„Immer versucht, in Arbeit zu sein“
Faul? Von wegen! – So sieht das Leben mit Bürgergeld in Wirklichkeit aus
Keine Pizza für die Töchter und Klamotten nur Second Hand: Für Miriam Schmidt und Felicia Berg ist das Alltag. Sie leben von Bürgergeld. Vor welche Herausforderungen sie das stellt und warum sie derzeit keine Arbeit haben.
Waldkraiburg – Felicia Bergs Töchter essen gerne Pizza. Nicht die Tiefgefrorene aus dem Supermarkt, sondern in der Pizzeria. „Aber ein Abendessen für 20 Euro pro Person, das geht nicht”, sagt die Mutter. Die Waldkraiburgerin ist alleinerziehend, ihre beiden Mädels sind fünf und acht Jahre alt. Die Situation mit ihrem Ex-Mann ist schwierig. Weil sie sich derzeit in einem Gerichtsprozess befindet, möchte sie unerkannt bleiben.
„Ich schäme mich nicht, dass ich Bürgergeld bekomme – das Leben ist nun mal so und ich habe momentan keine andere Möglichkeit”, sagt sie. Zwischen 1800 und 2000 Euro stehen der dreiköpfigen Familie nach eigenen Angaben monatlich zur Verfügung. Davon wollen zuerst die Wohnung und Heizung, der Strom, die Autoversicherung und das Tanken bezahlt werden.
„Ich habe immer versucht, in Arbeit zu sein“
„Auf großem Fuß lebt man mit dem Bürgergeld nicht”, sagt Miriam Schmidt. Auch sie bekommt die Sozialleistung, auch sie möchte anonym bleiben. Jahrelang hat sie sich zum Mittelstand gezählt. „1986 habe ich meine Lehre zur Näherin angefangen und damals wirklich gut verdient.” Als das Unternehmen wegging, arbeitete sie als Aufsicht in einer Spielhalle.
„Ich habe immer versucht, in Arbeit zu sein”, erzählt Schmidt. Ein Raubüberfall warf sie das erste Mal aus der Bahn, ein Jahr habe sie nicht gearbeitet. Danach hat sie in der Altenpflege angefangen, sich um Demenzkranke gekümmert. „Das schaffe ich psychisch nicht mehr.” Seit rund drei Jahren ist sie arbeitslos.
Nicht jeder Bürgergeldempfänger könnte arbeiten
Die Frauen sind zwei von 3740 Bürgergeldempfängern im Landkreis Mühldorf, so die vorläufigen Zahlen für März, die das Jobcenter Mühldorf auf Anfrage mitteilt. Nicht jeder von ihnen könnte arbeiten: Darunter sind 1080 Schüler und Menschen, die gerade arbeitsunfähig sind.
Andere finden nach ihrem Studium nicht direkt eine Anstellung oder müssen nach einer Arbeitslosigkeit Bürgergeld beantragen, weil sie keinen neuen Job haben. „Dazu kommen Lebensläufe und Lebensrisiken aller Facetten, Krankheiten, Unfälle, Scheidungen, alles was einen Menschen in einem Leben aus der Bahn bringen kann”, sagt Markus Eberl, Geschäftsführer des Jobcenters Mühldorf.
Eine Patentlösung, wie der Weg in eine geregelte Berufstätigkeit aussehen könnte, gebe es bei solch unterschiedlichen Lebenslagen nicht.
Immer wieder ist eines der Kinder krank
Berg ist gelernte Lagerlogistikerin, ihre Ausbildung hat sie in ihrem Heimatland Ungarn gemacht. Vor elf Jahren ist sie nach Deutschland gekommen und arbeitete zunächst bei einem Lebensmittelproduzenten. Seit der Trennung von ihrem Mann vor vier Jahren ist sie ohne Job.
Ich hatte noch keine Chance, mich zu bewerben.
„Ich hatte noch keine Chance, mich zu bewerben”, sagt sie. Immer wieder ist eines der Kinder krank oder der Kindergarten geschlossen – so viele Fehltage könne sie keinem Arbeitgeber zumuten. Denn Verwandte, die sie unterstützen könnten, hat sie in Deutschland nicht. Ihre Familie in Ungarn hat sie seit drei Jahren nicht gesehen. „Verreisen ist mit zwei Kindern zu teuer”, sagt sie.
Tanzen, einen Kaffee trinken gehen: Vieles ist heute nicht mehr drin
Sich zurückzuziehen und hauptsächlich zuhause zu sein, das kennt auch Schmidt. Früher hat sie getanzt, doch die Mitgliedschaft im Verein kann sie sich nicht mehr leisten. Zwischen 250 und 300 Euro bleiben ihr im Monat nach Abzug aller Fixkosten und des Handytarifs, so erzählt sie es.
Wenn Freunde ihr regelmäßig etwas ausgeben wollten, sei sie sich blöd vorgekommen. Kaffee trinken zu gehen, sei heute kaum noch drin. „Ab und zu rauche ich mal eine, das ist das einzige, was geblieben ist”, erzählt sie. Auch während des Gesprächs mit den OVB Heimatzeitungen stellt sie sich an die Balkontür und zündet eine Zigarette an. „Ich investiere heute viel mehr Zeit in die Frage Geld.”
„Bürgergeldempfänger bewegen sich in einem ganz kleinen Rahmen“
„Bürgergeldempfängern bleibt kaum Geld für Freizeit: Ins Kino oder Schwimmbad gehen, mal ein Theater besuchen oder ein Restaurant – für solche spontanen Unternehmungen bleibt nichts übrig, das soziale Leben ist sehr eingeschränkt“, bestätigt Sandy Schulte-Hostede, die als Sozialpädagogin Bürgergeldempfänger im Caritas Zentrum Mühldorf berät. „Betroffene bewegen sich in einem ganz kleinen Rahmen.“
Anschaffungen wie ein neuer Kühlschrank oder Herd, weil der alte kaputt ist, seien zwar in den Bürgergeld-Regelsatz eingerechnet – wenn sie aber tatsächlich anfallen, reiche das Geld meist nicht aus, weil der Regelsatz so schon knapp bemessen sei. Erstrebenswert sei das nicht, die Menschen, die zu ihr kommen, würden lieber arbeiten. Chronische Erkrankungen, Sucht, mangelnde Qualifizierung oder angespannte familiäre Situationen erschweren dies jedoch, zählt Schulte-Hostede auf.
Beide Frauen sparen, wo es geht
„Man rutscht schneller als man denkt in so eine Situation”, sagt Schmidt. Gerne würde sie im Verkauf arbeiten, aber bisherige Bewerbungen blieben ohne Erfolg. Berg wünscht sich, in ihrem Beruf als Lagerlogistikerin in Deutschland Fuß zu fassen.
Bis dahin sparen die Frauen, wo es geht – an Essen, Ausgehen und Klamotten. Schmidt hofft darauf, sich bald eine neue Waschmaschine leisten zu können. In einem Monat könnte das endlich klappen. Sie hat bereits eine ausgewählt, ein neues Gerät, aber zweiter Wahl, für 120 Euro. „Notfalls hat mir mein Sohn versprochen, noch etwas dazuzugeben”, sagt sie.
Auch Berg ist immer auf der Suche nach Angeboten, besonders für Kindersachen. „Ich kann nicht bei C&A einkaufen, 15 Euro für eine Hose oder einen Pulli sind einfach zu viel”, erzählt sie. Ihre Kinder müssten verstehen, dass sie nicht alles, was schön und glitzerig ist, haben könnten. Im Kindergarten spiele das zum Glück noch keine so große Rolle. „Zu meiner großen Tochter haben die anderen Kinder aber schon gesagt, dass sie keine schönen Sachen hat.”
