„Auch in Champagner-Etagen“
Antisemitismus: „Seit Jahren kommen Menschen mit judenfeindlichem Weltbild zu uns“
Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt: Deutschland hat ein gewaltiges Antisemitismusproblem. Vor allem gegen eine Entwicklung an Schulen will sie vorgehen.
Düsseldorf – Sylt ist in diesen Tagen wohl unvermeidlich, wenn man über Fremdenfeindlichkeit spricht. Auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nahm den Faden auf: „Ich hab nichts dagegen, dass mal einer ein paar Aperols trinkt, aber rassistische Parolengesänge sind dadurch nicht entschuldbar“, sagte die NRW-Antisemitismusbeauftragte am Mittwoch in der Düsseldorfer Staatskanzlei bei der Vorstellung ihres Berichts für 2023. Fremdenhass und Antisemitismus gebe es auch in der „Champagner-Etage“ und das dürfe man niemals durchgehen lassen, so die ehemalige Bundesjustizministerin (FDP).
Fremdenhass im Sylt-Video und Antisemitismus im Alltag: Höchststand bei Straftaten
Der Blick in die nüchternen Zahlen ihres Berichts liefert die Erkenntnis: Deutschland und NRW haben ein gewaltiges Antisemitismusproblem. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 5164 antisemitische Straftaten dokumentiert, in NRW 547. Das sind Höchststände. Die Dunkelziffer dürfte gar noch weit höher liegen, schätzt Leutheusser-Schnarrenberger. „Aber viele Betroffene verzichten auf Anzeigen, weil sie Angst haben, dass ihre Namen in den Akten auftauchen.“ Dabei sei das leicht zu umgehen, hier müsse sie immer wieder Aufklärungsarbeit leisten.
Auffällig: Die Zahl der Straftaten stieg nach dem 7. Oktober und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel deutlich an. „Leider ist es eine Entwicklung, die sich auch zu Beginn dieses Jahres entsprechend fortgesetzt hat. Wir haben schon in den ersten Monaten insgesamt 123 antisemitische Straftaten verzeichnet“, so die Antisemitismusbeauftragte. Dabei ist der Anstieg bei Taten mit den Hintergründen „ausländische Ideologie“ und „religiöse Ideologie“ besonders drastisch. „Ein Teil der propalästinensischen Demonstrationen ist von islamistischen Gruppierungen unterwandert“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.
„Hinter Palästina-Solidarität verbirgt sich oft Judenhass“
Zu einer ähnlichen Einschätzung kam zuletzt auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU): „Hinter Palästina-Solidarität verbirgt sich oft Judenhass“, sagte er Mitte Mai. Kurz zuvor hatte das Innenministerium den Verein „Palästina Solidarität Duisburg“ verboten und aufgelöst. Der Verein war auch bei TikTok überaus aktiv und unter anderem wegen antisemitischer Aktionen aufgefallen. Derweil beobachten Sicherheitsbehörden zunehmend eine Verquickung radikal islamistischer Gruppen und krimineller Clans aus dem arabischen Raum, die ebenfalls gemeinsam bei Social Media Propaganda betreiben.
Es kämen seit Jahren „auch Menschen mit einem gefestigten antiisraelischen oder judenfeindlichen Weltbild zu uns“, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und betonte: „Es ist furchtbar und kaum auszuhalten, was die Menschen in Gaza erleiden. Aber Ursache ist der Terroranschlag der Hamas und das muss auch die Debatten in Deutschland mit prägen.“ Radikale Gruppierungen würden unterdessen in den sozialen Medien und vor allem bei TikTok die Stimmung aufheizen. Dagegen wolle sie vorgehen. „Man kann TikTok nicht einfach beiseite liegen lassen“, sagte sie. Dafür brauche es aber eine gebündelte Strategie mithilfe von Profis. „Es reicht nicht zu sagen, wir machen jetzt auch einen TikTok-Account und stellen uns vor das Mikrofon.“
TikTok und die Flut an Desinformationen: „Fakten gegen Judenhass sollten auch die Chinesen interessieren“
Eine solche Strategie werde sie noch in diesem Jahr in Angriff nehmen, um über TikTok Fakten gegen die Flut an Desinformationen zu verbreiten. Dazu müsse es auch Gespräche mit dem Unternehmen hinter der Social-Media-Plattform geben, die in chinesischem Besitz ist. „Fakten gegen Judenhass sollten auch die Chinesen interessieren“, so Leutheusser-Schnarrenberger.
Vor allem an Schulen müsse man jetzt ansetzen: „Es gibt Schulklassen mit weit mehr als 50 Prozent Migrationsanteil, da müssen wir hinterfragen, ob alle Schülerinnen und Schüler mit unseren Schulmaterialien erreicht werden.“ Unterrichtsmaterialien würden nun aktualisiert. Kaum Fortschritte gab es unterdessen bei einem schon lange geforderten Formular, über das Schulen antisemitische Vorfälle melden können. „Ich hätte Ihnen gern heute ein Exemplar präsentiert, aber wir sind noch nicht so weit“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Es gebe unter anderem noch Fragen zum Datenschutz, die geklärt werden müssten.
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