Kein Bargeld mehr vom Landratsamt
Bezahlkarte für Asylbewerber: Werden Flüchtende so „drangsaliert“?
Statt Bargeld gibt es im Landkreis Mühldorf für Asylbewerber jetzt die bayerische Bezahlkarte. Sie sollen bargeldlos einkaufen. Ist das eine Erleichterung oder werden sie drangsaliert?
Waldkraiburg – Einen Joghurt und eine Tafel Schokolade zieht die Kassiererin im Supermarkt über den Barcode-Scanner. Zum Bezahlen holt Anne eine blaue Karte hervor und legt sie auf das Lesegerät. Erfolgreich, nur wenige Augenblicke später verlässt sie mit ihrem Einkauf den Laden. Eigentlich normal, und doch neu für Anne und die 321 Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Waldkraiburger Ankerzentrum.
Anfang Juni haben sie die sogenannte Bezahlkarte erhalten, mit der sie ab sofort einkaufen können. Die bisherige Bargeldauszahlung zu Beginn des Monats entfällt.
„An sich ist das eine gute Sache, mit viel Bargeld unterwegs zu sein ist riskant. Auch für das Landratsamt war es viel Arbeit, es abzuzählen und an uns auszugeben“, sagt Anne. Sie ist eine von drei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern aus dem Ankerzentrum, mit denen die OVB Heimatzeitungen für diesen Artikel gesprochen haben und die unerkannt bleiben möchten.
Sammelüberweisung führt zu Arbeitserleichterung
Dass die Kommunen durch die Digitalisierung der Leistungen entlastet werden, sagt auch Oliver Platzer, Pressesprecher des Bayerischen Innenministeriums. „Die Einführung der Bezahlkarte wird in Zukunft definitiv zu einer Arbeitserleichterung in der Leistungssachbearbeitung führen“, bestätigt Landratsamtssprecher Wolfgang Haserer. Denn künftig müsse für alle monatlichen Zahlungen nur noch eine Sammelüberweisung angestoßen werden. So bleibe mehr Zeit für die Antragsbearbeitung, zudem würden auch andere Bereich wie Kasse und Empfang entlastet.
Bezahlkarte ist nicht überall nutzbar
„Die einzige Herausforderung ist, dass ich in Landshut oder in Rosenheim nicht mit der Karte zahlen kann – im Gegensatz zu jeder anderen Debitkarte“, sagt Anne. Ein Problem, das auch Asylbewerberin Mercy umtreibt, die in München zur Schule geht: „Wenn ich mich zum Mittagessen treffe, kann ich nicht mit der Karte zahlen.“ Zudem war sie beispielsweise schon in Buchhandlungen, die keine Kartenzahlung anbieten.
Auch Überweisungen und Online-Käufe sind mit der bayerischen Bezahlkarte nach Auskunft des Staatsministeriums nicht möglich. Asylbewerberinnen und Asylbewerber erhalten nur noch 50 Euro Bargeld. Das soll Anreize zum Zuzug nach Deutschland mindern und Überweisungen ins Ausland verhindern. Auch soll die Bezahlkarte das Schleuserwesen eindämmen, hofft das Innenministerium.
Keine großen Ersparnisse und Überweisungen möglich
Carolin Wabra vom bayerischen Flüchtlingsrat sieht das kritisch: „Die Einführung halten wir für reine Symbolpolitik, die geflüchtete Personen abschrecken soll. Aus unserer Beratungspraxis wissen wir aber – die Menschen fliehen nicht, weil sie mit Karte oder Bargeld bezahlen können.“ Stattdessen gehe es darum, dass ihre Herkunftsländer instabil sind oder sie unter anderem wegen ihres Glaubens oder ihrer Sexualität verfolgt werden.
Auch dass durch die Bezahlkarte weniger Geld in die Heimat der Geflüchteten überwiesen wird, stellt sie in Frage. „Schließlich lassen sich von den geringen Sozialleistungen keine großen Summen sparen und Schleuser verlangen meist das Geld vorab“, sagt Wabra.
Konkret geht es laut Haserer um 146,96 Euro, die einer alleinstehenden Person im Ankerzentrum Waldkraiburg monatlich über die Bezahlkarte zur Verfügung stehen.
„Das Geld haben sie doch verdient“
Asylbewerber Dominik ärgert dagegen vor allem, dass er das Geld, das er für einen freiwilligen Job im Ankerzentrum bekommt – etwa 60 bis 70 Euro im Monat – ebenfalls über die Bezahlkarte erhält und nicht abheben kann. „Ich habe dafür gearbeitet, darum sollte es mir auch ausgezahlt werden können“, sagt er. „Das könnte Leute demoralisieren zu arbeiten“, sagt auch Mercy.
Unverständlich ist das auch für Eva Schnitker, Integrationshelferin in Waldkraiburg. „Das Geld haben sie sich doch verdient“, sagt sie. Die Bezahlkarte lehnt sie ab. „Für einen freien deutschen Mitbürger wäre das Drangsalieren.“ Viele würden zwar nicht darunter leiden, zumal sie aus ihrer Heimat Bevormundung gewohnt seien, aber fair sei es dennoch nicht.
Im Einzelhandel keine Probleme bekannt
Dass das eigens verdiente Geld tatsächlich nicht ausgezahlt werden kann, bestätigt Landratsamtssprecher Haserer. „Die Bezahlkarte wurde ausdrücklich als Leistungsform in das Asylbewerberleistungsgesetz aufgenommen und soll als Zahlungsmittel genutzt werden“, erklärt er. Ein Vorteil der Bezahlkarte sei, dass die darüber zur Verfügung gestellten Leistungen nur im Inland ausgegeben werden können.
In der Praxis scheint das zu funktionieren. „Aus Sicht des Einzelhandels sind mir keine Probleme mit der Bezahlkarte bekannt“, sagt Bernd Ohlmann, Pressesprecher des Handelsverbands Bayern. Natürlich funktioniere die Karte nur dort, wo insgesamt Kartenzahlung angeboten werde. „Aber das gewinnt allgemein immer mehr an Bedeutung, die Akzeptanz wächst.“ Nur eine Schwachstelle kann er ausmachen: Wenn jemand mit der Bezahlkarte etwas kauft und anschließend zurückgibt, sei es technisch nicht möglich, das Geld wieder auf die Karte zurückzubuchen.
Gewisse Laufzeit zur Beurteilung nötig
In Mühldorf selbst gibt es noch keine nennenswerten Erfahrungen mit der Bezahlkarte, wie der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Mühldorf, Christian Kühl, mitteilt. „Der Handel ist auf die Karte vorbereitet, die allermeisten Händler haben ein EC-Karten-Terminal, bei welchem man die Karten benutzen kann.“ Eine aussagekräftige Beurteilung lasse sich erst nach rund zwölf Monaten machen.
