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Neues Projekt im Seniorenheim Waldkraiburg

Märchen helfen Demenzkranken? Wie Julia von Maydell mit dem Froschkönig Überraschendes schafft

Julia von Maydell ist professionelle Märchenerzählerin. Das AWO-Seniorenzentrum in Waldkraiburg besuchte sie zu einer Märchenstunde. Bald sollen die Geschichten regelmäßig den Alltag der Bewohner auflockern.
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Julia von Maydell ist professionelle Märchenerzählerin. Das AWO-Seniorenzentrum in Waldkraiburg besuchte sie zu einer Märchenstunde. Bald sollen die Geschichten regelmäßig den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner auflockern.

Auf alte Erinnerungen können Demenzkranke meist noch lange zugreifen. Märchen können dazu ein Schlüssel sein. Ein Projekt soll sie im AWO Seniorenzentrum in den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner integrieren – und sorgt für überraschende Reaktionen.

Waldkraiburg – In ihrer langen roten Robe mit goldenem Muster schreitet Julia von Maydell im AWO Seniorenzentrum zu den gespannt Wartenden im Foyer. Sie hat sich schick gemacht, möchte ihre Zuhörerinnen und Zuhörer überraschen. „Ich freue mich, dass wir uns kennenlernen”, sagt sie und geht von Mensch zu Mensch durch die Reihen. „Grüß Gott, sehr angenehm.”

Dann öffnet sie ihren grünen Märchenkoffer und holt eine goldene Kugel hervor. Sie legt sie auf ihre Handfläche, damit alle sie gut sehen können. „Vielleicht wissen Sie schon, welches Märchen ich Ihnen heute mitgebracht habe?”. Von Maydell ist Schauspielerin und professionelle Märchenerzählerin. „Der Froschkönig”, antwortet eine Frau aus der zweiten Reihe.

„Ich wusste doch, dass sie es wissen”, entgegnet von Maydell und beginnt zu erzählen. „Es war einmal …” Dabei verstellt sie ihre Stimme zu einem kleinen Mädchen, das fröhlich ihre goldene Kugel in die Luft wirft und wieder auffängt, bis sie aus Versehen in den tiefen Brunnen fällt.

Alle dürfen teilnehmen, auch wenn sie vermeintlich stören

Viele, die ihr heute aufmerksam lauschen, haben Demenz. Zwei erkrankte Frauen in der ersten Reihe haben ihre Hände gefaltet und hören andächtig zu. Von hinten quatscht eine Dame auf Russisch dazwischen, doch davon lässt sich von Maydell nicht aus der Ruhe bringen.

Marion Kühbauch ist Sozialdienstleitung im AWO Seniorenzentrum und organisiert die verschiedenen Beschäftigungsangebote.

„Vom Projekt Märchenland wurde uns ausdrücklich gesagt, dass auch Menschen, die unruhig sind oder vermeintlich stören, teilnehmen dürfen”, erzählt Marion Kühbauch, Leiterin des Sozialdienstes im AWO Seniorenzentrum. Sie ist für Beschäftigungsangebote zuständig, bemüht sich um „alles, was guttut und gewünscht wird.”

Märchen sollen dauerhaft Teil des Alltags werden

Auch das Projekt „Märchenland” hat sie in die Einrichtung geholt und möchte es langfristig etablieren. Denn es geht nicht nur um einzelne Besuche durch Profis: Bei zwei Fortbildungstagen lassen sich sieben Betreuungsassistenten und Ehrenamtliche zu Märchenvorlesern fortbilden. Mehrere Krankenkassen unterstützen das Projekt finanziell.

„Märchen frei zu erzählen wie Julia von Maydell, ist natürlich wahnsinnig toll, aber das kann nicht jeder”, sagt Kühbauch. Materialien sollen dabei unterstützen, das Vorlesen zu gestalten: Von einer Glocke über Ausmalbilder bis zu Märchen zum Abspielen ist jede Menge vorhanden.

Erinnerungen an die Kindheit der eigenen Kinder

Hilde Denkewitz ist zwar nicht dement, trotzdem schätzt sie die Abwechslung, die Märchen in ihren Alltag bringen. „Das lässt mich an die Kindheit meiner Kinder zurückdenken, obwohl auch die schon lange her ist”, sagt die 87-Jährige. Etliche Märchen habe sie ihren vier Kindern vorgelesen. Die von Julia von Maydell waren selbstverständlich auch dabei.

Hilde Denkewitz schätzt die Abwechslung, die Märchen in den Alltag im Seniorenzentrum bringen. Die Märchen, die Julia von Maydell vorgetragen hat, kannte sie selbstverständlich alle.

Von Maydell ist inzwischen beim garstigen Frosch angekommen, der der jungen Prinzessin hilft – und sie dann zuhause heimsucht. Als sie ihn vor lauter Frust gegen eine Wand wirft, verwandelt er sich in einen Prinzen. Und wenn sie nicht gestorben sind, „dann leben sie noch heute”, stimmen die Senioren ein.

„Aller guten Dinge sind drei und die Märchenstunde ist vorbei“

„Mit Märchen können wir ans Langzeitgedächtnis andocken, auf das Demenzerkrankte lange zurückgreifen können”, erklärt von Maydell den Grundgedanken des Projekts. „Ich fange mit einem langen Märchen an und schaue dann, ob noch etwas geht – ich will die Menschen ja nicht überfordern.”

In Waldkraiburg hat sie ein gutes Gefühl und holt daher nach der goldenen Kugel einen kleinen silbernen Topf aus ihrem Koffer. Gleich zwei Geschichten lassen sich damit erzählen: „Der süße Brei” und das Lied „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat …”. Einzelne stimmen in ihren Gesang ein. Am Ende sagt sie: „Aller guten Dinge sind drei und die Märchenstunde ist jetzt vorbei.” Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer belohnen das mit kräftigem Applaus.

Die Reaktionen der Senioren überraschen

„Die meisten Menschen verbinden Märchen mit positiven Erinnerungen”, sagt von Maydell. Das belegt auch die Studie „Es war einmal … Märchen und Demenz“, die von einer Steigerung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz, aber auch einem positiven Erlebnis in einer gemischten Gruppe spricht. Zuhörerin Ingrid Haller, selbst nicht dement, bestätigt das. Sie freut sich darauf, künftig weitere Märchen zu hören. „Früher hat mir meine Mutter Märchen erzählt, später habe ich sie meinem Sohn vorgelesen.”

Zuhörerin Ingrid Haller (87) hat zwar keine Demenz, trotzdem freut sie sich darauf, künftig noch weitere Märchen zu hören. Sie erinnern die Seniorin an früher, als ihre Mutter ihr Märchen erzählt hat.

Von Maydell packt ihren Märchenkoffer zusammen und geht noch einmal durch die Reihen, um sich zu verabschieden. „Du machst das so toll”, sagt ein älterer Herr im Rollstuhl und gibt ihr dabei die Hand. Als eine Pflegerin ihn zurück in sein Zimmer begleitet, sagt Sozialdienstleiterin Kühbauch: „Mich hat das überrascht, dass er alles voll wahrgenommen und sie direkt angesprochen hat.” Der Herr hat eine schwere Form von Demenz, aber an diesem Tag sei er verhältnismäßig ruhig gewesen.

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