Hilfseinsatz in Afrika
„Lina, übernimm du“: Mühldorferin (18) zog im Slum in Kenia sogar Zähne
Zehn Wochen hat Lina Klemisch in Nairobi, Kenia verbracht. Sie arbeitete in einer Klinik, so groß wie eine Arztpraxis, in einem der größten Slums der Welt. Ohne medizinische Vorerfahrung half sie den Menschen und zog sogar Zähne.
Mühldorf – Die Klinik im Slum Nairobis ist mit einem deutschen Krankenhaus nicht vergleichbar. „Sie hat etwa die Größe einer Arztpraxis“, erzählt Lina Klemisch. Ein Arzt, drei Krankenschwestern, ein Labor, drei Behandlungsräume und ein Raum für Zahnbehandlungen nebendran. Lina Klemisch war die erste Freiwillige – auch Volunteer genannt – seit drei Jahren in der Klinik. „Die meisten Volunteers gehen in Schulen, dort kann man schneller helfen – und die Klinik muss man auch aushalten können”, sagt die 18-Jährige.
Kein Abwassersystem und kaum Duschen
Im Slum gibt es kein Abwassersystem, schmale Kanäle zwischen den Hütten führen das Schmutzwasser vom Kochen und Toilettengang weg. Dazu jede Menge Müll. Regelmäßig duschen können die meisten Bewohnerinnen und Bewohner nicht. Immer wieder kommt es zu Schnitt- oder Schussverletzungen, mit denen sie in die Klinik kommen. „Die blutenden Wunden, der scharfe und beißende Geruch, in der ersten Woche war das alles ziemlich überwältigend“, erinnert sich Lina Klemisch.
Zuschauen und dabei lernen
„Am Anfang durfte ich natürlich noch nicht so viel machen“, sagt Klemisch. Sie stand einfach nur daneben und schaute dem Arzt zu. Auf Englisch erklärte er ihr, was er tut. Zu ihnen kamen Patientinnen und Patienten aus dem Slum, viele hatten Malaria, Tuberkulose, Diabetes oder waren HIV positiv. Vor jeder Behandlung wurde auf den Aids-Virus getestet.
Schnell lernte Lina Klemisch Bruchstücke der Landessprache Swahili. Die brauchte sie, denn im Slum wird kein Englisch gesprochen. Ihre Kenntnisse reichen aus, um zu verstehen, was den Patienten fehlt. Denn nach einiger Zeit band sie der Arzt stärker in die Behandlung ein, zeigte ihr, was zu tun ist, und wies sie auf Fehler hin.
Zähne ziehen war für die 18-Jährige besonders herausfordernd
Dann schmiss er sie ins kalte Wasser: „Übernimm du mal Lina, hat er gesagt, und ist einfach rausgegangen.” Später kam es vor, dass Lina Klemisch auch mal ein bis zwei Stunden ohne den Arzt in der Klinik war. Zum Ende ihres zehnwöchigen Aufenthalts legte sie selbstständig Zugänge und zog Zähne. „In Deutschland wäre das undenkbar”, sagt sie.
Die Abiturientin hat keine medizinische Vorerfahrung
Die junge Frau hat keine medizinische Vorerfahrung. Erst vergangenes Jahr schloss sie die Schule mit dem Abitur ab. Das Projekt in Kibera, einem der größten Slums der Welt, wählte sie bewusst aus. Es ist das einzige, das sie findet, bei dem sie keine medizinische Erfahrung oder Qualifikation vorweisen muss.
„Ich wollte gerne Menschen helfen, die nicht so privilegiert leben wie wir”, erzählt die Mühldorferin. Getrieben von diesem Wunsch recherchierte sie, wie und wo dies in Afrika möglich ist. Der Kontinent interessierte sie von Anfang an.
Als sie auf die Hilfsorganisation Ucesco stieß, entschied sie, sich zu bewerben. Sie reichte ihren Lebenslauf ein, schrieb einige Zeilen, warum sie an dem Projekt interessiert ist – und erhielt kurz darauf eine Zusage. Zwei Monate Nairobi standen bevor. Anfang September 2023 stieg sie ins Flugzeug. Ohne Vorstellung, was sie genau erwarten würde. „Aber das kann man sich gar nicht vorstellen.“
Geöffnet, bis die Medikamente ausgehen
Die Klinik hatte nichts mit einem deutschen Krankenhaus gemein. Über den Boden laufen Mäuse und durch die Räume fliegen viele Mücken, weil die Türen offen sind. Es gibt nur ein einziges Behandlungsbett. „Für den schlimmsten Fall des Tages, die anderen Patienten müssen sitzen oder stehen.”
Die Klinik hat so lange geöffnet, bis alle Patienten versorgt sind, oder die Medikamente ausgehen. Denn dann kann niemand mehr behandelt werden. Die Medikamente gegen Malaria würden quasi nie reichen. „Das tut schon weh, vor allem bei Kindern und alten Menschen – die müssen dann am nächsten Tag oder in der nächsten Woche wiederkommen“, sagt Lina Klemisch. Je nachdem, wann die nächste Lieferung eintrifft. Andere Erkrankte und Verletzte kommen gar nicht erst in die Klinik. Sie fürchten, Medikamente verschrieben zu bekommen, die sie nicht bezahlen können.
Marion Klemisch besucht Tochter mit Medikamenten im Gepäck
Um etwas gegen diesen Engpass zu tun und ihre Tochter zu besuchen, machte sich Mutter Marion Klemisch für einige Tage selbst auf den Weg nach Kenia. Im Gepäck hatte sie unter anderem Schmerzmittel, Antibiotika und Stützstrümpfe als Spende.
Auch sie ist dankbar, einmal über den europäischen Tellerrand hinaus geblickt zu haben. „Es war sehr beeindruckend, dass Menschen überhaupt so leben können und dabei auch noch so eine Lebensfreude haben”, sagt Marion Klemisch.
Hilfseinsatz hat Berufswunsch gefestigt
Der Kontakt nach Kenia hält bis heute an. Momentan macht Lina Klemisch ein Praktikum in einem Klinikum in München. Im Mai wird sie erneut für anderthalb Wochen nach Nairobi fliegen. Dann organisiert Ucesco ein Medical Camp, bei dem die Menschen im Slum kostenlos medizinisch versorgt werden. Auch Lina Klemisch wird unterstützen.
Im Juli möchte sie am sogenannten Medizinertest teilnehmen, träumt davon, ab dem Wintersemester in Wien Medizin zu studieren. „Was mich so fasziniert, ist, dass man mit der Arbeit, die man macht, gleichzeitig Geld verdienen und Menschen helfen kann”, sagt sie. Der Hilfseinsatz in Kenia hat ihren Berufswunsch gefestigt.
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