Politik soll draußen bleiben
Drohendes TikTok-Verbot: Zu dieser China-App fliehen jetzt die Nutzer
Kurz vor dem möglichen TikTok-Aus wechseln Tausende Amerikaner zu einer anderen chinesischen App. Doch auch Xiaohongshu ist nicht unproblematisch.
Tausende Amerikaner haben die Flucht ergriffen: bloß weg von TikTok, der chinesischen Video-App. Das neue Zuhause der „TikTok-Flüchtlinge“: Xiaohongshu, eine Social-Media-Plattform, die auch unter ihrem englischen Namen RedNote bekannt ist. Im App-Store von Apple kletterte die App in den USA zwischenzeitlich auf den ersten Platz der Download-Charts, im Google Play Store in die Top 10. Xiaohongshu lässt sich am ehesten als Mischung aus TikTok und Instagram beschreiben, Zigtausende meist sehr kurze Videos werden hier jeden Tag geteilt. Wer will, kann in der App aber auch shoppen oder Restaurants bewerten.
Auch Xiaohongshu stammt aus China, die App hat dort rund 300 Millionen Nutzer. Laut dem Wirtschaftsdienst Bloomberg erwirtschaftete der Mutterkonzern der App, an der auch die chinesischen Internet-Giganten Tencent und Alibaba beteiligt sind, 2024 rund eine Milliarde US-Dollar, doppelt so viel wie im Jahr zuvor.
Weil TikTok-Aus droht: Xiaohongshu immer beliebter
Außerhalb der Volksrepublik war Xiaohongshu dennoch lange Zeit weitgehend unbekannt. Dass nun immer mehr Amerikaner die App für sich entdecken, liegt an einer umstrittenen Entscheidung der US-Regierung: Im vergangenen Jahr verfügte die Biden-Administration, dass sich der chinesische TikTok-Mutterkonzern ByteDance binnen 270 Tagen von seiner beliebten App trennen muss. Wenn sich bis dahin kein amerikanischer Käufer für TikTok gefunden hat, muss die App aus den App-Stores genommen werden. Am Sonntag (19. Januar) läuft die Frist ab.
Begründet hatte die US-Regierung den Schritt mit angeblichen Sicherheitsbedenken. Ihr Vorwurf: Über TikTok könne die chinesische Regierung auf die Daten von US-Nutzern zugreifen. Weil die ByteDance-Zentrale in Peking liege, seien die App-Betreiber zur Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden verpflichtet. ByteDance verweist darauf, dass das Unternehmen mehrheitlich internationalen Investoren gehöre. Medienberichte, nach denen TikTok kurz vor einem Verkauf an das Unternehmen X des Tech-Milliardärs Elon Musk stehe, hat das Unternehmen dementiert.
Wie TikTok: Auch Xiaohongshu muss mit der chinesischen Regierung zusammenarbeiten
Dass nun ausgerechnet eine chinesische App zum Zufluchtsort panischer TikTok-Nutzer wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn auch der Mutterkonzern von Xiaohongshu, das Unternehmen Xingin Information Technology mit Sitz in Shanghai, muss gemäß chinesischen Gesetzen mit der Regierung in Peking zusammenarbeiten.
Die amerikanischen Neu-Nutzer der App, bis Mittwoch laut Reuters mehr als eine 700.000, scheint das nicht zu stören. Auf TikTok erhielt der Hashtag „TikTok-Flüchtling“ bis Mitte der Woche rund 60 Millionen Aufrufe und über 1,7 Millionen Kommentare, auf Xiaohongshu selbst äußerten sich viele Nutzer begeistert über die App. „Vielen Dank für den herzlichen Empfang und dass ihr mich in eurer App aufgenommen habt“, schwärmt eine Nutzerin namens Samantha in einem Video, Titel: „Feeling loved as an American“, also: sich als Amerikanerin geliebt fühlen.
Ein anderer Nutzer erklärt in einem Video geduldig, wie man den Namen der App ausspricht (etwa: schiao-hong-schu) und dass der „kleines rotes Buch“ bedeutet – eine Anspielung auf das berühmte, rot gebundene Büchlein mit Mao-Zitaten, das in China einst millionenfach verteilt wurde.
Xiaohongshu soll unpolitisch bleiben – anders als TikTok
Anders als TikTok, das in China selbst nicht verfügbar ist, teilen sich chinesische und ausländische Nutzer auf Xiaohongshu dieselbe Plattform. Was bisweilen zu völkerverbindenden Szenen führt. „Ich habe keine Ahnung, was die Leute auf dieser App sagen“, erklärt etwa ein US-Nutzer in einem Video – und verspricht, Chinesisch zu lernen, um mit anderen Nutzern in Kontakt zu kommen. Und ein chinesischer Nutzer kommentiert: „Dies könnte ein historischer Moment sein. Gewöhnliche Menschen aus unseren beiden Ländern haben sich noch nie zuvor wirklich verbunden. Ich hoffe, dass jeder diese kurze Chance nutzen kann, um einen sinnvollen Gedankenaustausch zu führen.“
Bislang ist Xiaohongshu, anders als TikTok, eine weitgehend unpolitische App. Wer sich neu anmeldet, muss zu Beginn mehrere Interessen auswählen – Mode, Haustiere oder Kinofilme etwa, politisch Verfängliches steht nicht zur Wahl. Wer in der App beispielsweise nach Informationen zum Massaker auf dem Tiananmen-Platz sucht, bei dem die chinesische Staatsführung 1989 Tausende Demonstranten niederschießen ließ, wird auf Xiaohongshu nicht fündig: „Wir haben keine entsprechenden Inhalte gefunden. Bitte suchen Sie nach etwas anderem“, heißt es dann. Auch eine Suche nach dem Dalai Lama liefert keine Treffer.
Einzelne US-Nutzer rufen bereits auf, diese Zensur zu akzeptieren. „Wir wollen hier Spaß haben“, heißt es in einem vor wenigen Tagen geposteten Video. „Bitte bringt keine Politik hierher.“
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