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Interview

„Ich kann die Wut verstehen“: Klimaaktivist der „Letzten Generation“ spricht über Hass der Autofahrer

„Klima-Kleber“, „Chaoten“, „Terroristen“, werden sie genannt. Die „Letzte Generation“ polarisiert. Aber wie tickt die Gruppe eigentlich? Wir haben mit einem Aktivisten gesprochen.

Berlin – Theodor Schnarr ist 32 Jahre alt, macht seinen Doktor an der Uni Greifswald, spielt Handball und klebt sich immer wieder auf die Straße. Er weiß, dass er anderen Menschen damit auf die Nerven geht. Trotzdem blockiert der Klimaaktivist auch für diejenigen den Verkehr, die ihn attackieren oder beleidigen, sagt er. Momentan läuft eine Protestwelle der Gruppe in Berlin.

Von ihm erfahren wir, wie die „Letzte Generation“ tickt. Ein Gespräch mit IPPEN.MEDIA über Kleber, Wut, Angst, zivilen Ungehorsam und Toiletten-Probleme beim Straßenkampf.

Herr Schnarr, wie fühlt es sich an, an einer Straße festzukleben?
Es ist wahnsinnig anstrengend. Körperlich und psychisch. Bei Regen kriecht die Nässe von unten in die Klamotten, bei Sonne wird es auf dem Asphalt unfassbar heiß.
Und die Psyche?
Menschen schreien dich an, am Montag hat mich eine Person mit einem Kaugummi bespuckt. Das ist nichts, was man zum Spaß macht.
Sie sind Handballer, spielen in der höchsten Liga von Mecklenburg-Vorpommern und kleben Ihre Hand immer wieder auf den Asphalt. Machen Sie sich keine Sorgen?
Ich mache mir grundlegend Gedanken um meine Gesundheit, Stress, Abgase, Kälte, Hitze, Stunden in einer Position sitzen … das ist schon alles nicht so zuträglich, vermute ich. Der Kleber ist ein kleineres Problem, solange ich nicht abgerissen werde. Das ist mir bisher nur einmal passiert, aber meine Hand ist soweit heil geblieben.
Das Kleben ist also nicht der gefährlichste Teil?
Mehr Angst habe ich, wenn mir Schmerzgriffe angelegt werden. Bei mir ist es bisher gut gegangen, aber ich weiß von zwei Personen, denen dabei das Handgelenk angebrochen wurde. Zudem wurden allein in den letzten Tagen zwei anderen Menschen an Schulter und Arm verletzt. Angst davor ist da, ja.
Theodor Schnarr (l.) ist Mitglied der „Letzten Generation“ und beteiligt sich an den Klebeblockaden im Klimastreik: Am liebsten würde er gar nicht protestieren, sondern an seiner Doktorarbeit und in seinem Garten arbeiten.
Trotzdem ist die „Letzte Generation“ nach eigener Aussage gewachsen …
Wir sind deutlich mehr geworden im letzten halben Jahr, gerade über den Jahreswechsel. Deutschlandweit werden es immer mehr Menschen.
Woran könnte das liegen?
Wir gehen jetzt auch auf Protestmärsche. Diese Protestform ist weniger konfrontativ und bietet noch mehr Menschen die Möglichkeit, Teil der Proteste zu werden.
Wie findet die „Letzte Generation“ neue Mitglieder?
Wir halten Vorträge in ganz Deutschland und vermitteln die naturwissenschaftliche Basis. Wir klären auf, dass die Klimakrise menschengemacht ist, das Produkt einer verfehlten Politik.
Und deshalb sollen die Menschen auf die Straße?
Nicht direkt. Wir sprechen über zivilen Widerstand. Warum wir machen, was wir wachen. Warum wir überhaupt darüber nachdenken, in eine Straßenblockade zu gehen.
Ist diese Überzeugungsarbeit alles?
Nein, vor dem Protest, brauchen die Menschen ein Protesttraining. Dabei klären wir offene Fragen. Grundlegend ist für uns Gewaltfreiheit, auch gewaltfreie Kommunikation. Es geht auch um Rechtliches: Wie verhalte ich mich gegenüber der Polizei? Welche Strafen erwarten mich? Was bedeutet das gegebenenfalls für meine Karriere?
Sehr viel Theorie …
Dann beginnen wir, die Situationen zu üben. Das funktioniert in Rollenspielen.
Wie nah ist das an der Praxis? Was mache ich zum Beispiel, wenn meine Hand an der Straße klebt und ich auf die Toilette muss?
(Lacht.) Einen wirklichen Praxistipp für die Toilette habe ich nicht. Eher nur: Vorher gehen!

Wofür protestieren sogenannte „Klima-Kleber“ eigentlich? Das sind die Forderungen der „Letzten Generation“:

  • Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde: Die „Letzte Generation“ argumentiert, dass eine deutschlandweite Geschwindigkeitsbegrenzung jährlich 6,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermeiden würde.
  • Dauerhaftes 9-Euro-Ticket: Bezahlbarer ÖPNV sei in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten gerecht und außerdem ein wirksames Mittel beim Klimaschutz.
  • Gesellschaftsrat: Die Bundesregierung soll einen Gesellschaftsrat einberufen, der Maßnahmen erarbeitet, wie Deutschland bis 2030 die Nutzung von fossilen Rohstoffen beendet.
  • Quelle: letztegeneration.de
Teile der „Letzten Generation“ sind radikaler geworden. Manche Aktivistinnen und Aktivisten kleben ihre Hände nicht einmal mehr auf der Straße fest, sondern betonieren sie sogar ein.
Ich würde mich auch nicht trauen, meine Hand an die Straße zu betonieren. Jede Person bringt ein, was sie kann.
Das heißt?
Viele Menschen wollen sich nicht festkleben, ich kann das verstehen. Die bilden dann zum Beispiel die Rettungsgasse.
Jetzt sprechen Sie einen der größten Kritikpunkte selbst an. Wie verantworten Sie, dass Krankenwagen teils vom Stau aufgehalten werden?
Es ist bezeichnend, wie manche versuchen, die Ablenkungsdebatte um Rettungswagen wieder aufzuwärmen. Die Diskussion wurde bereits im vergangenen Herbst eigentlich abgeschlossen.
Am Montag (21. April) haben sich laut Tagesspiegel wieder 15 Rettungsfahrten verspätet.
Verspätungen wegen Falschparkern, Verkehrsrowdys und anderen Staus werden in den Diskussionen ausgespart. Während des Klimaprotests werden die Krankenwagen im Stau gezielt gezählt, scheinbar um explizit dieses Thema zu bedienen.
„Es ist absurd, dass wir diese Protestform wählen müssen“, sagt „Letzte Generation“-Aktivist Theodor Schnarr über die umstrittenen Straßenblockaden.
Definitiv kein Scheinargument ist, dass sehr viele Menschen wütend sind. Einige sind schlicht genervt, manche sprechen von „Klima-Terroristen“. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Grundlegend kann ich die Wut verstehen. Ich bin in einer demütigen Position. Ich weiß, dass es für Autofahrende unangenehmem ist.
Aber?
Die Menschen müssen uns als Gruppe nicht mögen. Darum geht es nicht, es geht um die Sache. Wir wollen keine Aufmerksamkeit für uns, sondern für die Klimakrise und es braucht diese schöpferische Spannung, damit wir als Gesellschaft eine Lösung erarbeiten können.
Im Internet kursieren viele Videos von Angriffen auf Aktivistinnen und Aktivisten. Herrscht auf der Straße schöpferische Spannung oder doch eher Kampf?
Gewalt gegen Aktivistinnen und Aktivisten ist in den Medien sichtbarer. Auf der Straße erlebt man beides. Erst vor Kurzem hatte ich eine sehr angenehme Erfahrung: Menschen haben uns eine Kiste Wasser und Bananen hingestellt.
Wie gehen Sie persönlich mit übergriffigen Passantinnen und Passanten um?
Wenn jemand aggressiv auf mich zugeht, versuche ich als Erstes herausfinden, ob die Person kommunizieren und verstehen will, oder ob sie mich nur beleidigen möchte. Ich hatte schon gute Gespräche auf der Straße. Aber das ist nicht immer der Fall.

„Letzte Generation“ steckt beim Klima-Protest viel ein: „Auch für die auf der Straße, die uns beleidigen“

Die Mitglieder der „Letzten Generation“ sind in solchen Situation auffallend friedfertig. Werden Sie nie wütend?
Ich bin vor allem wütend auf die Regierung. Es ist absurd, dass wir die Protestform wählen müssen. Wir gehen für ein Grundrecht auf die Straße, dafür, dass wir in Zukunft noch etwas zu essen haben. Wir sind für alle Menschen auf der Straße, auch für diejenigen, die uns beleidigen.
Um dieses Zeichen zu setzen, nehmen Sie viel in Kauf …
Wenn ehrlich über die Protestform gestritten wird, wird zwangsläufig auch über die Bedrohung der Klimakrise gesprochen. Wie schlimm ist die Lage eigentlich, dass ganz normale Bürgerinnen und Bürger solche Mittel wählen müssen?
Das heißt, Sie würden am liebsten überhaupt nicht protestieren?
Ich will eigentlich lieber im Labor stehen oder am Nachmittag in meinem Garten sein und schauen, dass meine Kartoffeln dieses Jahr mal etwas werden.

Das Interview führte Moritz Bletzinger.

Rubriklistenbild: © fkn

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