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Analyse zur Wahl in Taiwan

Der Mann, den China hasst, wird Taiwans neuer Präsident

Taiwan hat gewählt: Mit Lai Ching-te gewinnt jener Kandidat, den China um jeden Preis verhindern wollte. Gut möglich, dass Peking nun seine Muskeln spielen lässt.

Zum Start in diesen Wahltag schickte China Kampfjets. Acht Flugzeuge sowie ein Kriegsschiff der chinesischen Volksbefreiungsarmee habe man in den vergangenen 24 Stunden in der Nähe von Taiwan gesichtet, teilte das Verteidigungsministerium in Taipeh am Samstagmorgen mit. Die Wahllokale hatten da schon gut zwei Stunden geöffnet, die ersten der rund 19,5 Millionen Wähler hatten ihre Stimme abgegeben für einen neuen Präsidenten und die 113 Abgeordneten des taiwanischen Parlaments. Acht Kampfjets, das klingt dramatisch. Doch seit Langem schon versucht Peking quasi täglich, die Taiwaner mit solchen Drohgebärden einzuschüchtern; an einem Tag im vergangenen September zählte Taiwans Militär gar 103 chinesische Kampfflugzeuge auf einmal.

Lai Ching-te wird neuer Präsident Taiwans.

Einschüchtern lassen sich die Taiwaner ohnehin nicht von Chinas martialischen Gesten, das konnte man an diesem Samstag einmal mehr beobachten. Denn die Präsidentschaftswahl gewann jener Kandidat, den Peking mit allen Mitteln verhindern wollte: Lai Ching-te von der seit acht Jahren regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Lai kam auf gut 40 Prozent der Stimmen, was in Taiwan reicht, um Präsident zu werden, da es keine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten gibt. Erstmals seit Taiwans Demokratisierung Mitte der 90-er kann eine Partei nun dreimal in Folge Taiwans Präsidenten stellen (Amtsinhaberin Tsai Ing-wen durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten).

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Taiwan-Wahl 2024: „Kümmert mich überhaupt nicht, was die Regierung in Peking über Lai und die DPP denkt“

Der 65-jährige Lai Ching-te, ein ehemaliger Arzt und seit vier Jahren Taiwans Vizepräsident, war als Favorit ins Rennen gegangen, fast alle Umfragen sahen ihn zuletzt vorne, allerdings mit geringem Abstand auf die anderen beiden Kandidaten. Dass er die Wahl nun so deutlich gewann, liegt nicht zuletzt an der zerstrittenen Opposition: Hou Yu-ih von der Kuomintang (KMT) kam nur auf 33 Prozent, Ko Wen-je von der 2019 gegründeten Taiwanischen Volkspartei (TPP) auf 26 Prozent. Eigentlich hatten beide zusammen antreten wollen, einer als Präsidentschaftskandidat, der anders als sein Vize. Doch im letzten Moment gerieten sich Hou und Ko über die Rollenverteilung in die Haare und ebneten so Lai Ching-te den Weg in den Präsidentenpalast. „Viele Menschen haben das Vertrauen in die Opposition verloren“, erklärt der Politikwissenschaftler Chen Fang-yu von der Soochow-Universität in Taipeh Lais Sieg.

Im Bezirk Zhongshan im Norden von Taipeh hat Lin Chin-lung für Wahlgewinner Lai von der DPP gestimmt. „Er steht für eine moderne Politik“, sagt der 22-jährige Student. „Die DPP hat die Ehe für alle eingeführt, die anderen Kandidaten haben sich hingegen immer wieder negativ über Schwule und Lesben geäußert“, sagt er. Dass China einen Präsidenten Lai verhindern wollte, sei ihm egal. „Ehrlich gesagt kümmert es mich überhaupt nicht, was die Regierung in Peking über Lai und die DPP denkt.“

Taiwans künftiger Präsident fordert „Dialog statt Konfrontation“

Dabei hatte sich Peking in den vergangenen Tagen und Wochen noch einmal mächtig ins Zeug gelegt, um Taiwans Wähler davon zu überzeugen, ihre Stimme nicht Lai zu geben, sondern dem eher China-freundlichen KMT-Mann Hou Yu-ih. Die Taiwaner müssten „die richtige Entscheidung treffen“, polterte die für Taiwan zuständige Behörde in Peking vor wenigen Tagen, denn es bestehe „die extreme Gefahr, dass Lai Ching-te eine Konfrontation und einen Konflikt zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße auslöst“. China betrachtet Lai als Separatisten und nimmt es ihm bis heute übel, dass er sich einst als „pragmatischen Arbeiter für die Unabhängigkeit Taiwans“ bezeichnet hat. Zur Regierung von Noch-Präsidentin Tsai brach Peking 2016 sämtliche Kontakte ab.

„Als Präsident kommt mir die wichtige Verantwortung zu, Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße aufrechtzuerhalten“, sagte Lai nun nach seiner Wahl vor Journalisten. Den Status quo werde er „unter den Prinzipien der Würde und Gleichwertigkeit“ beibehalten. Im Verhältnis zu China müsste „Konfrontation durch Dialog ersetzt“ werden, die Verantwortung dafür trage Peking. Tatsächlich ist es China, das den Konflikt anheizt. Sein Land werde nie auf den Einsatz von Gewalt verzichten, um Taiwan anzugliedern, droht etwa Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Mit den hysterischen Warnungen vor Lai, den militärischen Drohgebärden und einer Flut an gezielt gestreuter Desinformation hat Peking nun allerdings das Gegenteil erreicht von dem, was es wollte. Ganz ähnlich war das schon einmal: Als sich Amtsinhaberin Tsai Ing-wen 2020 zur Wiederwahl stellte, ließ China gerade in Hongkong mit aller Gewalt die dortige Demokratiebewegung niederschlagen. Das Ergebnis war ein Erdrutschsieg für Tsai – und führte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehung zwischen beiden Ländern. Für Peking ist Tsais DPP ein Hassobjekt, an dem sie sich seit Jahren abarbeitet. Wobei es für China schon Provokation genug ist, dass Taiwan überhaupt eine eigene Regierung wählt, dass das Land eine lebendige Demokratie ist und so den Gegenbeweis antritt zu Pekings These, Chinesischsein und Demokratie würden schlicht nicht zusammenpassen.

Taiwans Wahlsieger will mit Opposition zusammenarbeiten

Und nun? Beobachter wie der taiwanische Politikwissenschaftler Chen befürchten, dass China schon bald mit Militärmanövern in der Nähe von Taiwan auf den Sieg von Lai Ching-te reagieren könnte. „China wird Vergeltungsmaßnahmen gegen Taiwan ergreifen“, sagt er.

Lai wird in den kommenden Jahren auch all jene Taiwaner von sich überzeugen müssen, die ihm nicht ihre Stimme gegeben haben – immerhin rund 60 Prozent der Wähler. Die beiden unterlegenen Kandidaten Hou und Ko plädierten für Dialog mit Peking, um die Spannungen in der Taiwanstraße zu verringern. Lai gab sich zwar ebenfalls gesprächsbereit – „unsere Tür wird immer offen sein“, sagte er vor einigen Tagen in Richtung China. Doch dass Peking schon bald den Telefonhörer abnimmt, wenn Lai anruft, erscheint äußerst unwahrscheinlich.

Und dann sind da noch die vielen innenpolitischen Probleme, vor denen Lai steht. Die Mieten in Taiwan sind hoch, die Gehälter gering, der Mindestlohn viel zu niedrig. Taiwan mag eines der reichsten Länder Asiens sein, doch vom wirtschaftlichen Aufstieg der Inselnation, die die ganze Welt mit hoch entwickelten Mikrochips versorgt, haben nicht alle Bürger gleichermaßen profitiert, die Ungleichheit ist groß. Hinzu kommt nun die politische Spaltung des Landes in die Anhänger von Lai und die sehr vielen Gegner des künftigen Präsidenten. Im Legislativ-Yuan, dem taiwanischen Parlament, verlor die DPP zudem ihre Mehrheit und liegt nun knapp hinter der KMT. Am Wahlabend rief Lai die beiden unterlegenen Kandidaten Hou und Ko deswegen zur Zusammenarbeit auf; gemeinsam solle man Lösungen finden für die Probleme des Landes.

Mitte Mai tritt Lai Ching-te sein Amt an. Bis dahin muss er nicht nur auf Chinas Drohungen eine überzeugende Antwort gefunden haben.

Rubriklistenbild: © Alastair Pike/AFP

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