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Taipeh statt Peking

Selbstbewusster Umgang mit China: Das kleine Tschechien macht vor, wie es geht

Taiwans Ex-Präsidentin reist am Wochenende in die EU, sehr zum Ärger Chinas. Ihr erster Stopp führt sie nach Tschechien. Das kleine Land führt schon länger einen David-gegen-Goliath-Kampf gegen Peking.

Kaum hatten die Tschechen vor anderthalb Jahren Petr Pavel zu ihrem neuen Staatspräsidenten gewählt, tat der Ex-General etwas in der gesamten EU bislang nicht dagewesenes: Er wählte die Nummer seiner taiwanischen Amtskollegin Tsai Ing-wen und dankte ihr für die Glückwünsche, die sie ihm zuvor übermittelt hatte.

Bemerkenswert war das insofern, als Tschechien und Taiwan keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Und weil Peking, das Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet, jeden Kontakt zwischen der Regierung in Taipeh und anderen Ländern zu unterbinden versucht. Meist mit Erfolg. Pavel ging dann noch weiter und sagte nach dem Telefonat mit Tsai, er habe die Hoffnung, die Präsidentin „persönlich zu treffen“. Es war ein Affront ohne gleichen gegenüber Peking.

Stattgefunden hat das Treffen zwischen Pavel und Tsai indes nie, im Mai dieses Jahres schied Tsai nach acht Jahren aus dem Amt aus. Ihr Parteifreund und einstiger Vize Lai Ching-te folgte ihr nach, ihm gratulierte Pavel nach der Wahl per Interview. Am kommenden Wochenende aber reist Tsai Ing-wen, nun als Ex-Präsidentin und offiziell als Privatperson, nach Tschechien, anschließend wohl nach Brüssel und Paris.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Taiwans Präsidentin vor Prag-Besuch

Ob Tsai in Prag tatsächlich mit Pavel zusammenkommen wird, ist zwar noch offen. Kaum aber wurden die Reisepläne bekannt, reagierte Peking so, wie es immer reagiert, wenn es um Taiwan geht: mit Schaum vorm Mund. „Wir wenden uns entschieden dagegen, dass jemand, der die ‚Unabhängigkeit Taiwans‘ anstrebt, Länder besucht, die diplomatische Beziehungen zu China unterhalten“, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning am Dienstag in Peking. China wirft Tsai seit Jahren vor, sie wolle Taiwan offiziell für unabhängig von der Volksrepublik erklären. Tschechien solle sich ans „Ein-China-Prinzip“ halten und die „Souveränität und territoriale Integrität“ der Volksrepublik respektieren, forderte Peking weiter.

Es sind Worte, die man in Prag zur Kenntnis nimmt, mehr aber auch nicht. Denn die dortige Regierung lässt sich schon lange nicht mehr von China vorschreiben, mit wem sie sich trifft. So war Taiwans damaliger Außenminister Joseph Wu bereits vor drei Jahren erstmals in Prag zu Gast, um Deutschland musste er seinerzeit einen weiten Bogen machen. Ein Jahr später flog der tschechische Senatspräsident Miloš Vystrčil nach Taipeh, wo er vor dem Parlament der asiatischen Vorzeigedemokratie selbstbewusst erklärte: „Ich bin ein Taiwaner.“ Seitdem habe Tschechien im Verhältnis zu Peking „wenig zu verlieren“, sagt Ivana Karaskova, China-Expertin der Association for International Affairs in Prag, zu IPPEN.MEDIA.

Taiwan investiert in Tschechien, China enttäuscht die Erwartungen

Die Nähe des Landes zu Taiwan erklärt Karaskova mit einer großen Enttäuschung: Die Versprechungen, die die Chinesen den Tschechen einst gemacht haben, hätten diese nicht eingelöst. So seien etwa angekündigte Investitionen ausgeblieben. „Im Gegensatz zu China hat Taiwan darauf geachtet, seine wirtschaftlichen Versprechen zu erfüllen“, sagt Karaskova. So schuf etwa der taiwanische Elektronikhersteller Foxconn 5000 Jobs in Tschechien. Karaskova verweist zudem auf geplante Investitionen des Chip-Riesen TSMC im Nordwesten des Landes. „Das würde Arbeitsplätze schaffen und die Infrastruktur entwickeln.“ Umgekehrt will Tschechien Haubitzen und andere Waffensysteme nach Taiwan verkaufen.

Auch die Tatsache, dass Taiwan eine Demokratie ist, verbindet das Land mit Tschechien. Hinzu kommt seit dem 24. Februar 2022, dass China Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine diplomatisch sowie mit der Lieferung von militärisch nutzbaren Gütern am Laufen hält. Der tschechische Präsident Pavel hat Chinas Beteiligung an dem Krieg mehrfach scharf verurteilt und fordert, die Ukraine „mit allen Mitteln zu unterstützen“.

Xi Jinping und Wladimir Putin im Mai in Peking: Tschechien kritisiert die Nähe zwischen China und Russland scharf.

Umgang mit China: Tschechien ist weniger erpressbar als Deutschland

Dass Prag wenig zu verlieren hat, hat einen weiteren Grund: Für Tschechien ist China zwar der zweitwichtigste Handelspartner, als Exportmarkt aber kaum bedeutend. Die Volksrepublik besitzt gegenüber Prag also weniger Druckmittel als im Verhältnis zu den Regierungen anderer EU-Länder. In der deutschen Export-Statistik etwa lag China im vergangenen Jahr auf Platz vier, das macht erpressbar. Zuletzt zeigte sich das bei den EU-Ausgleichszöllen auf chinesische E-Auto-Importe. Während Deutschland aus Angst vor chinesischen Vergeltungsmaßnahmen, die die eigenen Autobauer treffen könnten, gegen die Zölle stimmte (wenn auch vergebens), enthielt sich die tschechische Regierung in Brüssel.

Deutschlands China-Nähe könnte indes auch für Prag zum Problem werden. Sollte die chinesische Regierung die Tschechen nämlich für ihre Taiwan-Freundlichkeit bestrafen wollen, könnte sie etwa deutsche Autobauer zwingen, keine tschechischen Teile mehr zu verbauen. „Dies wäre für die tschechische Industrie, die fast ein Drittel ihrer Exporte nach Deutschland liefert, verheerend“, schreibt der Analyst Daniel McVicar in einem Beitrag für die Denkfabrik Council on Foreign Relations. Dann müsste sich zeigen, wie viel die europäische Solidarität wirklich wert ist.

Rubriklistenbild: © Sergei Bobylyov/Pool/AFP

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