75 Jahre Volksrepublik China
100 Jahre KP-Herrschaft, Wohlstand und Weltmacht: Was Xi Jinpings „Chinesischer Traum“ für die Zukunft ist
Xi Jinping denkt weit in die Zukunft. Sein Zielpunkt ist 2049, wenn die Volksrepublik China 100 Jahre alt wird – und nach seinem Plan wohlhabend und mächtig ist.
Wenn die Volksrepublik China am 1. Oktober 75 Jahre ihres Bestehens feiert – und damit 75 Jahre Herrschaft der Kommunistischen Partei –, dann ist das für Xi Jinping noch lange nicht das Ende der Geschichte. Bis zum 100. Jubiläum im Jahr 2049 will der Staats- und Parteichef China im Kreise der Großmächte sehen, mit einer Gesellschaft auf mittlerem Wohlstandsniveau. „Chinesischer Traum“ nennt Xi seine Vision, die er seit Jahren in Form verschiedener Slogans auf Bannern im ganzen Land propagiert, meist begleitet von Bildern moderner Hochhausstädte, Autobahnkreuze oder einer sauberen Natur.
Was auf den Bildern eher nicht zu sehen ist, aber Xi ebenfalls umtreibt: Bis 2049 soll die Volksbefreiungsarmee, Chinas Militär, mindestens auf Augenhöhe mit den Streitkräften der USA sein. Nur wenige Tage vor dem großen Jubiläum testete die Volksrepublik vergangene Woche zum ersten Mal seit 44 Jahren eine Interkontinentalrakete. Beim ersten Test im Mai 1980 war Revolutionsführer Mao Zedong erst vier Jahre tot, die Wirren um seine Nachfolge waren gerade überstanden. Nun aber sieht Xi sein Land auf dem Sprung in eine glorreiche Zukunft.
Xi Jinpings Traum für 2049: China „an der Spitze der Welt“
Als er auf dem KP-Parteitag im Oktober 2022 seine dritte Amtszeit erhielt, betonte Xi in seiner Rede, er wolle bis 2049 sicherstellen, dass China „in Bezug auf seine nationale Stärke und seinen internationalen Einfluss an der Spitze der Welt steht“. Damals begann er, seinen Fokus immer stärker auf das Thema Sicherheit zu legen, auch dann, wenn das zu Lasten der Wirtschaft gehen sollte. Denn der Erhalt einer stabilen KP-Herrschaft mit ihm selbst an der Spitze steht für Xi über allen anderen Zielen. Im Herbst 2022 galt in China übrigens immer noch die Null-Covid-Politik.
Die Rivalität mit den USA dominiert unter Xi das außenpolitische Denken in China. Xis wichtigster Gehilfe beim Widerstand gegen die aus seiner Sicht zu westlich dominierte Welt ist derzeit der „gute Freund“ Wladimir Putin in Russland, dem Xi trotz aller Gräueltaten in der Ukraine die Treue hält. Zugleich umwirbt Peking den Globalen Süden, dessen wichtigste Staaten mit China in der Brics-Gruppe verbunden sind, ebenso wie Russland. Ihnen bietet Xi Jinping einen alternativen Weg zur Modernisierung an – nach dem Modell Chinas: ohne Demokratie. „Die chinesische Modernisierung bietet der Menschheit eine neue Möglichkeit, sich zu modernisieren“, sagte der Staatschef beim Parteitag 2022. Wie sehr dies auf Dauer etwa in Afrika verfängt, ist offen – doch der Westen beobachtet dieses Werben mit wachsender Sorge.
Xi wird 2049 weit über 90 Jahre alt sein
Das Ziel, das den Westen aber am meisten beunruhigt, ist die von Xi Jinping ebenso wie von allen seinen Vorgängern angepeilte Eingliederung Taiwans. „Die Wiedervereinigung des Mutterlandes ist eine historische Unvermeidlichkeit“, erklärte er in seiner Neujahrsansprache Anfang Januar. Ob das bedeutet, dass die Volksrepublik bis zu Xis „Traum“-Zieljahr 2049 einen Angriff auf die demokratisch regierte Insel startet, ist unklar. Manche US-Experten erwarten schon in wenigen Jahren eine Invasion, andere eher eine Verstärkung hybrider Taktiken. Wie ein Hasardeur erscheint Xi bislang nicht – anders als etwa Putin. Er weiß, dass eine Invasion dramatische Folgen haben könnte: für die Welt, die Region und für China selbst. Trotzdem wird die Bedrohungslage für Taiwan in den nächsten Jahren nicht abnehmen, denn niemand weiß, ob Xi am Ende vielleicht doch einen Angriff befiehlt.
Zum 75-jährigen Jubiläum holpert China auf dem Weg zum Wohlstand. Die Wirtschaft schwächelt, und die Gesellschaft altert. Ein Patentrezept hat die Regierung noch nicht gefunden, auch wenn das Politbüro vor wenigen Tagen ein paar neue Konjunkturmaßnahmen beschlossen hat, inklusive Lockerungen der Geldpolitik durch die Zentralbank. Die Aktienmärkte stiegen, doch Experten sehen nur wenig Einfluss des Pakets auf den Konsum.
Xi Jinping selbst ist heute 71 Jahre alt. 2049 wäre er 96. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass am Ende andere versuchen müssten, seinen „Chinesischen Traum“ zu erfüllen. Ein Nachfolger für den starken Mann ist derzeit zwar nicht in Sicht. Doch irgendwann wird es jemanden geben. Und ob der dann nicht ganz andere Träume hat, ist völlig offen.
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