Waldkraiburger Stadtgeschichte
Bilder, Dokumente, Postkarten – auf 50 Regal-Metern: Darum zieht das Haidaer Archiv um
Es sind Erinnerungen an die Heimat der Vertriebenen. Und damit ein Teil der Waldkraiburger Stadtgeschichte, die im Haidaer Archiv lagert. Trotzdem zieht das Archiv nun weg. Das sind die Gründe.
Waldkraiburg – Rein ins Foyer, die Treppe runter, links durch die Ausstellungsräume und dann den Flur entlang: So versteckt liegt das Haidaer Archiv im Haus der Kultur eigentlich gar nicht. Trotzdem findet kaum noch jemand den Weg hierher. Hier, wo in zahlreichen Ordnern auf 50 Regalmetern Bilder, Dokumente, Briefe und Postkarten aus Haida, Böhmisch-Leipa und Dauba aufbewahrt werden.
Es sind Zeugnisse und Urkunden von Familien, die durch die Vertreibung im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren haben. Erinnerungen, die in jahrelanger Arbeit zusammengetragen und gesammelt wurden. „Viel Archiv-Material ist aber auch verloren gegangen“, sagt Stadtarchivar Konrad Kern. 1970 entstand aus einer Initiative heraus ein Heimatarchiv für die Gerichtsbezirke Böhmisch-Leipa, Haida und Dauba, das seit 1990 im Haus der Kultur angesiedelt ist und im Jahr 1998 in das Eigentum der Stadt überging.
„Das Archiv war ihr Lebenswerk“
Ein Name, der mit dem Haidaer Archiv eng verbunden ist, ist Erika Rahnsch. Über viele Jahre hinweg hat sie sich für das Haidaer Archiv engagiert und es verwaltet. Als Kind erlebte sie die Vertreibung selbst mit. „Sie war unvoreingenommen und aufgeschlossen, der Gedanke der Versöhnung war in ihr sehr stark. Sie hat viel für die Stadtgeschichte geleistet, das Archiv war ihr Lebenswerk“, sagt Stadtarchivar Konrad Kern über Erika Rahnsch, die 2021 verstorben ist.
Nach ihrem Tod hat das Stadtarchiv die Verwaltung des Haidaer Archivs übernommen. Was zu Lebzeiten schon Erika Rahnsch bedauerte, hat sich in den vergangenen Jahren kaum geändert. „Das Archiv interessiert keinen mehr.“ Deshalb hatte Erika Rahnsch noch zu Lebzeiten die Idee der Heimatfreunde Nördlingen aufgegriffen, die ihr Archiv mangels Interesse nach Tschechien übersiedelt haben.
Archiv nicht so einfach weggeben
Für Konrad Kern unvorstellbar – bis zu einer Tagung der Sudetendeutschen Museen Anfang März, bei der genau dargestellt wurde, wie eine solche Übergabe in ein tschechisches Museum vonstattengeht. „Warum soll es nicht auch für Waldkraiburg funktionieren?“, fragte sich Kern, knüpfte Kontakte und holte sich Rat ein. Auch bei der Familie von Erika Rahnsch. Denn so einfach weggeben wollte er das Heimatarchiv nicht.
„Hätte auch nur einer gesagt, dass es keine gute Idee ist, hätte ich sie nicht weiterverfolgt. Stattdessen haben mich alle ermutigt, diesen Weg zu gehen“, sagt Kern. Trotz seiner ersten Bedenken ist er mittlerweile davon überzeugt, dass es der richtige Schritt ist, das Archiv nach Tschechien überzusiedeln. Ins Kreismuseum in Ceska Lipa.
Mehr Aufmerksamkeit für das Archiv
Denn dort soll das Archiv mehr Aufmerksamkeit bekommen als hier. „Das Archiv wird dort nicht eingelagert, sondern soll genutzt werden. Es wird in seiner Ordnung unverändert bleiben, damit das Lebenswerk von Erika Rahnsch nachvollziehbar bleibt“, erklärt Kern. Die Ordner im Archiv sind sortiert nach den verschiedenen Orten, unterschiedlichen Kategorien. Nicht nur die drei Findbücher, sondern auch die unterschiedlichen Farben der Ordner helfen bei der Archivsuche.
Die könnte künftig deutlich einfacher von der Hand gehen. „Wichtige Elemente sollen digitalisiert werden, das Archiv soll künftig auch allgemein genutzt und ausgewertet werden können.“ Nachhaltig beeindruckt ist Konrad Kern von Tomas Cidlina, der Historiker am Kreismuseum ist. Dieser habe viel Engagement in den Vorgesprächen eingebracht, und damit auch Konrad Kern überzeugt, das Richtige zu tun. Denn es bleibt dabei: „Hier gibt es kaum noch jemanden, der persönlich ein Interesse an dem Archiv hat“, bedauert Kern.
Viele Unterlagen noch unsortiert
Mit den vielen Ordnern ziehen auch Objekte aus dem Stadtmuseum mit um, die aus dem ursprünglichen Sammlungskonvolut entstammen und einen Bezug zum Archiv haben. Viele Unterlagen sind noch einsortiert worden, weil das Interesse am Archiv so gering ist.
Die Unterlagen abzugeben, ist für Kern kein Abschied für immer. „Es ist zugesichert, dass in Zukunft die übergebenen Exponate als Leihgabe für Ausstellungen zur Verfügung stehen.“ Das Stadtarchiv und die Waldkraiburger Museen wollen mit dem Kreismuseum Böhmisch-Leipa in Tschechien in Zukunft gemeinsame Aktivitäten planen.
Die Übergabe des Archiv-Bestands hat Konrad Kern auch dem Kultur- und Sportausschuss vorgestellt. Auch hier die einhellige Meinung: Die Übergabe ist eine gute Idee. „Das Archiv kommt dort in professionelle Hände“, ist Norbert Fischer (CSU) überzeugt, der im Vorstand des Fördervereins Stadtmuseum über diese Idee diskutiert hatte. Eine Digitalisierung der Unterlagen wäre in Waldkraiburg „nie zu stemmen gewesen“.
Beachten und wertschätzen
Den Umzug des Archivs begrüßte auch Karin Bressel (UWG). „Es wäre im Sinne von Erika Rahnsch gewesen. Hier wird das Archiv nicht mehr beachtet. Mit dem Umzug kommt die Unterlagen dorthin, wo sie beachtet und wertgeschätzt werden.“
Einstimmig befürwortete der Haupt- und Finanzausschuss den Umzug des Haidaer Archivs, der Stadtrat schloss sich dem ebenfalls einstimmig an.
Im Frühjahr soll das Archiv nach Tschechien umziehen. Dazu soll es einen Festakt geben, bei dem symbolisch die Übergabe des Findbuchs des Heimatarchivs und eines Objekts stattfinden.