran-Konflikt deckt Teherans Schwächen auf: Der Bluff in Nahost ist vorbei
Israel und der Iran beschießen sich seit Tagen mit Raketen. Eine weitere Eskalation in Nahosten droht. Teheran steckt immer mehr in einer Sackgasse.
Teheran/Tel Aviv – Israel feuert weiter auf den Iran und Teheran antwortet. Seit Tagen überziehen beide Staaten den jeweiligen Gegner mit Raketenschwärmen, die Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung steigen und ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht. Vielmehr wird seit Donald Trumps plötzlicher Abreise vom G7-Gipfel eine weitere Eskalation im Nahen Osten nicht ausgeschlossen. Dass Bemühungen um eine Waffenruhe der Auslöser war, schloss der US-Präsident bereits selbst aus. Verbindliche Gespräche mit den USA über ein Atomabkommen scheinen zunehmend unwahrscheinlicher.
Eskalation in Nahost: Konflikt zwischen Israel und Iran spitzt sich zu
Seit Freitag ist Israel im Krieg mit dem Iran. Aus Kreisen des Militärs war zu hören, dass Teheran in den vergangenen Tagen etwa 400 Raketen und Hunderte Drohnen auf Israel abgefeuert hat. Dabei habe es Dutzende Einschläge auf israelischem Gebiet gegeben, hieß es weiter. Die Zahl der Geschosse sei zuletzt aber zurückgegangen – auch wegen der israelischen Offensive. Israel habe laut Armeekreisen Dutzende Raketen und mehr als ein Drittel der iranischen Raketenwerfer zerstört. Es könne aber weitere Gründe für den Rückgang der Angriffe geben, hieß es weiter. Welche das sein könnten, blieb zunächst offen.
Israel im Krieg mit Iran: Raketen fliegen, Menschen werden evakuiert




Das Regime im Iran scheint inzwischen so massiv unter Druck zu stehen, wie lange nicht mehr. Diese militärische Realität bestätigt auch Andreas Böhm, Nahost-Experte sowie Dozent für Völkerrecht und internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen. Gegenüber der Frankfurter Rundschau von Ippen.Media ordnet er ein: „Als Yahya Sinwar am Morgen des 7. Oktober 2023 den Befehl zum Angriff gab, wollte er einen Umsturz der gesamten Region angestoßen. Das ist ihm gelungen – nur im Gegenteil zu seinen Vorstellungen. Die Hamas ist erledigt, die ‚Achse des Widerstands‘ am Boden und der Iran so schwach wie seit der Revolution nicht mehr.“
„Wahl zwischen Kapitulation oder Angriffen“ – Iran wegen Israel-Eskalation unter Zugzwang
„Die israelischen Angriffe legen die Schwäche des iranischen Regimes schonungslos offen. Es wurde vom israelischen Geheimdienst viele Jahre systematisch infiltriert und offengelegt. Der Mossad konnte selbst auf iranischem Boden ungestört operieren“, analysiert Nahost-Experte Böhm. Er sieht zudem die iranische Position bei Verhandlungen über ein Atomabkommen durch die jüngste Eskalation mit Israel geschwächt. „In vollkommener Realitätsblindheit und der Überschätzung der eigenen Stärke hat man die Verhandlungen immer weiter gedehnt. Die Angriffe haben den Bluff aufgezeigt. Dem Iran bleibt letztlich nur die Wahl zwischen einer Kapitulation oder fortgesetzten Angriffen – für das Regime eine Wahl zwischen Scylla und Charybdis.“
Für die Region sei die Schwächung des Iran eine gute Nachricht, da er durch seinen Einfluss mehrere Länder destabilisiert habe. „Die militärische Überlegenheit Israels wurde überdeutlich zur Schau gestellt. Ob es gelingt, eine Ordnung zu schaffen, die im Libanon, Syrien, dem Irak und letztlich auch dem Iran ein stabiles Staatswesen aufzubauen, ist die nun anstehende Aufgabe“, sagt Böhm weiter.
Nach Trumps Abreise von G7-Gipfel: Weitere Nahost-Eskalation befürchtet
Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Trumps plötzlicher Abreise vom G7-Gipfel noch als Signal für eine Waffenruhe interpretiere, scheinen die USA auf eine größere Rolle im aktuellen Konflikt zuzusteuern. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge schickt das US-Militär einen zweiten Flugzeugträger in den Nahen Osten. Zudem sollen die USA am Wochenende Dutzende Tankflugzeuge nach Europa verlegt haben, um sie im Bedarfsfall schnell im Nahen Osten einsetzen zu können. Auf Truth Social verdeutlichte Trump, dass der Iran „keine Atombombe besitzen“ dürfe.
Mehrere arabische Staaten und die Türkei verurteilten die Angriffe Israels auf den Iran. Es sei unerlässlich, dass „Israels Feindseligkeiten gegen den Iran“ eingestellt werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Auch in Deutschland wird die aktuelle Eskalation im Nahen Osten mit Sorge beobachtet. „Die Stabilität der ganzen Region steht auf dem Spiel und die Folgen eines Flächenbrandes wären unkalkulierbar, auch für Israel. Auch deshalb ist jetzt die Stunde der Deeskalation“, forderte Grünen-Politiker Omid Nouripour angesichts der jüngsten Eskalation zwischen Israel und dem Iran in einem Statement, das der Frankfurter Rundschau vorliegt.
Sorge vor Irans Atombombe: Nouripour fordert Deeskalation im Iran-Israel-Konflikt
„Die Gefahr, die durch einen nuklear bewaffneten Iran ausgeht, ist real. Man darf nie vergessen: Die Zerstörung Israels ist seit 1979 iranische Staatsdoktrin und Israel hat das Recht, seine Existenz und Sicherheit zu verteidigen“, sagte Nouripour weiter. Jetzt brauche es „maximale Zurückhaltung von allen Seiten, um die Gewaltspirale zu durchbrechen, die Zivilbevölkerung in Israel und im Iran zu schützen und den Weg zurück zu diplomatischen Lösungen zu ebnen.“ Nouripour erwartet vom deutschen Außenminister Wadephul, dass dieser „alle diplomatischen Hebel in Bewegung setzt, um eine weitere Eskalation zu verhindern.“
Dass nun der Moment einer Deeskalation gekommen ist, sahen auch die Staats- und Regierungschefs beim G7-Gipfel. Überraschend hatten sich die Vertreter auf eine gemeinsame Erklärung verständigt. In dem vom Gastgeber Kanada veröffentlichten Text wird der Iran als „die Hauptquelle regionaler Instabilität und des Terrors“ bezeichnet. Gleichzeitig wird Israels Recht auf Selbstverteidigung ausdrücklich betont. Inmitten der gegenwärtigen Bemühungen sorgten US-Präsident Donald Trump mit seinen widersprüchlichen Signalen zwischen Diplomatie und militärischen Drohungen für beständige Unsicherheit.
Iran-Israel-Konflikt: Kaum Hoffnung auf Deeskalation – Phase der Instabilität droht
Unklar bleibt, wie sich die Eskalation im Nahen Osten weiter entwickeln könnte. Allerdings eröffnet die jetzige systematische Schwächung des iranischen Einflusses erstmals seit Jahrzehnten die Chance auf eine grundlegende Neuordnung der Region. Bereits vor der Eskalation zwischen Israel und dem Iran schrieb die Bundeszentrale für politische Bildung, dass sich die vom Iran finanzierte „Achse des Widerstands“ nach den Kämpfen in Gaza und im Libanon sowie dem Sturz Assads in Syrien als „Fassade ohne Substanz“ entpuppt habe.
Besonders im Libanon, Syrien und Irak, wo Teheran über Jahre hinweg durch schiitische und sunnitische Milizen destabilisierend gewirkt hatte, könnten jetzt die iranischen Einflussmöglichkeiten weiter schwinden, wie die Tagesschau feststellte. Die Entwicklungen im Nahen Osten bleiben dynamisch und unvorhersehbar. Während Israel seine militärische Überlegenheit demonstriert und der Iran unter massivem Druck steht, stellt sich die Frage, ob die internationale Gemeinschaft in der Lage sein wird, die Eskalation einzudämmen. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob diplomatische Initiativen greifen oder die Region in eine neue Phase der Instabilität gerät. (fbu)
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