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Höcke-Prozess
„Das Märchen bricht in sich zusammen“: Verliert AfD nach Höcke-Urteil und OVG massenhaft Stimmen?
Der OVG-Prozess und das Höcke-Urteil haben Konsequenzen für die AfD. Verliert sie Wähler? Ein Experte sagt: Manche könnten zweifeln. Aber: Die AfD wisse das Urteil auch für sich zu nutzen.
Berlin – 2024 war für die AfD ein Jahr der permanenten Erklärungsnot: Erst wurden „Remigrations“-Fantasien einflussreicher AfD-Funktionäre öffentlich, dann gerieten die Partei und ihr Umfeld wegen dubioser Putin-Geldflüsse und mutmaßlicher China-Spionage in den Fokus. Kritiker warfen AfD-Größen Landesverrat vor, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach von einer Nazi-Partei.
AfD-Urteil in Münster und Urteil gegen Höcke: Berliner Linke und Grüne fordern Verbot
Abseits emotional aufgeladener Debatten gab es jetzt auch ein nüchternes Urteil unabhängiger Richter: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ einstufen und nachrichtendienstlich beobachten darf. Und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird jetzt nachlegen, davon gehen Sicherheitskreise aus. Sprich: Wahrscheinlich wird der Verfassungsschutz die AfD schon bald als gesichert rechtsextrem einordnen. Die Berliner Grünen und Linken forderten derweil gar ein Verbot der AfD.
Alles in allem sehr schlechte Voraussetzungen für eine Partei in einem Superwahljahr – sollte man meinen. In Umfragen zur bevorstehenden Europawahl verlor die Partei zuletzt leicht. Wenn es um die Landtagswahl in Thüringen geht, steht sie indes stabil bei 30 Prozent. Allerdings stammen die jüngsten Erhebungen aus der Zeit vor dem OVG-Urteil – und vor dem aktuellen Urteil gegen Björn Höcke: Der AfD-Spitzenpolitiker musste sich in Halle vor dem Landgericht verantworten, weil ihm die Verwendung einer NS-Parole vorgeworfen wird. Das Landgericht Halle hat Höcke am Dienstagabend (14. Mai) wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro verurteilt.
In der Urteilsbegründung des OVG Münster heißt es: „Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind.“ Ist damit ein Kipppunkt erreicht? „Die Kernwählerschaft wird das nicht abschrecken“, glaubt Politikberater Johannes Hillje. Kernwähler der AfD würden eher der Partei als demokratischen Institutionen wie Gerichten vertrauen.
AfD-Wähler misstrauen deutschen Gerichten – und glauben stark an Social Media
Das deckt sich mit einer Erhebung des Forsa-Instituts von Anfang 2024. Ihr zufolge haben Gerichte ein hohes Ansehen in der Gesellschaft, insgesamt 71 Prozent der Deutschen vertrauen ihnen. In der AfD-Wählerschaft verhält es sich hingegen fast umgekehrt: knapp 70 Prozent misstrauen Gerichten – und glauben, anders als der Großteil der restlichen Bevölkerung, stark an Social Media.
Die AfD wird versuchen, das für sich zu nutzen, schätzt Hillje, der unter anderem Kommunikationsstrategien extremer politischer Kräfte erforscht. „Die AfD wird vermutlich die Unabhängigkeit des Gerichts anzweifeln und es in die Nähe der Regierung rücken, wie sie es mit dem Verfassungsschutz auch gemacht hat.“
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
Bei eingefleischten AfD-Fans dürfte das prima ankommen. Aber: Unentschlossene mit AfD-Tendenz könnten jetzt in Zweifel geraten. So war die kommunikative Verteidigungslinie der AfD vor und im Prozess vor allem die Behauptung, der Verfassungsschutz sei ein nicht unabhängiger Regierungsschutz. „Dieses Märchen bricht nach dem Urteil aber in sich zusammen“, sagt Hillje. „Wenn es um eine erweiterte Wählerschaft geht, kann das Urteil der AfD also sehr wohl schaden.“
AfD nach OVG-Urteil und Höcke-Prozess: Schwierigkeiten mit der Regierungsfähigkeit
Und noch in einem weiteren wichtigen Punkt verpasse das OVG-Urteil und der Höcke-Prozess den Parteiplänen einen gewaltigen Dämpfer, nämlich wenn es um eine potenzielle Regierungsfähigkeit geht. Die AfD sendet seit jeher Doppelbotschaften. Ein erstes prominentes Beispiel von 2016 ist gar längst ein geflügeltes Wort: Der „Mausrutscher“ von AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die bei Facebook auf die Frage, ob man auch Frauen und Kinder an der Grenze erschießen sollte, mit „Ja“ antwortete – und das im Nachhinein als Ausrutscher mit der Maus entschuldigte. Seitdem gab es zig weitere Beispiele der Übung: Erst radikales Vorpreschen, dann halbherziges Zurückrudern.
Das ist typisch für die AfD, sagt Hillje: „Sie beschwichtigt zwar, distanziert sich aber nicht politisch.“ So macht sie sich einerseits bei den Kernwählern beliebt, versucht andererseits aber unbedingt anschlussfähig an die Mitte zu bleiben. „Sie muss anschlussfähig sein, wenn sie regieren möchte. Das wird ihr nach dem OVG-Urteil schwerer fallen“, glaubt er.