Schlachthofalltag in Waldkraiburg
Tierschutz im Rinderschlachthof: Kann KI das Wohl der Tiere verbessern?
Immer wieder stehen Schlachthöfe in der Kritik: Mit einer sehr modernen Maßnahme will der Vion-Schlachthof in Waldkraiburg jetzt das Wohl der Tiere verbessern. Ein Besuch in Europas größtem Rinderschlachthof.
Waldkraiburg – Die Wände des Anhängers schwanken ein wenig, als er vor der Rampe zum Stehen kommt und die Türen sich öffnen. Vorsichtig schauen sich die weiß-braun gefleckten Rinder um, bewegen sich hintereinander aus dem wackeligen Anhänger auf ihren letzten Gang. Der Waldkraiburger Standort des Unternehmens Vion ist der größte Rinderschlachthof Europas.
Damit es dort so tiergerecht wie möglich abläuft, erfassen kleine Kameras an der Decke alles – von den Anlieferungsrampen bis zum Entbluten. Jeder Winkel, solange die Tiere leben, wird aufgezeichnet. Die Aufnahmen werden neuerdings unterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI) ausgewertet. „Die Kamera erkennt, wenn jemand mit dem Stock Tiere schlägt”, sagt Robert Friedl, der für das zentrale Qualitätsmanagement bei Vion zuständig ist. Auch wenn eine Kuh zurückbleibt, weil sie verletzt ist, registriert das die KI.
Die Tiere sollten kein Leid erfahren
Während ein Videoüberwachungssystem in Waldkraiburg schon seit sieben Jahren zum Schlachthofalltag gehört, ist das nicht in jedem Betrieb der Fall. Doch Videoaufnahmen könnten bald Pflicht werden: Nach der Sommerpause berät der Bundestag über eine entsprechende Novelle des Tierschutzgesetzes.
„Ich halte das für eine sinnvolle Entwicklung”, sagt Marcel Huber, gelernter Tierarzt und ehemaliger Umweltminister. „Eine verpflichtende Kameraüberwachung wird bestimmt nicht jedem passen, aber der Schlachtprozess ist ethisch sehr bedeutsam.” Das wichtigste sei, dass die Tiere kein Leid erfahren, weil sie sowohl anständig gehalten als auch geschlachtet werden.
In der Praxis komme es vor, dass manch einer unter Zeit- und Preisdruck nicht so genau arbeite, und das könnte sich ändern, wenn durch Kameras potenziell immer jemand hinschaut. „Aber ich möchte kein falsches Bild erzeugen: Im Allgemeinen wird in Schlachthöfen mit großem Aufwand versucht, dass alles ordentlich abläuft”, betont Huber.
„Man kann im Schlachthof arbeiten und Tiere lieben“
Das ist auch den Mitarbeitern von Vion ein Anliegen. „Man kann im Schlachthof arbeiten und Tiere lieben – wir haben nichts zu verstecken”, sagt Vanessa Starck, Kommunikationsmanagerin bei Vion. Darum bleiben die Tiere in der ungewohnten Situation so lange wie möglich zusammen und bekommen die nötige Zeit, um sich zu orientieren, erklären Qualitätsmanager Robert Friedl und Standortleiter Kai-Uwe Harms. Von der Rampe gelangen sie durch einen Gang in ein Rondell. Dort bewegt sich ein Gatter langsam auf die Tiere zu und lotst sie so nacheinander in den Einzelgang. Dann schließt sich ein Tor hinter ihnen.
Große Betriebe können Vorreiter in Sachen Tierschutz sein
Eine Technik, die Sebastian Brandmaier lobt. Als geschäftsführender Vorstandsvorsitzender der Viehvermarktungsgenossenschaft Bayern weiß er, dass es einen solchen runden Zutrieb nicht überall gibt. „Große Betriebe sind nicht unbedingt schlecht, wenn es um den Tierschutz geht – im Gegenteil, ich sehe eher bei kleineren Betrieben mit nur zwei oder drei Mitarbeitern, dass sich stellenweise eine gewisse Betriebsblindheit einstellt”, sagt er. Dass der Tierschutz künftig noch stärker überwacht werden soll, begrüßt er. „Kameraüberwachung ist nichts Neues, ein Tierschutzbeauftragter inzwischen schon die Regel – ich glaube, dass die Abnehmer das auch sehr stark einfordern.”
140 Schlachtungen pro Stunde, etwa 1000 Tiere am Tag
Zum Tierschutz gehört auch, dass die Tiere nicht lange bis zu ihrem Ende warten müssen. In der Regel führt ihr Weg nach spätestens zwei Stunden durch einen schmalen Gang in einer leichten Kurve in die sogenannte Schussbox. Dort wird ihr Kopf fixiert und ein Mitarbeiter setzt mit einem lauten Knall den Bolzenschuss. Manchmal ist noch ein kräftiges Muhen zu hören, bevor das betäubte Rind zusammensackt und auf eine Ablage unterhalb der Box fällt. Anschließend wird es an einem der Hinterfüße aufgehängt und aufgeschnitten. Der Blutentzug führt nach spätestens drei Minuten zum Tod, erst danach geht es zur nächsten Position am Schlachtband, wo aus dem Tier schrittweise ein Lebensmittel wird.
140 Mal geschieht das in einer Stunde, um die 1000 Rinder werden an fünf Tagen die Woche in Waldkraiburg geschlachtet. „Der Schlachthof Waldkraiburg hat eine absolute Daseinsberechtigung mitten in einem viehreichen Gebiet – er ist die Adresse für die Landwirtschaft”, sagt Standortleiter Harms. Obwohl der niederländische Großkonzern Vion sein Deutschland-Geschäft verkaufen möchte, soll es auch künftig mit dem Schlachten weitergehen. „Es ist der modernste Rinderschlachtbetrieb Europas”, hebt er hervor.
Künstliche Intelligenz weist auf Schwachstellen hin
Die Unterstützung durch KI soll die Situation für die Tiere weiter verbessern. Die Technik erkennt Bewegungen, kann zwischen Mensch und Rind unterscheiden. Ist etwas nicht in Ordnung, stellt das System die jeweilige Videosequenz zur Verfügung. Direkt über dem Stall hat der Tierschutzbeauftragte sein Büro, wo er die Bildschirme im Auge behält und wenn nötig sofort runtergeht. Ist ein Rind stark verletzt, wird es notfalls an Ort und Stelle geschlachtet. Bleiben Tiere dagegen gehäuft an einer Stelle stehen, wird versucht, die Umgebung wie die Lichtsituation oder den Luftzug anzupassen.
Die Videoaufnahmen werden aber auch dazu genutzt, die Mitarbeiter gezielt zu schulen. Sie wissen, dass sie überwacht werden. Da die Aufnahmen verpixelt sind, dürfen diese auf unbegrenzte Zeit gespeichert werden. Zeigen Mitarbeiter unangebrachtes Verhalten, bekommen sie je nach Schwere eine Mitteilung, Schulung oder Abmahnung. „Nicht für jeden ist das ein geeigneter Beruf, wenn das Naturell nicht passt, sollte man es lieber bleiben lassen”, sagt Standortleiter Harms.






