Alarmierende Zahlen der Fachberatungsstelle in Waldkraiburg
Prügel in der Partnerschaft? Immer mehr Frauen im Landkreis Mühldorf suchen Hilfe und Beratung
Seit 2019 suchen viermal mehr von Gewalt betroffene Frauen Hilfe in der Fachberatungsstelle. Dabei stehen in aktuellen Entwicklungen aber nicht nur die körperlichen Angriffe im Vordergrund.
Waldkraiburg - Die Arbeit der am Stadtplatz 5 verorteten Fachberatungsstelle für gewaltbetroffene Frauen, Kinder und Jugendliche nimmt weiter Fahrt auf. Seit 2019 vervierfachten sich die Fälle im Vergleich zu den Jahren zuvor; allein von 2021 bis 2022 gingen die Fallzahlen von 98 auf 128 hoch, stellt Geschäftsführerin Fiona Bachmann die aktuelle Entwicklung vor.
90 Prozent der Fälle wegen häuslicher Gewalt
Der Bedarf an Beratung und Unterstützung für verängstige Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten, die Gewalt in ihrer Beziehung erfahren, ist enorm. Mit rund 90 Prozent macht die häusliche Gewalt, darunter in erster Linie innerhalb der Partnerschaft, das Gros der Beratungen aus.
Dass im Zuge der Pandemie die häusliche Gewalt einen Schub erfahren hat, eröffnet Fiona Bachmann auch die Kooperation mit den lokalen Polizeistationen Mühldorf und Waldkraiburg, wo zumindest im zweiten Lockdown ein Anstieg von Einsätzen verzeichnet worden sei, so die studierte Wirtschaftspädagogin und Diplom-Kauffrau mit langjähriger Erfahrung in der stationären Jugendhilfe.
Oft kommt es nicht nur Anzeige
Ein Verdacht, der durch die aktuelle polizeiliche Kriminalstatistik bestätigt wird: Die Fälle im Bereich „Häusliche Gewalt“ sind im Landkreis Mühldorf von 127 Straftaten in 2019 auf 148 in 2020 und weiter auf 174 in 2021 angestiegen. Die Zahlen für das Jahr 2022 sind noch nicht veröffentlicht, jedoch sei von einer weiter steigenden Tendenz auszugehen, heißt es vonseiten des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd auf Nachfrage.
Die Spitze des Eisbergs allerdings: Fiona Bachmann weist auf eine möglicherweise sehr hohe Dunkelziffer hin. Egal, was die betroffenen Frauen von der Anzeige abhält - Traumata, finanzielle oder emotionale Abhängigkeiten vom Täter, sogar Schuldgefühle oder Scham -, viele Fälle werden einfach nicht weiter verfolgt. Für Fiona Bachmann auch ein Problem der Region: „Je ländlicher, desto mehr schaut man einfach weg.“
Mehr Andrang durch Vernetzung
Allerdings sind für Bachmann nicht nur die vermehrten Delikte ursächlich für die steigenden Fallzahlen in der Beratungsstelle: „Wir arbeiten kompetent und achten auf strikte Anonymität, was den Andrang nach Beratungen erhöht“, so Bachmann mit Blick auf ihr derzeit dreiköpfiges sozialpädagogisches Team. Sie sieht ihre Vernetzungsarbeit mit Jugendamt, Fachdiensten und Kooperationspartnern wie Donum Vitae oder dem Haus der Begegnung Früchte tragen. Viele Klientinnen sind bei unterschiedlichen Stellen angeschlossen.
Worum geht es also in der Beratungsstelle? „Das ist natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Mal gibt es eine Phase mit verstärkt sexualisierter Gewalt, mal geht es um körperliche oder psychische Gewalt“, erklärt Bachmann. Es müssen nicht immer die Wunden, blaue Flecken oder Knochenbrüche sein. Ganz im Gegenteil sei aktuell ein Anstieg von psychischer Gewalt zu verzeichnen. Der sei schwierig nachzuweisen, so Bachmann.
Psychoterror mit Whatsapp und Co.
Um besser gewappnet zu sein, haben sich drei Beraterinnen in Sachen Cyberkriminalität auf Stand gebracht. Was dies mit Psychoterror, Stalking oder Mobbing zu tun hat? Sehr viel, betont die engagierte Leiterin: „Stalking über E-Mail, Handy oder soziale Medien wird total unterschätzt - auch wenn diese Gewalt daneben über andere Kanäle kommen kann.“ Genauso, wie man seine Haustüre absperrt, sollten Passwörter für WLAN oder E-Mail-Fach geändert werden.
Wenn solche Angriffe geschehen, rät Bachmann dazu, Textnachrichten oder Fotos zu dokumentieren. Sollte sich die betroffene Frau zu einer Anzeige entschließen, unterstützt die Fachberatungsstelle tatkräftig. Mittlerweile stehen der Fachberatungsstelle zwei Schutzräume zur Verfügung, von denen aktuell einer belegt ist. Räumliche Distanz zu schaffen, ist wichtig.
Gewaltspiralen durchbrechen
Der Weg aus der Gewaltspirale für die Opfer bleibt aber oft ein schwieriger, besonders wenn Kinder beteiligt sind. Das geschehe beispielsweise, wenn Söhne das Verhalten ihrer gewalttätigen Väter übernehmen, erklärt Bachmann und schüttelt den Kopf. Solche Tatmuster findet sie besonders erschreckend.
Was bleibt, ist weiter im Sinne der Frauen für bessere Strukturen sorgen und das Netzwerk der Anlaufstellen auszubauen. Zumindest mit der Polizei wird die Zusammenarbeit in den kommenden Monaten mit einer sogenannten Interventionsstelle Gestalt annehmen. „Die Polizei kommt und nimmt den Fall auf. Die Frau unterschreibt, dass wir uns melden dürfen“, erklärt Fiona Bachmann. Die Fachberatungsstelle kann somit proaktiv tätig werden. Kürzere Wege, um den Frauen schneller helfen zu können.
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Der seit über 30 Jahren tätige Trägerverein der Beratungsstelle „Frauen helfen Frauen im Landkreis Mühldorf e. V.“ ist auf Spenden angewiesen. Konten finden Interessierte auf der Homepage www.fhf-lkr-muehldorf.de.