Überraschende Allianz
„Wir verstehen den Frust“: Letzte Generation solidarisiert sich mit den Bauern
Wenn sich jemand mit Straßenblockaden auskennt, dann die Letzte Generation. Die Klimaaktivisten können den Frust der Bauern nachvollziehen – und wollen sogar gemeinsam mit ihnen demonstrieren.
Es mag in eine verrückte Zeit passen, überraschend ist es dennoch: Die Letzte Generation begrüßt die Proteste der Bauern. Zur Erinnerung: Es geht bei den bundesweiten Protesten vor allem um Steuervergünstigungen von Agrardiesel, die nun auslaufen. Oder anders ausgedrückt: Es soll weiterhin günstig sein, fossile Kraftstoffe zu nutzen. Inhaltlich passt das nicht wirklich zu den Zielen der Letzten Generation.
Dennoch hegen die Klimaaktivisten Sympathien für die Bauernproteste. „Landwirte verrichten – ebenso wie zahlreiche andere Berufsgruppen – eine für die Gesellschaft extrem wichtige Aufgabe, für die sie zu wenig Anerkennung bekommen“, sagt Aktivistin Josefine Schwenke, zuständig für Landwirtschaftspolitik, auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte biete viel Angriffsfläche für berechtigte Kritik. „Wir verstehen den Frust der Landwirte darüber, dass nun in der Haushaltskrise gerade beim Landwirtschaftssektor mit dem Sparen begonnen werden soll, und können ihren Protest mit Traktoren auf der Straße nachvollziehen“, so Schwenke.
Letzte Generation zu Bauernproteste: Wie die Bundesregierung einem zuhört
Auch einige Politiker haben sich bereits mit den Bauern solidarisiert. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte, die Kürzungen zurückzunehmen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warf der Ampel-Koalition mangelnde Bereitschaft zum Dialog vor. Manuela Schwesig (SPD), Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern, sagte der Süddeutschen Zeitung: „Die Bauern sind stinksauer und das zurecht.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hielt dagegen: „Wer andere Menschen, die eilig zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt müssen, im Alltag blockiert, der sorgt in allererster Linie für Wut und Unverständnis“, sagte die SPD-Politikerin der Rheinischen Post.
Ein Vorwurf, den auch die Letzte Generation häufig hört. Sie sehen sich in ihrem Vorgehen bestätigt. „Man kann sich durch Straßenblockaden und Demonstrationen mit massiven Verkehrsbeeinträchtigungen ungemein schnell und effektiv Gehör bei der Bundesregierung verschaffen“, sagt Aktivistin Schwenke. „Richtigerweise wurden die Landwirte trotzdem von der Politik respektvoll behandelt, anstatt sie als Terroristen, Verbrecher und Chaoten zu beschimpfen.“
Zweierlei Maß bei Bauern und Letzte Generation?
Es ist offenkundig ein Seitenhieb auf den Umgang mit den Klimaaktivisten von Seiten des Staates. Jüngstes Beispiel: Die Sprecherin der Letzten Generation, Carla Hinrichs, ist am letzten Mittwoch in einem Berufungsprozess zu zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Forderungen nach einem ähnlich hart auftretenden Rechtsstaat sucht man im Zusammenhang mit den Bauernprotesten vergebens.
Der Frust über die Ungleichbehandlung sitzt bei den Klimaaktivisten offenbar tief. „Auch positiv zu erwähnen: Die Website des Bauernverbandes wurde nicht beschlagnahmt, es wurde niemand in Präventivhaft genommen und der Verbandspräsident Joachim Rukwied muss sich vermutlich auch nicht vor einer Hausdurchsuchung fürchten“, sagt Schwenke, die damit auf Maßnahmen verweist, welche die Letzte Generation bereits erlebt hat. „Es scheint der Bundesregierung also doch möglich zu sein, konstruktiv mit Protesten aus der Bevölkerung umzugehen.“
Letzte Generation und Bauern: Gemeinsame Demonstration angekündigt
Statt des Endes der Agrar-Subventionen für Landwirte fordert die Letzte Generation das Ende des Dienstwagenprivilegs. „Die Vergünstigung für neue Autos für Besserverdiener ist ein Unding. Wenn wir diese so besteuern, wie es Nachbarländern machen, nehmen wir bis zu 5,5 Milliarden pro Jahr mehr ein“, sagt Schwenke. Dann müsse man nicht im Landwirtschaftssektor sparen, sondern könnte dort die Subventionen so umgestalten, dass sie die ökologische Transformation in der Landwirtschaft voranbringen, ohne dass der Kostendruck auf kleine Betriebe steige.
Die Agrarpolitik und Verteilung von Subventionen im Landwirtschaftssektor müsse dringend gerechter und ökologischer umgestaltet werden. „Denn neben den ökonomischen Zwängen im landwirtschaftlichen Sektor ist die fortschreitende Klimakrise und den sich dadurch verstärkenden Extremwetterereignissen wie Dürre oder gerade stattfindende Starkregen und Überschwemmungen eine akute Bedrohung für unsere Ernten und das Überleben von Höfen“, sagt Schwenke. Diesen Worten sollen nun Taten folgen: Am 20. Januar will die Letzte Generation bei der „Wir haben es satt!“-Demo mit Landwirten gemeinsam protestieren.