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Interview

China unter Xi Jinping: „Falsches Denken ist verboten“

„Das ist eine ziemlich beängstigende Vorstellung“: Experte Steve Tsang erklärt im Interview, welche Pläne Xi Jinping für China, Taiwan und die Welt hat.

Wer wissen will, wie der vielleicht mächtigste Mann der Welt tickt, muss Xi Jinpings Schriften lesen und seine Reden hören. Das glaubt der China-Experte Steve Tsang. Zusammen mit seiner Kollegin Olivia Cheung analysiert er in dem Buch „The Political Thought of Xi Jinping“ die Gedankenwelt des chinesischen Staats- und Parteichefs. Xis Ideologie, die „Xi-Jinping-Gedanken“, wurde 2017 erstmals erwähnt und ein Jahr später in Chinas Verfassung aufgenommen. „Xi Jinping will China und die ganze Welt verändern“, sagt Tsang im Interview. „Zum Wiederaufstieg Chinas gehört für ihn auch Taiwan.“

Herr Tsang, warum sollten wir im Westen uns mit den „Xi-Jinping-Gedanken“ beschäftigen?
Xi Jinping ist nicht einfach nur ein weiterer chinesischer Anführer. Er will China und die ganze Welt grundlegend verändern. Seine Gedanken und Vorstellungen haben reale Konsequenzen. Die „Xi-Jinping-Gedanken“ werden gerade so etwas wie die chinesische Staatsideologie.
Welche Folgen hat das?
Jeder in China, egal ob er Mitglied der Kommunistischen Partei ist oder nicht, bekommt von Xi Jinping gesagt, was er zu denken hat. Xi nutzt seine Ideologie, um die Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Damit sie so denken, wie er das will. Er will den Geist der Menschen formen. Das ultimative Ziel von Xi ist es, aus China ein Land und ein Volk zu formen, das sich unter einer Ideologie, einer Partei und einem Anführer versammelt. Und wer aus 1,4 Milliarden Menschen ein einziges Volk formen will, muss kontrollieren, wie sie denken. Falsches Denken ist unter Xi verboten.

Zur Person

Professor Steve Tsang leitet das China-Institut an der SOAS University of London. Zuvor hat er unter anderem in Oxford unterrichtet. Von Tsang erschien zuletzt „The Political Thought of Xi Jinping“ (mit Olivia Cheung).

„Unter Xi Jinping ist China nicht mehr nur ein autoritäres Land, es wird zunehmend totalitär“

Hat Xi Angst vor seinem eigenen Volk?
Oh ja, das hat er. Es ist eigentlich absurd: Unter Xi ist China nicht mehr nur ein autoritäres Land, es wird zunehmend totalitär. Und dennoch treibt Xi eine beständige Angst um, die Kontrolle zu verlieren. Nicht so sehr, weil er glauben würde, die USA könnten die Kommunistische Partei stürzen. Für ihn kommt die Gefahr vielmehr von innen. Deswegen muss das Volk aus seiner Sicht zum richtigen Denken erzogen werden – zum „Xi-Jinping-Denken“.
Wie erfolgreich ist er damit?
Die „Xi-Jinping-Gedanken“ sind allumfassend, es gibt keine Bereiche, die sie nicht abdecken. Sie werden in den Schulen und Universitäten gelehrt, sind überall in China ständig präsent. Dennoch kann Xi Jinping natürlich nicht jeden Chinesen von all seinen Vorstellungen überzeugen. Aber darum geht es auch nicht. Der entscheidende Punkt für ihn ist ein Nationalismus, der das ganze Volk unter der Führung der Partei zusammenbringt. Nach dem Motto: Chinesen sind großartig, Ausländer sind böse, Uiguren und andere Minderheiten sind problematisch, weil sie sich nicht so verhalten, wie es von richtigen Chinesen erwartet wird. Und das verfängt, weil die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Han-Chinesen sind.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Xi Jinping sei zwar Chinas „starker Mann“, aber noch kein Diktator.
Der Maßstab für einen chinesischen Diktator ist Mao Zedong. Mao hat China 27 Jahre regiert, einige Zeit davon als Diktator. Was er gesagt hat, musste der Rest der Partei umsetzen. Wer sich widersetzte, hatte extreme Konsequenzen zu ertragen. So ist es heute nicht. Allein die Tatsache, dass Xi seine Botschaften ständig wiederholen muss, zeigt ja, dass sich noch nicht jeder so verhält, wie er das gerne hätte. Oder nehmen Sie die „Flachliegen“-Bewegung …

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago
… junge Menschen, die sich dem Druck des Arbeitslebens widersetzen, statt so hart zu arbeiten, wie es das Regime fordert.
Das ist passiver Widerstand! Oder schauen Sie sich die chinesischen Beamten an, von denen viele nur das Minimum von dem tun, was von ihnen verlangt wird. Weil das sicherer ist als zu viel zu tun und dabei möglicherweise Fehler zu machen.

„Warum sollten wir glauben, dass Xi Jinping nur so machtvoll wie Mao werden will?“

Will Xi Jinping ein Diktator wie Mao werden?
Warum sollten wir glauben, dass Xi nur so machtvoll wie Mao werden will? Er will mehr, er will China wieder groß machen. „Make China great again“, das ist sein Ziel. Xi Jinping hat noch viel vor. Bis 2049 soll sich der „Chinesische Traum“ vom Aufstieg Chinas erfüllt haben.
China soll bis zum 100. Jahrestag seiner Staatsgründung reich und mächtig sein.
Genau. Zudem sehen wir keinerlei Anzeichen, dass Xi Jinping eines Tages die Macht abgeben wird. Er lässt nicht einmal Diskussionen über einen möglichen Nachfolger zu. Wie klarer kann eine Botschaft sein?
Was bedeutet Xis „Chinesischer Traum“ für Taiwan?
Xi Jinping ist da sehr klar: Zum Wiederaufstieg Chinas gehört für ihn auch Taiwan. Bis 2049 muss Taiwan deshalb ein Teil Chinas sein. Natürlich wäre es ihm am liebsten, Taiwan würde sich freiwillig ergeben. Aber das wird nicht passieren. Wenn Xi Jinping Taiwan haben will, wird er es erobern müssen.
Wenn Xi Jinping die internationale Ordnung so formen könnte, wie er möchte – wie sähe unsere Welt dann aus?
Für Xi Jinping war die beste Zeit in der Menschheitsgeschichte jene, in der China das reichste, mächtigste, fortschrittlichste und zivilisierteste Land der Welt war. Ein Land, zu dem jeder aufgeblickt hat, dessen Führung jeder bewundert hat. Eine Zeit, in der China für Frieden gesorgt hat. Xi Jinping will zurück zu diesem paradiesischen Zustand. Das Problem ist nur: Er hat wenig Ahnung von Geschichte. Das China, das er zurückholen will, gab es so nie. Denn das chinesische Kaiserreich hat sich auf dem Höhepunkt seiner Macht nicht anders verhalten als das Römische Reich: Es hat seine wirtschaftliche und militärische Macht genutzt, um anderen Ländern seinen Willen aufzuzwingen.
Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping will sich China das demokratische Taiwan einverleiben – notfalls mit militärischer Gewalt.

„China will die Nummer eins sein – aber nach seinen eigenen Bedingungen“

Dennoch sagen Sie, dass China kein Hegemonialmacht wie die USA sein will.
China will die USA nicht als globalen Hegemon ersetzen. Es will sich nicht die Last aufbürden, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen haben: als Weltpolizist für Ordnung zu sorgen. China will die Nummer eins sein – aber nach seinen eigenen Bedingungen.
Welche Folgen hätte das?
Nehmen Sie den Nahen Osten. China hat traditionell enge Beziehungen zu Israel und zu Palästina. Dennoch hat es sich nicht als Vermittler angeboten, als dort die Lage eskaliert ist, sondern sich einseitig auf Seiten der Palästinenser positioniert. Oder schauen Sie auf die Ukraine: Xi Jinping ist der einzige globale Anführer, der zu Beginn des Krieges eine Shuttle-Diplomatie zwischen Moskau und Kiew hätte betreiben können. Weil er bis dahin gute Beziehungen zu beiden Seiten hatte. Auch zu Putin, anders als Biden, Scholz oder Macron. Hätte er Frieden geschaffen, hätte man ihn weltweit gefeiert. Hätte er das nicht geschafft, aber immerhin versucht, hätte man ihm auch Respekt gezollt.
Warum will Xi diese Rolle nicht übernehmen?
Xi denkt: China ist ohnehin so großartig, es muss sich den Respekt der Welt nicht erst verdienen. Vielmehr müsst ihr endlich lernen, China zu lieben. Wer das Wertesystem der Kommunistischen Partei Chinas übernimmt, wird in der Welt von Xi Jinping vorwärtskommen. Alle anderen müssen dazu gebracht werden, ihr Denken zu verändern. Das ist eine ziemlich beängstigende Vorstellung.

Rubriklistenbild: © Li Gang/Xinhua/Imago

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