Evaluationsbericht allein reicht nicht
Margarethe (83) aus Waldkraiburg kann beruhigt sterben – Politik verhindert das für mehr Menschen
Hospiz-Inseln ermöglichen ein wohnortnahes Sterben in Gemeinschaft und im Kreis der Angehörigen. In Waldkraiburg funktioniert das beispielhaft. Doch die Finanzierung ist für den Anna-Hospizverein ein Kraftakt. Und die Berliner Politik sorgt für Ernüchterung.
Waldkraiburg – Margarethe liegt im Bett. Fotos und weitere Gegenstände verleihen ihrem Zimmer eine persönliche Note. Margarethe ist zufrieden – soweit das überhaupt möglich ist. Die 83-Jährige aus einem Nachbarort Waldkraiburgs hat Krebs, Schmerzen und nur noch eine begrenzte Lebenserwartung. Sie ist Gast in der Waldkraiburger Hospiz-Insel des Anna Hospizvereins, weil sie demnächst sterben wird.
Sie ist froh, dass sie ihre letzten Wochen hier verbringen kann. Hier hat sie Ansprechpartner, wird gepflegt und versorgt. „So schön habe ich es daheim nicht“, erzählt sie. „Alle sind sehr aufmerksam und nett.”
Ihr Mann ist 87, sie sind seit 58 Jahren verheiratet. Er hat sich bemüht, aber „so ist es leichter für ihn“, sagt Margarethe. „Ich habe Glück gehabt mit dem Platz. Daheim war es einfach nicht mehr möglich.“
Wichtiger Lückenschluss für den Landkreis
Die Hospiz-Insel ist eine kleine, abgeschlossene Wohngemeinschaft im Adalbert-Stifter-Wohnheim. Sie schließt für den Landkreis Mühldorf eine wichtige Lücke zwischen den stationären Hospizen (siehe Kasten), die viel zu weit weg sind, Palliativstationen und der Versorgung daheim.
In der Insel können die Menschen, die keine Pflege rund um die Uhr benötigen, in einer familiären Atmosphäre, in Gemeinschaft vom Leben Abschied nehmen. Die Angehörigen haben keine weiten Wege, können sie jederzeit besuchen. „Mein Mann ist alle Tage da“, freut sich Margarethe.
„Wir sind eine Wohngemeinschaft auf Zeit“, beschreibt Petra Zimmermann-Schwier, Geschäftsführerin des Anna-Hospiz-Vereins, die Insel. Jährlich können hier rund 30 Menschen in der Nähe ihrer Angehörigen sterben.
Bedarf für eine zweite Insel ist vorhanden
„Der Bedarf für eine zweite Insel wäre da“, so Zimmermann-Schwier. Auch die Möglichkeiten. Allein, es scheitert an der Finanzierung. Unter den aktuellen Bedingungen kann sich der Anna Hospizverein keine zweite Insel leisten.
Rund 200.000 Euro muss der Hospizverein jährlich für die Insel aufbringen – durch Spenden und Zuschüsse des Landkreises und der Gemeinden. Denn bisher fällt die Insel durch alle Raster, decken die Zuschüsse der Krankenkassen und der Eigenanteil der Gäste, wie die Sterbenden hier genannt werden, nur 120.000 Euro.
Regelfinanzierung durch die Krankenkassen braucht Gesetzesänderung
Die Lösung wäre eine sogenannte Regelfinanzierung durch die Krankenkassen wie bei den Hospizen, die je 60.000 Einwohner einen Platz bieten. „Die Krankenkassen finanzieren Hospize zu 95 Prozent“, sagt Zimmermann-Schwier. Dann müsste der Anna Hospizverein jährlich nur noch rund 20.000 Euro beisteuern. Doch dafür bräuchte es eine Gesetzesänderung in Berlin.
Die wäre sinnvoll, wie jetzt ein Evaluationsbericht des bayerischen Gesundheitsministeriums bestätigt. Laut Bericht schließt die Insel im Landkreis eine Versorgungslücke, sie sichert die Lebensqualität der Sterbenden, sie ist übertragbar und ihre Kosten liegen um mehr als ein Drittel unter denen von stationären Hospizen. „Wir können damit das Gesundheitssystem entlasten“, fasst Zimmermann-Schwier zusammen. Auch koste die Einrichtung nur einen mittleren sechsstelligen Betrag und sei schnell umzusetzen.
„Das Konzept ist die Zukunft“
„Das Konzept ist die Zukunft“, betont Zimmermann-Schwier. „Es ist das, was die Menschen wollen. Sie wollen nicht alleine sterben. Das ist viel wichtiger als die Größe und Ausstattung der Einheit.“
„Der Tagessatz der Hospiz-Insel fällt deutlich günstiger aus als jener in stationären Hospizen in Bayern“, so der Evaluationsbericht. „Zur nachhaltigen Finanzierung ist es erforderlich, mit den Krankenkassen zu einer nachhaltigen Vergütungslösung zu kommen.“
Die Mühlen mahlen langsam
Dennoch ist Zimmermann-Schwier ernüchtert: „Ich habe lernen müssen, dass die Mühlen für diese Gesetzesänderung sehr langsam mahlen.“
Josef König, Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Sandra Bubendorfer-Licht (FDP), verweist auf das Bundesgesundheitsministerium: „Die ambulanten Hospizdienste erhalten seit Sommer 2009 einen festen Zuschuss zu den Personalkosten. Dies garantiert eine gerechte und leistungsbezogene Förderung in allen Bundesländern.“
Es braucht nur den politischen Willen
Zimmermann-Schwier rechnet mit der gewünschten Gesetzesänderung nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Aus Sicht des Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer (CSU) wäre dies durchaus machbar: „Eine Regelfinanzierung durch die Krankenkassen, auch für andere Hospizkonzepte, ist, sofern der politische Wille der Ampel-Bundesregierung besteht, in den noch laufenden eineinhalb Jahren der Legislaturperiode auf dem Gesetzesweg durchaus möglich.“
Das würde nicht nur Zimmermann-Schwier freuen, sondern auch Menschen wie Margarethe. Denn je schneller die Finanzierung dauerhaft gesichert ist, desto schneller könnten neue Inseln entstehen und noch mehr Menschen in der Nähe ihrer Lieben menschenwürdig sterben. So wie es Margarethe erleben darf.
Stationäre Hospizeinrichtungen
Stationäre Hospize sind kleine Einrichtungen mit familiärem Charakter, die schwerstkranke und sterbende Menschen mit einer unheilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankung in der letzten Lebensphase als „Hospizgäste“ aufnehmen. Im Hospiz steht die palliativpflegerische und hospizliche Betreuung und Begleitung der Hospizgäste im Vordergrund, wobei selbstverständlich auch eine ärztliche palliativmedizinische Behandlung sichergestellt ist.
Stationäre Hospize sind aufgrund ihres Versorgungsauftrags baulich, organisatorisch und wirtschaftlich selbstständige Einrichtungen mit separatem Personal und Konzept. Die räumliche Gestaltung der Einrichtung ist auf die besonderen Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen ausgerichtet. Die Umsetzung des Auf- und Ausbaus der stationären Hospizversorgung obliegt den Krankenkassen, die unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben, entsprechende Versorgungsverträge abschließen.
Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention
