Ehrenamtliche in Waldkraiburg gesucht
„Den Kindern die Angst vor dem Lesen nehmen“: Sabine Eschner engagiert sich als Lesepatin
Deutschlands Schüler tun sich immer schwerer, lesen zu lernen. Um ihnen den Spaß am Lesen zu vermitteln, setzen Waldkraiburgs Schulen auf ehrenamtliche Lesepaten. Sabine Eschner ist eine von ihnen.
Waldkraiburg – Sie hilft armen Menschen, bestraft böse Menschen und rettet Tiere: Die Geschichte der kleinen Hexe mit ihrem Raben Abraxas zieht eine Drittklässlerin Woche für Woche in ihren Bann. Mal stockend, mal flüssiger kommen ihr die Worte über die Lippen, konzentriert liest sie jeden Satz vor. Neben ihr sitzt Sabine Eschner, die aufmerksam zuhört, auf die richtige Aussprache achtet und eingreift, wenn eine Silbe oder Endung verschluckt wird. Seit fünf Jahren engagiert sich die 63-Jährige als Lesepatin und hilft Grundschülern beim Lesenlernen.
Jeden Montag und Dienstag ist sie vormittags an einer Waldkraiburger Grundschule, nimmt sich Zeit für Schüler, die beim Lesen Hilfe brauchen. Inmitten des Klassenzimmers öffnet sich eine neue Welt – eine Welt der Buchstaben, aus denen spannende, lustige und mitreißende Geschichten entstehen.
Neun Schüler an zwei Schulen
Dass sich Eltern die Zeit für ihre Kinder zum gemeinsamen Lesen nehmen, passiert nach Einschätzung von Sabine Eschner immer seltener. Vor fünf Jahren ist sie über einen Zeitungsartikel auf das ehrenamtliche Lesenpaten-Projekt des Seniorenbeirats gestoßen, seitdem ist sie dabei. An der Graslitzer Schule fing sie mit den ersten Schülern an, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie war das. Dann kamen die Schulschließungen. Doch als der Unterricht wieder startete, blieb sie dabei. „Es war ein holpriger Start“, erinnert sie sich.
Mittlerweile betreut sie neben der Graslitzer Schule auch Kinder an der Dieselschule. Neun Schüler von der zweiten bis zur vierten Klasse begleitet sie inzwischen beim Lesen – viele davon mit Migrationshintergrund. Der Bedarf ist groß, so groß, dass sie an fünf Vormittagen zum Lesen an die Schule kommen könnte.
„Es geht darum, den Kindern einen Zugang zu Büchern erleichtern“, sagt Sabine Eschner. Dabei sei es zunächst zweitrangig, was die Kinder lesen. Manchmal ist ein Comic besser geeignet, um das Interesse zu wecken. „Das Buch soll zum Kind passen.“ Das können mal kurze Geschichten sein oder ein längeres Buch, das während des Schuljahrs gelesen wird. Anregungen dazu holt sie sich im Haus des Buches, stimmt sich aber immer mit den Lehrkräften ab. „Ich will den Kindern die Angst vor dem Lesen nehmen, sie behutsam heranführen. Es geht um ein geführtes Lesen.“
Kinder über eine kleine Gähnphase heben
Eine Lesestunde dauert eine Schulstunde. Dabei setzt Sabine Eschner genau dort an, wo die Kinder in der Woche zuvor aufgehört haben. „Je mehr sie erzählen können, um so mehr spüre ich ihre Mitarbeit.“ Manchmal brauche es nur ein Stichwort oder ein Bild und schon sprudle es aus den Kindern heraus. Doch es gebe auch Tage, an denen gar nichts kommt. „Oft unterschätzt man die Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Aber das schaffen sie, man muss sie nur über kleine Gähnphasen heben.“
Es geht aber auch um ein Fühlen: die Stimmung der Kinder einfangen, ihre Fähigkeiten einschätzen, sie nicht überfordern. „Die Kinder sollen ein Erfolgserlebnis haben“, ist ihr wichtig. Zwei Arten von Lesern macht sie aus: Die einen lesen Texte flüssig vor, sind darauf trainiert, Wörter richtig zu lesen, verstehen aber den Inhalt einer Geschichte nicht. Die anderen kämpfen mit jedem neuen Wort. Beides Situationen, in denen Sabine Eschner nach Gefühl eingreift und weiterhilft.
„Es ist ein Üben und Trainieren, keine Nachhilfestunde. Trotzdem erwarte ich Respekt, weil die Lesestunde nicht zum Spielen gedacht ist.“ Sabine Eschner sieht sich als eine Art „Lese-Ersatz-Oma“, die den Kindern Zeit schenkt. Doch nicht alle wissen dieses Geschenk zu schätzen. „Manche Kinder verweigern sich oder sind überzeugt, dass sie nicht lesen lernen müssen. Da krieg‘ ich einen Knall“, sagt sie, die gebürtig aus Cuxhaven kommt, mit ihrem norddeutschen Akzent. Sie erkennt aber die schwierigen, teils auch familiären Situationen, in denen sich die Kinder befinden. „Die sind nicht doof, sie sind einfach überfordert mit der Sprache.“
Schwierige Fälle bespricht sie mit den Lehrkräften, denn es gibt Momente, in denen sie an Grenzen stößt oder es nicht mehr weitergeht. Doch dann sind da auch die vielen Erfolgsmomente – und die „tun verdammt gut“. Nicht nur die positiven Rückmeldungen der Lehrer, dass die Schüler ein besseres Verständnis für Texte entwickeln, dass sie sich besser konzentrieren und flüssiger lesen. Es sind vor allem die Reaktionen der Kinder, die ihr Freude bereiten. „Manchmal bekomme ich ein selbst gemaltes Bild als Dankeschön – ich sammle sie alle in einem Ordner.“ Aber das Schönste ist für sie, wenn die Kinder sich auf die Lesestunde freuen und sie freudig begrüßen. „Dann weiß ich, dass es klappt.“
Lesepaten dringend gesucht
Seit mehreren Jahren läuft die Aktion „Lesepaten“ des Seniorenbeirats der Stadt Waldkraiburg in Zusammenarbeit mit den Grundschulen. Um die Sprachkenntnisse zu verbessern, auch Kindern mit Migrationshintergrund weiterzuhelfen und den Spaß am Lesen zu fördern, sucht der Seniorenbeirat weiterhin dringend Lesepaten. Mehr Infos auf der Homepage des Seniorenbeirats oder unter Telefon 08638/65118.